dürfe, daß die vertreter der „moralischen" oder ^
klassischen Tonkunst nicht weniger Fehlern unterworfen
sind, als die der ungezügelteren romantischen Nichtung,
und daß überhaupt die Blüte der Künste fast immer
gleichzeitig mit oder unmittelbar nach der Lntsaltung
stärkster leidenschaftlicher Bewegung des politischen
und gesellschaftlichen Lebens hervortrat. Nur die
kirchliche Tonkunst ist hierin ausgenommen. Aber
eine Ligenschast besitzt die riiusik, in welcher ihr keine
andere Runst gleichkommt: sie läßt Gemeines nicht in
die Lsöhe gelangen; sie giebt keine jener modernen
Lumpspslanzen her, die der sogenannte Nealismus
hervorrust (der gar keiner ist, weil er meistens einzelne
Zufälligkeiten als allgemeine Norm aufstellt) und sich
dabei noch als die berechtigste Aunstrichtung aufspielt.
Lelbstverständlich ist dem verfasser der Unterschied
klar zwischen einem wahren Dichterwerke, wie Anzen-
grubers „Diertes Gebot", in dem tiefe Leelenkonflikte
in ergreisendster Weise dargestellt sind, und einem
Drama „Bor ^onnaufgang", wo die Theorie von
der Lrblichkeit der Trunksucht den Lselden bewegt,
das gelrebte Uiädchen zu verlassen, und es zum
Lelbstmord treibt. Und nun gar die schönen
Gemälde von schmierigen alten U)eibern und der-
gleichen anmutigen Lrscheinungen!* * Allen solchen
Dingen bleibt die Niusik fern.
Die Niusik kann ja zuweilen mißbraucht werden,
zur Operette, zu schamlosen Liedern; aber solche ge-
meine Lrzeugnisse können sich nie über eine sehr tief-
liegende Negion erheben, niemals den Anspruch aus
Geltung eines Uunstwerkes erheben, wie dies von'
einer gewissen Zunft in der Literatur und in der
Utalerei sür ihre Lrzeugnisse und sogar nicht erfolg-
los geschieht. Die Musik hat immer eine vornehme
Ltellung behalten und kailn gewissermaßen als die
idealste Uunst betrachtet werden. Goethe erkennt
selbst dem Dilettantismus in der Musik „tiefere Aus-
bildung des 5innes" zu, und sagt weiter: „er stimmt zu
eiirer idealen Lxistenz, selbst wenn die U'lusik nur den
Tanz aufregt." Das Alavier ist also ein Aulturhebel!
Vildende Ikünste.
^ Gegen „Ikunstkenner und Ikeilnerkunst"
zieht bsans Schliepmann mit der „Täglichen Nund-
schau" ins Leld.
Die Nunst ist zweisellos eine der höchsten Äuße-
rungen menschlichen Geistes. Lie soll aber auch in
ihren tvirkungen die umsassendste sein. wie das
gesamte Runstschaffen eines Dolkes ein Zeugnis seines
Ringens und Ltrebens, seines Tharakters ist, so soll
auch jeder Linzelne in dieser Nunst sich wiedersinden,
dnrch sie emporgezogen werden zu einer Gemeinsam-
* Seine Uritik des „Realismus" in poesie nnd bildender
Aunst macht sich der bserr verfasser leicht. Iene, die in
bsauptmanns „var Sonnenausgang" und manchem der „schönen
Gemälde von schmierigen alten weibern" immerhin sechr be-
achtenswerte Aunstleistungen sehen, könnten ikm, wenn sie
böse Nenschen wären, erwidern: aber, verehrter bserr, Sie
haben vom wesen unsrer werke ja gar nichts gesehen.
Denn um das zu sehen, müßten Sie erst durch den trunk-
siichtigen kielden und die „schmierigen alten weiber" hindurch-
hlicken: der Gehalt der Sache steht hinter diesen Leuten.
Taugt er was? Darüber laßt sich streiten. wer aber die
werke moderner Richtung nach solchen Äußerlichkeiten inessen
will, der überträgt ohne es zu merken allen Trnstes aus die
Runst den Grundsatz: Aleider machen Leute. Rw.-L.
