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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 45.1931-1932

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Heft 7 (Aprilheft 1932)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8819#0536
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litisch zurechtbiegende Verzerrung. — Ge-
gen die Gefahren einer „indirekten
P o l i t i s i e r u n g" des Kinos wendet
sich der Leiter der Bayerischen Landes-
filmbuhne, Edmund Schopen, in einem
Artikel der Augöburger Postzeitung.
Statt ihrer fordert er den offen politischen
Film — aber für das Spezialkino.
„Wäre eS nicht denkbar", so fragt er,
„daß Großstädte ein politisches Kino be-
sitzen, dessen Spielplan von den politi-
schen Filmen aller Parteien bestritten
wird, in dem Russen- und faschistische Fil-
me gespielt werden neben den Programm-
filmen der innerdeutschen Parteien?" ^sn
einem Lande, wo jeder im politischen Geg-
ner den Volksgenossen achtet, gewiß. Jn
Deutschland —-?

Aber vom politischen Kino ganz abge-
sehen: daS Spezialkino für die ver-
schiedenen Filmgattungen überhaupt, diese
alte Forderung Edmund Schopens und
anderer Reformer, verlangt immer drin-
gender nach Erfüllung. Wie es geson-
derte Theater für Dper, Dperette, Revue,
Schauspiel, Gesellschaftsstück, Posse,
Volksstück usw. gibt, müßten auch ge-
sonderte Lichtspielhäuser für die verschie-
denen Gattungen des FilmeS bestehen,
msbesondere für den Kunst- und den
Kitschfilm, der auf diese Weise —- osfen-
sichtlich als ein eigeneö Gebiet auSgegrenzt
— sogar den alten, mittelbar artistischen
Neiz des Tingeltangels und der Schaubude
wieder erhielt. Vor allem aber könnte
dann — cine Wirkung, auf die Schopen
besonders aufmerksam macht — eine
ganze Reihe von ernsthaften Problemen
überhaupt erst im Filme behandelt wer-
den, da uun erst auch auf jenen Teil des
Publikums zu rechnen wäre, der bisher,
durch schlechte Erfahrungen mit Stich-
proben abgeschreckt, die Lichtspielhäusec
mied. — Schon jetzt ist eine Spezialisie-
rung der Lichtspieltheater in den großen
Städten zu bemerken. Nicht nur scheiden
sich die großen ErstausführungStheater
der City (zum Teil Konzern-Theater) von
den ZweitaufführungStheatern der Peri-
pherie; auch unter diesen bilden sich ganz
deutlich Unterschiede heraus, die vom per-
sönlichen Geschmack ihrer Besitzer und
ihres Publikums zeugen. Hier und dort
entsteht außerdem eine besondere Kultur-
filmbühne, und ein Berliner Kino, die
Kamera, erlangte unter der Leitung von
JohanneS Eckardt einen Ruf als auS-

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gesprochenes Jntellektuellen-Kmo für den
künstlerischen, den avantgardistischen, und
— den guten stnmmen Film aus frühe-
ren Zeiten. Denn auch das bedingt die
heutige Ordnung der sogenannten „Ab-
spielbasis": ein Buch, ein Gemälde, ein
Theaterstück von vorbtldlichem Werte für
seine Zeit dient weiter allen kommenden
als Vorbild; der Film — und sei er noch
so tresflich — verschwindet früher oder
später aus Nimmerwiedersehen. Und gar
erst seit Erfindung des Tonfilmes ist
alles, was im stummen Filme geleistet
wurde, einfach begraben. Aber es ist nicht
so, daß daö Vergessene wie in Literatur
und Kunst die Vergessenheit zumeist auch
verdiente; im Filme trisft sie daS Beste
und das Schlechteste wahllos als eine
Folge seiner industriellen und kommerziel-
len Organisation.

*

Die bereits vorhandene Tendenz zum
Spezialkino kann jedoch nicht zum Durch-
bruch gelangen. Daö hindert schon einer
der schlimmsten Mißstände im ganzen
Filmwesen: das Blind- und Block-
b u ch e n. Die Finanzierung vieler Fil-
me ist auf Abschlüssen aufgebaut, die
schon vor ihrer Produktion mit den
Theatern getätigt werden. Und nicht ge-
nug damit, daß der Theaterbesitzer die
Katze im Sack kaufen muß, ja eigentlich
nur den Sack, in den eine noch gar nicht
geborene Katze hineingesetzt werden soll,
er muß gleich einen ganzen Wurf solcher
präexistenter Katzen erwerben; denn der
Theaterbesitzer muß eine Anzahl von 6
bis 10 Filmen im Block abnehmen, der
klüglich vom Verleih auS Wertvollem und
Wertlosem zusammengesetzt wird.

-!-

Derartige wirtschaftliche Gepflogenheiten
und Bindungen erklären ohne weiteres
die Schwierigkeiten, mit denen Organisa-
tionen wie die „Ligen für unab-
hängigen F i l m" in ihrem Bemühen
um einen besseren Spielplan zu kämpfen
haben. Die eigene Beschaffung und Vor-
führung ist für solche Vereinigungen, die
ohne jeden finanziellen Hintergrund ar-
beiten müssen, kaum möglich. Fruchtbar
erwies sich aber die systematische Empfeh-
lung deS guten Programmes durch Pla-
katierung und Versendung von Einladun-
gen an alle irgendwie interessierteu Per-
sönlichkeiten. Die Münchner Liga unter-
stützt damit den mutigen Theaterbesitzer
 
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