kennen. Sie spielt ja schon in fast jedem künstlerischen
werk auch bei dessen Schöpsung mit. Ia, wir sind
vollständig berechtigt, nach dem j)lus von Lrkennt-
niswerten —- und, im Übergange vom Fühlen zum
Lrkennen, von ^ittlichkeitswerten — die allgemeine
wertstellung eines Runstwerkes zu bestimmen — ein-
sach, weil eine Summe größer als ihre Teile ist.
Aber es ist ein kunstwidriges Bemühen, mit der Tr-
kenntnis die Gesühlswerte der Runst versolgen zu
wollen. Das wesen des Runsteindrucks ist, daß er
als eine neue höhere Linheit aus mancherlei Tle-
menten uns augenblicklich offenbar wird. Das Auf-
dröseln in diese Tlemente ist nichts Anderes, als
wissenschastliche Zerlegung eines Akkordes in seine
Grundtöne.
Zur Rlarstellung der nicht ganz einfachen Sach-
lage möge statt hier zu weitsührender Grörterung noch
ein Gleichnis dienen. Die Seele ist einer Orgel ver-
gleichbar, deren Töne von äußeren Rrästen angeschlagen
werden. Zede Trkenntnis, jede wahrnehmung löst
einen Ton aus. Gesühle sind die Resultate, mathe-
matischer gesagt: die Zntegrationen von mehreren
einzelnen Lrkenntnissen und wahrnehmungen, Negister
und Abanualkoxpelungen der Orgel. Zede Berührung
einer Gesühlstaste löst gleich eine ganze bsarmonie
aus, und es heißt das volle Spiel der Grgel vernichten,
wollte man sie nur wie eine Aapagenofläte behandeln.
„So geht es Dir, Zergliedrer Deiner Freuden", sagt
die alte j)seffelsche Fabel.
Aus dem ansangs naiven Bedürsnis, sich über
den Runstausdruck klar zu werden, ihn mitzuteilen,
wird nun sehr bald unter dem Tinflusse der Freude
am Besitz und des Sichselbstdarstellens die Über-
schätzung des Trkennbaren in der Runst und damit
eine Betonung alles desjenigen, was an der Runst
sormal ist, was schließlich nur die wege bedeutet,
aus denen uns der Runsteindruck mühelos zukommen
soll. Daneben begnügt sich das gesteigerte s)ersön-
lichkeitsgesühl nicht mehr damit, sich selbst zu em-
xfinden, sondern es muß sich auch in Bergleich, ja
in Gegensatz zu Anderen stellen: die Titelkeit drängt
sich ein.
Diese beiden Grundsehler aber, Formalismus und
Titelkeit, sind vom Runstkennertum, wie es sich heute
ausgebildet hat, schier uiizertrennlich. Der Runstkenner
hat nicht nur seinen Geschmack veredelt, was jedem
Runstgenießenden im Genusse von selbst widersährt;
er weiß vor Allem das warum und weil, und das
ist seine größte Freude. Tr hat seine Tlle stets bei
der Gand, die ihm schließlich wertvoller, als das
daran Gemessene wird, und regulirt, etikettirt, juftifizirt
jeden Tindruck. Und er weiß, daß er etwas Beson-
deres hat, daß er mehr gesehen, mehr ersammelt,
mehr verkostet hat, als die wienge; daß er die
Finessen sieht und dem armen Rünstler klipx und klar
zeigen kann, „das Lrst wär so, das Zweite so und
drum das Dritt und Dierte so". Lr steht lieber
hinter den Rulissen, drückt auch gern xersönlich dein
Rünstler die Gände, als daß er unter der wtenge im
j^arterre sitzt; er schätzt das Alte an sich als einen
wert, weil sein Studium, seine Wühe daran klebt,
und sühlt nicht mehr so das Glück, etwas Großes,
als das, etwas „Apartes" zu haben. Tr nimmt
nicht mehr aus bei Betrachtung eines Runstwerkes,
s! __
(K
sondern benutzt es nur als Mittel, sich selbst dabei zu
besxiegeln, seine gelehrten Akrobatenkünste daran zu
zeigen. Daher Lorgnon, parsüm, schmatzende Lixxen
und hochgezogene Brauen.