^-
keit in edelster geistiger Lreude. Aber dicsem „Loll"
steht eben jene erstgenannte Ligenschast der Runst —
diese im höchsten Sinne gefaßt — entgegen. Alle
höchsten Gipsel werden nur von wenigen erstiegen.
Das bsöchste kann nie „populär" werden. Leit dem
Dorazischen ocli protaunm vulAus — nnd wohl noch
srüher — haben daher alle Rünstler ihr Znneres
der Nlenge gegenüber miniosengleich zusammengesaltet,
der Menge, die stets das Beste nicht verstanden und
es mit der brutalen Anmaßung der Dummheit ver-
lacht hat. ^llles Große aber hat ansänglich stets
nur eine ganz kleine Gemeinde gesunden, deren Lvan-
gelium erst ganz allmählich die Nlenge durchsäuerte.
Nächst den Rünstlern sind es in erster tinie diese
Naturen, denen die Menschheit Dank schuldet. Vor-
urteilslos, offenen Auges, meist voll edelster Lelbst-
verleugnung haben sie die Saat, die der Rünstler
sorglos m Land und Gestein der tauben Masse streute,
gehütet, gepflegt und aufgehen lassen, bis die welt
die köstlichen Früchte erkannte und einsammelte. Diese
wenigen, die einen Rünstler zuerst voll zu würdigen
verstehen und die dann noch nicht das Bedürfnis
zur Lektenbildung und zur Unsehlbarkeitserklärung
ihres b)elden sühlen, um sich zu brüsten, daß es ihr
Lseld ist: diese lVenigen sind es allein, die an der
Runst wirklichen Runstgenuß haben, unbefleckt von
Regungen des Dünkels, des Gelehrtthuns und des
j)ersönlichnehmens. Diese Behauptung ist — slloobinA,
ich weiß; aber ich halte sie doch ausrecht. Zch spreche
allerdings der Nlehrzahl unserer heutigen Gebildeten
die Fähigkeit ab, ein werk rein ästhetisch zu nehmen
und darum vollen Runstgenuß zu haben. Sie
schleppen viel zu viel Lrziehungsvorurteile und Lchul-
weisheitsballast mit sich, uin srei dem Lluge des
Rünstlers solgen zu können, die notwendige Lolge
unserer philosophischen Dressur, die unsere Lmpsin-
dungsseite vollftändig unausgebildet läßt. Lür andere
Leute aber als Vollgenießende hat der Rünstler nie
geschaffen — wenn er nicht sür Leute statt für Zdeen
geschaffen hat.
Lind nun diese Vollgenießenden die „Runstkenner" ?
— Zch kann mir nicht helfen: das lVort löst bei
mir jedesmal die assoziatwen Vorstellungen Lorgnon,
j?arfüm, Naselton, schmatzende Lippen und hochge-
zogene Brauen aus. Licherlich inüssen die Runft-
genießenden auch Runstkennende sein. Aber wir ver-
stehen unter „Runstkennern" jetzt eine besondere Lpezies.
Ltatt einer Antwort, wie ich iin Allgemeinen über
sie denke, gab ich schon einen Lmpsindungswert. Zch
muß ihn begründen. Zm LVorte bereits liegt das
Lchiese des Runstkennertums angedeutet: Runst ist
nicht Rennen, sondern Rönnen. Die wirkung einer
Rrast aber (die Ursache des Rönnens) ist nicht Lrkennt-
nis, sondern Gefühl. Das lVesentliche an der Runst
ist nicht das Lrkennen, sondern das Lühlen. Zede
starke seelische Linwirkung erweckt nun den Drang
nach Nkitteilung, lVeiterwirkung.
