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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 5.1891-1892

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Heft 11 (1. Märzheft 1892)
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Sprechsaal
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Aus der Bücherei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11726#0175

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ga»z krank wird vor Sehnsucht nach dem, was er so
stark umfaßt, daß es ein Teil seines eigenen wesens
geworden. Lr bewundert zwar seine Lieder nicht,
er hat zwar keinen Standpunkt ihnen gegenüber, aber
ihr Standpunkt ist mitten in seinem Lserzen. Daher
weiß er auch nichts weiter von ihrem Werte. wort-
los, selbstoerständlich, schlicht ist seine Liebe und doch
voller Tiefe.

Aber Spitteler sagt, die Runst ist dem naiven Men-
schen nur Tand, und merkt nicht, wie er damit ein-
fach die Berechtigung der Aunst selbst untergräbt!
Spitteler sagt, die Lieder wären dem volke verächt-
liche Schnurrpfeifereien, und merkt nicht, daß er da-
mit dem Schooß, dem wir alle und auch er selber
entsprossen, die tieffte Schmach anthut, ihm das Trau-
rigste vorwirft, was es in Menschenseelen nur giebt:
gemeinen Sinn!

Im Folgenden entwirft dann Spitteler ein Bild
von der j)ersönlichkeit des Dichters. Ich gebe zu,
daß es solche Dichterpersönlichkeiten giebt, und sie
sind gewiß nicht die schlechtesten. Lins vor allem
aber scheint mir besonders charakteristisch für sie: sie
fassen alle das Dichten als einen Beruf auf, in dem
man es zur möglichsten vollkommenheit zu bringen
habe, wobei es natürlich nicht ohne Nöte, j)lagen,
Zweifel und allerhand Schmerzen abgeht. Nun sei
es auch mir vergönnt, eine Dichterpersönlichkeit nach
meiner Anschauung zu schildern, einen Dichter, dem
das Dichten nicht Beruf, sondern freie Gabe der
Natur ist, der nicht in der Dichtkunst strebt, wohl
aber im Leben, dem die biunst nichts ist, als das Tr-
gebnis, als der Abglanz des Lebens. Linem solchen
Dichter ist schon gleich nach der „eruptiven Linmal-
schöpfung" das „Umsehen in allen Formen, das schmerz-
liche Suchen und Tasten, in welchen Gebieten er das
Höchste leisten werde" erspart. was braucht er
Suchen und Tasten! <Lr lebt und strebt, bis die
Fülle dcs Erlebten wiederum gewaltig zur Aussprache
drängt mit zwingender Notwendigkeit, die demgemäß
dem Rünstler kein Überlegen der Form mehr zuläßt,
sondern sie eben dem Rünstler aufzwingt. Auch mit
dem „ruhelosen Weben und Schaffen" in der Sphäre
des Gemüts und der jDhantasie, womit schwere
Ltörungen des Temperaments und des Nervensystems
verbunden sind, hat er nichts zu thun. <Lr schickt
seinen Geist nicht wie einen Tagelöhner hinaus auf

das Arbeitsfeld der sshantasie, um dort im Schweiße
des Angesichts zu arbeiten, sondern das ist ja gerade
die besondere Veranlagung seines Geistes, daß er ohne
Wollen und Wissen und mühelos, vom Leben be-
fruchtet, Gestalten und Bilder gebiert. Das Leben
strömt auf den Dichter ein und bedrängt ihn, ver-
wirrt ihn und treibt all seine grausamen Rünste mit
ihm. weh und Schmerz und heißer Zorn streiten in
seinem Lserzen. Wie soll er sich helfen? Da senkt
sich der Genius auf ihn herab. Und plötzlich ist er
nicht mehr allein. Sein weh und sein teid fügt sich
in das große Gefüge der welt, er fühlt, daß er Rind
ist der Lwigkeit wie alles, alles rings um ihn. Znnige
Liebe ergreift ihn, verknüpft ihn mit allem Geschaffenen.
Sein eigen weh, sein eigen Leid taucht erlöst unter
in dem Ltrome der welt. Zetzt ruht er am Herzen
Gottes in seliger Ruhe, und milden und großen Sinnes
schafft er, nun alles weh, alle Schmerzen zu sanfter
wehmut gedämpft sind, ein ewig dauerndes Leben.