Zch zeichne hier absichtlich einmal nur die Rehr-
seite des Bildes; aber ich thue es, weil die Runst-
kenner gerade heutigen Tages nicht Förderer, sondern
Lsemmnisse der Runstentwicklung sind. Ls ist ganz
klar, daß wir uns aus dem wege von einer über-
lebten zu einer neuen Runst befinden; das Neue aber
deutet sich erst in Reimen an, die zwar höchster Be-
achtung würdig sind, aber doch nicht die Schönheit
einer ausgewachsenen Blüte haben.
Der Runstkenner als Formalist, als „Renner" kann
eben das Neue, das noch Ungekannte nicht kennen;
seine ksaupftfreude versagt hj§r. wlit ausgebildeter
Dialektik, denn sie ist ja eben sein Genußvehikel, weiß
er zu „beweisen", daß alles Alte, „Rlassische" weit
besser ist. Lr sühlt's auch ganz echt so, denn er liebt
eben die Runst, die er sich angeeignet hat, seinen
Besitz, nicht seine seelische Bewegung. So ist er
ein Feind der emporstrebenden Rraft. Aber selbst
wenn er nicht angreifend vorgeht, weil er, avch noch
mit wirklichem Runstgefühl begabt, im Neuen die
Reime eines Großen sieht, so wird doch sein Fein-
schmeckergefühl, das dem Derben entgegen ist, für sich
die größere Summe des Behagens in der abge-
schlossenen Lntwicklung finden, die er vollkommen
überblicken, kennen kann. Das Altgewordene ist für
ihn dar Rostbare.
Der Runstkenner, der nach seiner vermögenslage
wläzen sein könnte, wird deshalb niemals Förderer
der neuen Runst: er kauft nicht neue werke, an denen
er vielleicht nicht mit Unrecht Fehler entdeckt, sondern
er kauft das Alte, dessen wert man kennt, wenn man
Feinschmecker ist. Zch will nicht einmal weiter ver-
folgen, bis zu welchen Rarikaturen des Runstkenner-
tums die Feinschmeckerei führt. Das ist schou mehc
ein Runstfex als ein Renner, der zum Beispiel in einer
wliniatur aus einer Mönchshandschrift mehr Runst-
genuß finden will, als in einem tüchtigen modernen
Bilde. bsier sollte der in Unkundigkeit blamirt da-
stehende taie sich in breitbeinigem ^elbstbewußtsein
mit Bodenstedt trösten: „vieles gemeinem Stand Un-
verftändliche hat seinen Urquell im Unverftand."
Aber wenn diese Fexensammelwut zu einer salschen
wirtschaftlichen neben der ästhetischen Bewertung führt,
so läßt auch noch die Neservirtheit des tüchtigen
Renners den modernen Rünstler darben.
Und wenn ein moderner Rünftler die Vorliebe, die
Rauflust der Renner erregt, so kann man sicher sein,
daß er kein Zdeenmensch, kein Befruchter der Runst,
sondern nur eine reife Frucht einer sertiggewordenen
Runftentwickelung, ein Virtuose, mehr ein pikanter als
eiu origineller Geist ist. Uleissonier ist das befte
Beispiel dafür. Durch solche Schätzung der Renner,
vor deren Urteil der taie sich in das Schneckenhaus
seiner wleinungslosigkeit zurückzieht, wird aber die Be-
wertung aller Runstschöpfungen verschoben. Ghne
materielle Förderung jedoch kann schließlich auch der
beste Rünstler nichts leisten.