Das Lühlen aber läßt sich wiederum nicht anders
mitteilen, als durch — Runst; lVorte geben nur das
Lrkennen; und so wird denn für Denjenigen, der
zwar von der Runst einen starken Lindruck hat, der
ihn aber nicht wieder in Rnnst umgießen kann, eine
andere Neihe seelischer Besriedigung zum Lrsatz her-
beigerusen: die leichter mitteilbare Lreude am Lr-
klassischen Tonkunst nicht weniger Fehlern unterworfen
sind, als die der ungezügelteren romantischen Nichtung,
und daß überhaupt die Blüte der Künste fast immer
gleichzeitig mit oder unmittelbar nach der Lntsaltung
stärkster leidenschaftlicher Bewegung des politischen
und gesellschaftlichen Lebens hervortrat. Nur die
kirchliche Tonkunst ist hierin ausgenommen. Aber
eine Ligenschast besitzt die riiusik, in welcher ihr keine
andere Runst gleichkommt: sie läßt Gemeines nicht in
die Lsöhe gelangen; sie giebt keine jener modernen
Lumpspslanzen her, die der sogenannte Nealismus
hervorrust (der gar keiner ist, weil er meistens einzelne
Zufälligkeiten als allgemeine Norm aufstellt) und sich
dabei noch als die berechtigste Aunstrichtung aufspielt.
Lelbstverständlich ist dem verfasser der Unterschied
klar zwischen einem wahren Dichterwerke, wie Anzen-
grubers „Diertes Gebot", in dem tiefe Leelenkonflikte
in ergreisendster Weise dargestellt sind, und einem
Drama „Bor ^onnaufgang", wo die Theorie von
der Lrblichkeit der Trunksucht den Lselden bewegt,
das gelrebte Uiädchen zu verlassen, und es zum
Lelbstmord treibt. Und nun gar die schönen
Gemälde von schmierigen alten U)eibern und der-
gleichen anmutigen Lrscheinungen!* * Allen solchen
Dingen bleibt die Niusik fern.
Die Niusik kann ja zuweilen mißbraucht werden,
zur Operette, zu schamlosen Liedern; aber solche ge-
meine Lrzeugnisse können sich nie über eine sehr tief-
liegende Negion erheben, niemals den Anspruch aus
Geltung eines Uunstwerkes erheben, wie dies von'
einer gewissen Zunft in der Literatur und in der
Utalerei sür ihre Lrzeugnisse und sogar nicht erfolg-
los geschieht. Die Musik hat immer eine vornehme
Ltellung behalten und kailn gewissermaßen als die
idealste Uunst betrachtet werden. Goethe erkennt
selbst dem Dilettantismus in der Musik „tiefere Aus-
bildung des 5innes" zu, und sagt weiter: „er stimmt zu
eiirer idealen Lxistenz, selbst wenn die U'lusik nur den
Tanz aufregt." Das Alavier ist also ein Aulturhebel!
Vildende Ikünste.
^ Gegen „Ikunstkenner und Ikeilnerkunst"
zieht bsans Schliepmann mit der „Täglichen Nund-
schau" ins Leld.
Die Nunst ist zweisellos eine der höchsten Äuße-
rungen menschlichen Geistes. Lie soll aber auch in
ihren tvirkungen die umsassendste sein. wie das
gesamte Runstschaffen eines Dolkes ein Zeugnis seines
Ringens und Ltrebens, seines Tharakters ist, so soll
auch jeder Linzelne in dieser Nunst sich wiedersinden,
dnrch sie emporgezogen werden zu einer Gemeinsam-
* Seine Uritik des „Realismus" in poesie nnd bildender
Aunst macht sich der bserr verfasser leicht. Iene, die in
bsauptmanns „var Sonnenausgang" und manchem der „schönen
Gemälde von schmierigen alten weibern" immerhin sechr be-
achtenswerte Aunstleistungen sehen, könnten ikm, wenn sie
böse Nenschen wären, erwidern: aber, verehrter bserr, Sie
haben vom wesen unsrer werke ja gar nichts gesehen.
Denn um das zu sehen, müßten Sie erst durch den trunk-
siichtigen kielden und die „schmierigen alten weiber" hindurch-
hlicken: der Gehalt der Sache steht hinter diesen Leuten.
Taugt er was? Darüber laßt sich streiten. wer aber die
werke moderner Richtung nach solchen Äußerlichkeiten inessen
will, der überträgt ohne es zu merken allen Trnstes aus die
Runst den Grundsatz: Aleider machen Leute. Rw.-L.