So scheint mir das Dichten zu beruhen auf jener
! innigen Liebe zur welt, auf jenem Gefühle des Lins-
seins mit Gott. Lin Gefühl, das einem alles, alles,
das Leben in Schmutz und Rleinlichkeit selber heiligt, so
daß jedwedes Ding unter dem Himmel ^ tönen beginnt
und den j)reis seines Schöpfers zu singen. Und solch
ein inniges Liebesgefühl, sollte das nicht erst recht
alle Sinne mit göttlicher Niilde erfüllen und den Be-
gnadeten durchs Leben wandeln lassen als höchstes
Glück für die Nkitlebenden, die seines Umgangs ge-
nießen, als leuchtendes vorbild für spätere Geschlechter!
Und haben wir nicht solch vollkommenen Dichter und
Ulenschen in Goethe?

Fern sei es von mir, der großen Ulutter mit diesen
Zeilen vorschreiben zu wollen, wie sie die Dichter ge-
stalten müsse. Giebt es denn ein inniger Lrgötzen,
als den unerschöpflichen Neichtum ihrer Gebilde be-
trachten zu dürfen? Nur dagegen wollt ich mich
wehren, daß Spitteler etwas anderes gegeben, als die
Schilderung einzelner Dichterpersönlichkeiten, und vor
allem wollt ich darauf hinweisen, was das jetzige
Geschlecht ganz zu vergessen scheint: daß die Dicht-
kunst kein Beruf sondern eine Gabe ist, und daß eine
^ hohe, stärkende, segnende, heiligende, beglückende Rraft
in der Gabe der Dichtkunst sich birgt.

L. weber.

Aus der Wückerei

Gtto Ludwigs gesammelte Scbrttten. Mit einer
Lebensbeschreibnng des Dichters herausgegeben von Adolf
Stern. (Leipzig, Fr. lvilh. Grunow). — „Ls giebt kaum
einen Dichter", sagt bseinrich Bulthaupt cinmal von Ludwig,
„Scssen Bedeutung so wenig iin Berhältnis zu seinem Rufe
steht. was er geleistet, das lebt in den — Literaturgeschichten.
Und doch, eine kleine, stille Gemeinde hat der außerordentliche
Mann, die seine Fehler nicht abschrecken, tiefer in sein wesen
einzudringen und seine Größe zu bewundern." Seit Ludwigs
Lode sind aus oieser Gemeinee in nicht gar zu langcn Zwischen-
ränmen immcr wieder Männer ausgetreten, die begeistert für
ihn zeugten und thaten, was sie nur thun konnten, um neue
Glieder für ihren Bund zu werben. wird es die vortreffliche
neue Ausgabe seiner Schriften, wird es Sterns verständnis- und
liebevolle Biographie erreichen, daß endlich mehr der gebildeten
Deutschen diesen Dichter kennen lernen? Er selber macht es
es ihnen nicht leicht, gehört er doch auch zu jenen, die, wie
vischer von Reller sagt, Rirschen geben und keinen Rirsch-

geist, den die Leute doch gern fertig abgezogen kausen, — zu
jenen, die Gestalten schaffen, nicht Abstraktionen vorrechnen,
zu jenen also, dic vom Leser phantasie verlangen. Nicht nur
der Gehalt seiner werke, wahrlich, auch die menschliche Per-
sönlichkeit dieses Dichters ift es wert, daß wir sie kennen
lernen. Denn er gehörte zu den zu allen Zeiten Seltenen,
die keinen tieseren wunsch, kein heißcres Ltreben kennen, als,
daß die Arbeit ihres Geiftes so vollendet sei, wie sie nach den
innewohnenden Rräften sein könne, die sich als duldende
Diener ihres Genius fühlen, nicht als Herren einer vorteil-
haft zu benutzenden Bcgabung. was hätte der Reichtum
dieser Seele uns alles schenken können, hätte nicht so viel von
ihm im Rampf mit widerlichkeiten verbraucht werden müffen!

/Ildörike-Storm-Wrtekwecbsel. Ljerausgegeben von
Iakob Bächtoldt. (Stuttgart, G. I. Göschen.) — Gerade
von denen, die Storm aus eigenem Briefwechfel kennen, wird
eine falfche Lrwartung zu überwinden fein, ehe sie dieses
kleine Sammelwerk recht genießen. wie ganz wenige ver

- ißö
 
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