Ts muß deshalb mit allem Nachdruck einmal daraus
hingewiesen werden, daß die „Runftkenner", die ich so
im Gegensatz zu wahren Runstsreunden nenne, die
— ss —
werk auch bei dessen Schöpsung mit. Ia, wir sind
vollständig berechtigt, nach dem j)lus von Lrkennt-
niswerten —- und, im Übergange vom Fühlen zum
Lrkennen, von ^ittlichkeitswerten — die allgemeine
wertstellung eines Runstwerkes zu bestimmen — ein-
sach, weil eine Summe größer als ihre Teile ist.
Aber es ist ein kunstwidriges Bemühen, mit der Tr-
kenntnis die Gesühlswerte der Runst versolgen zu
wollen. Das wesen des Runsteindrucks ist, daß er
als eine neue höhere Linheit aus mancherlei Tle-
menten uns augenblicklich offenbar wird. Das Auf-
dröseln in diese Tlemente ist nichts Anderes, als
wissenschastliche Zerlegung eines Akkordes in seine
Grundtöne.
Zur Rlarstellung der nicht ganz einfachen Sach-
lage möge statt hier zu weitsührender Grörterung noch
ein Gleichnis dienen. Die Seele ist einer Orgel ver-
gleichbar, deren Töne von äußeren Rrästen angeschlagen
werden. Zede Trkenntnis, jede wahrnehmung löst
einen Ton aus. Gesühle sind die Resultate, mathe-
matischer gesagt: die Zntegrationen von mehreren
einzelnen Lrkenntnissen und wahrnehmungen, Negister
und Abanualkoxpelungen der Orgel. Zede Berührung
einer Gesühlstaste löst gleich eine ganze bsarmonie
aus, und es heißt das volle Spiel der Grgel vernichten,
wollte man sie nur wie eine Aapagenofläte behandeln.
„So geht es Dir, Zergliedrer Deiner Freuden", sagt
die alte j)seffelsche Fabel.
Aus dem ansangs naiven Bedürsnis, sich über
den Runstausdruck klar zu werden, ihn mitzuteilen,
wird nun sehr bald unter dem Tinflusse der Freude
am Besitz und des Sichselbstdarstellens die Über-
schätzung des Trkennbaren in der Runst und damit
eine Betonung alles desjenigen, was an der Runst
sormal ist, was schließlich nur die wege bedeutet,
aus denen uns der Runsteindruck mühelos zukommen
soll. Daneben begnügt sich das gesteigerte s)ersön-
lichkeitsgesühl nicht mehr damit, sich selbst zu em-
xfinden, sondern es muß sich auch in Bergleich, ja
in Gegensatz zu Anderen stellen: die Titelkeit drängt
sich ein.
Diese beiden Grundsehler aber, Formalismus und
Titelkeit, sind vom Runstkennertum, wie es sich heute
ausgebildet hat, schier uiizertrennlich. Der Runstkenner
hat nicht nur seinen Geschmack veredelt, was jedem
Runstgenießenden im Genusse von selbst widersährt;
er weiß vor Allem das warum und weil, und das
ist seine größte Freude. Tr hat seine Tlle stets bei
der Gand, die ihm schließlich wertvoller, als das
daran Gemessene wird, und regulirt, etikettirt, juftifizirt
jeden Tindruck. Und er weiß, daß er etwas Beson-
deres hat, daß er mehr gesehen, mehr ersammelt,
mehr verkostet hat, als die wienge; daß er die
Finessen sieht und dem armen Rünstler klipx und klar
zeigen kann, „das Lrst wär so, das Zweite so und
drum das Dritt und Dierte so". Lr steht lieber
hinter den Rulissen, drückt auch gern xersönlich dein
Rünstler die Gände, als daß er unter der wtenge im
j^arterre sitzt; er schätzt das Alte an sich als einen
wert, weil sein Studium, seine Wühe daran klebt,
und sühlt nicht mehr so das Glück, etwas Großes,
als das, etwas „Apartes" zu haben. Tr nimmt
nicht mehr aus bei Betrachtung eines Runstwerkes,
s! __
(K
sondern benutzt es nur als Mittel, sich selbst dabei zu
besxiegeln, seine gelehrten Akrobatenkünste daran zu
zeigen. Daher Lorgnon, parsüm, schmatzende Lixxen
und hochgezogene Brauen.