^-
keit in edelster geistiger Lreude. Aber dicsem „Loll"
steht eben jene erstgenannte Ligenschast der Runst —
diese im höchsten Sinne gefaßt — entgegen. Alle
höchsten Gipsel werden nur von wenigen erstiegen.
Das bsöchste kann nie „populär" werden. Leit dem
Dorazischen ocli protaunm vulAus — nnd wohl noch
srüher — haben daher alle Rünstler ihr Znneres
der Nlenge gegenüber miniosengleich zusammengesaltet,
der Menge, die stets das Beste nicht verstanden und
es mit der brutalen Anmaßung der Dummheit ver-
lacht hat. ^llles Große aber hat ansänglich stets
nur eine ganz kleine Gemeinde gesunden, deren Lvan-
gelium erst ganz allmählich die Nlenge durchsäuerte.
Nächst den Rünstlern sind es in erster tinie diese
Naturen, denen die Menschheit Dank schuldet. Vor-
urteilslos, offenen Auges, meist voll edelster Lelbst-
verleugnung haben sie die Saat, die der Rünstler
sorglos m Land und Gestein der tauben Masse streute,
gehütet, gepflegt und aufgehen lassen, bis die welt
die köstlichen Früchte erkannte und einsammelte. Diese
wenigen, die einen Rünstler zuerst voll zu würdigen
verstehen und die dann noch nicht das Bedürfnis
zur Lektenbildung und zur Unsehlbarkeitserklärung
ihres b)elden sühlen, um sich zu brüsten, daß es ihr
Lseld ist: diese lVenigen sind es allein, die an der
Runst wirklichen Runstgenuß haben, unbefleckt von
Regungen des Dünkels, des Gelehrtthuns und des
j)ersönlichnehmens. Diese Behauptung ist — slloobinA,
ich weiß; aber ich halte sie doch ausrecht. Zch spreche
allerdings der Nlehrzahl unserer heutigen Gebildeten
die Fähigkeit ab, ein werk rein ästhetisch zu nehmen
und darum vollen Runstgenuß zu haben. Sie
schleppen viel zu viel Lrziehungsvorurteile und Lchul-
weisheitsballast mit sich, uin srei dem Lluge des
Rünstlers solgen zu können, die notwendige Lolge
unserer philosophischen Dressur, die unsere Lmpsin-
dungsseite vollftändig unausgebildet läßt. Lür andere
Leute aber als Vollgenießende hat der Rünstler nie
geschaffen — wenn er nicht sür Leute statt für Zdeen
geschaffen hat.
Lind nun diese Vollgenießenden die „Runstkenner" ?
— Zch kann mir nicht helfen: das lVort löst bei
mir jedesmal die assoziatwen Vorstellungen Lorgnon,
j?arfüm, Naselton, schmatzende Lippen und hochge-
zogene Brauen aus. Licherlich inüssen die Runft-
genießenden auch Runstkennende sein. Aber wir ver-
stehen unter „Runstkennern" jetzt eine besondere Lpezies.
Ltatt einer Antwort, wie ich iin Allgemeinen über
sie denke, gab ich schon einen Lmpsindungswert. Zch
muß ihn begründen. Zm LVorte bereits liegt das
Lchiese des Runstkennertums angedeutet: Runst ist
nicht Rennen, sondern Rönnen. Die wirkung einer
Rrast aber (die Ursache des Rönnens) ist nicht Lrkennt-
nis, sondern Gefühl. Das lVesentliche an der Runst
ist nicht das Lrkennen, sondern das Lühlen. Zede
starke seelische Linwirkung erweckt nun den Drang
nach Nkitteilung, lVeiterwirkung.
Das Lühlen aber läßt sich wiederum nicht anders
mitteilen, als durch — Runst; lVorte geben nur das
Lrkennen; und so wird denn für Denjenigen, der
zwar von der Runst einen starken Lindruck hat, der
ihn aber nicht wieder in Rnnst umgießen kann, eine
andere Neihe seelischer Besriedigung zum Lrsatz her-
beigerusen: die leichter mitteilbare Lreude am Lr-