Zch zeichne hier absichtlich einmal nur die Rehr-
seite des Bildes; aber ich thue es, weil die Runst-
kenner gerade heutigen Tages nicht Förderer, sondern
Lsemmnisse der Runstentwicklung sind. Ls ist ganz
klar, daß wir uns aus dem wege von einer über-
lebten zu einer neuen Runst befinden; das Neue aber
deutet sich erst in Reimen an, die zwar höchster Be-
achtung würdig sind, aber doch nicht die Schönheit
einer ausgewachsenen Blüte haben.
Der Runstkenner als Formalist, als „Renner" kann
eben das Neue, das noch Ungekannte nicht kennen;
seine ksaupftfreude versagt hj§r. wlit ausgebildeter
Dialektik, denn sie ist ja eben sein Genußvehikel, weiß
er zu „beweisen", daß alles Alte, „Rlassische" weit
besser ist. Lr sühlt's auch ganz echt so, denn er liebt
eben die Runst, die er sich angeeignet hat, seinen
Besitz, nicht seine seelische Bewegung. So ist er
ein Feind der emporstrebenden Rraft. Aber selbst
wenn er nicht angreifend vorgeht, weil er, avch noch
mit wirklichem Runstgefühl begabt, im Neuen die
Reime eines Großen sieht, so wird doch sein Fein-
schmeckergefühl, das dem Derben entgegen ist, für sich
die größere Summe des Behagens in der abge-
schlossenen Lntwicklung finden, die er vollkommen
überblicken, kennen kann. Das Altgewordene ist für
ihn dar Rostbare.
Der Runstkenner, der nach seiner vermögenslage
wläzen sein könnte, wird deshalb niemals Förderer
der neuen Runst: er kauft nicht neue werke, an denen
er vielleicht nicht mit Unrecht Fehler entdeckt, sondern
er kauft das Alte, dessen wert man kennt, wenn man
Feinschmecker ist. Zch will nicht einmal weiter ver-
folgen, bis zu welchen Rarikaturen des Runstkenner-
tums die Feinschmeckerei führt. Das ist schou mehc
ein Runstfex als ein Renner, der zum Beispiel in einer
wliniatur aus einer Mönchshandschrift mehr Runst-
genuß finden will, als in einem tüchtigen modernen
Bilde. bsier sollte der in Unkundigkeit blamirt da-
stehende taie sich in breitbeinigem ^elbstbewußtsein
mit Bodenstedt trösten: „vieles gemeinem Stand Un-
verftändliche hat seinen Urquell im Unverftand."
Aber wenn diese Fexensammelwut zu einer salschen
wirtschaftlichen neben der ästhetischen Bewertung führt,
so läßt auch noch die Neservirtheit des tüchtigen
Renners den modernen Rünstler darben.
Und wenn ein moderner Rünftler die Vorliebe, die
Rauflust der Renner erregt, so kann man sicher sein,
daß er kein Zdeenmensch, kein Befruchter der Runst,
sondern nur eine reife Frucht einer sertiggewordenen
Runftentwickelung, ein Virtuose, mehr ein pikanter als
eiu origineller Geist ist. Uleissonier ist das befte
Beispiel dafür. Durch solche Schätzung der Renner,
vor deren Urteil der taie sich in das Schneckenhaus
seiner wleinungslosigkeit zurückzieht, wird aber die Be-
wertung aller Runstschöpfungen verschoben. Ghne
materielle Förderung jedoch kann schließlich auch der
beste Rünstler nichts leisten.
Ts muß deshalb mit allem Nachdruck einmal daraus
hingewiesen werden, daß die „Runftkenner", die ich so
im Gegensatz zu wahren Runstsreunden nenne, die
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