I willen, die einer wahren, nicht tendenziösen, volks-
bildung innewohnt. Ls haben sich früher völker
gegenseitig gehaßt und Barbaren genannt, weil sie
von einander nichts wußten. Auch die Besitzendeu
und die Besitzlosen von heute kennen sich nicht, auch
sie wissen nichts von einander. Lin tieses Aieer
rollt zwischen ihnen, und was von einem Ufer an
das andere schallt, sind die B'iären von den „Bar-
baren", die da drüben hausen. Nie ist die Lntfrem-
dung zwischen F>tand und Stand desselben volkes so
groß gewesen, wie heute, und nie haben die Pjraten
von beiden Ufern es besser als jetzt zu verhüten ver-
standen, daß echte Schätze ausgetauscht wurden.
Das volkstümliche Theater könnte diesen
Austausch vermitteln; es könnte die Linen bereichern,
indem es sie mit dem ursprünglichen, einsachen und
tiefen Lmpsinden der Anderen vertraut macht, und
könnte den Anderen die ihnen fehlenden Schätze einer
feineren Geisteskultur übermitteln. Lin wahrhast volks-
tümliches Theater, dessen Zuschauerplätze zumeist ge-
bildete und sich bilden wollende Leute einnehmen,
dürfte von diesem j?rogramm nicht absehen. Daß die
heutigen Bühnen, namentlich die der größten Städte,
derartige Ziele nicht erstreben, ist nicht die Schuld
ihrer Leiter, die doch von dem Geschmack eines gut
zahlenden j)arkett- und Lrsten-Nang-ssublikums ab-
hängen. Und dieses — ich will eimnal das schreck-
liche U)ort gebrauchen — dieses 6n cie 8iecle-s?ublikum
wünscht ausgetiftelte jdrobleine spitzsindig behandelt
zu sehen, wünscht seinen von Arbeit oder Genuß er-
schlafften Nerven auf wenige siüchtige Stunden neue
Spannung zu verleiheu oder auch nur nach einein
guten Mahle der Nerdauung zu psiegen.
Die Frage: „was bringt es ein?" und die Runst
schlagen einander regelmäßig tot. Lntscheidet sich der
Rünstler für die Runst, verstummt die Frage, stellt er
die Frage, stirbt der Aünstler in ihm. Die Leitung
eines Theaters für das volk wird also bei der wahl
des Spielplans von der national-ökonomischen N)ert-
bemessung der Theaterstücke, nach ihrer Lignung, Be-
dürfnisse eines gut zahlenden j?ublikums zu befriedigen,
des Nunstzweckes wegen absehen müssen. Tin j)rivat-
unternehmer wird dies kaum thun, aber der Staat
kann es. Zch sehe auch nicht ein, warum er es nicht
thun sollte. Menn heute z. B. das Berliner Rönig-
liche Schauspielhaus in eine volksbühne verwandelt
würde, wer würde darunter leiden? Das bisherige
jdublikum gewiß nicht; im Deutschen Theater und im
Lessing-Theater sindet es ein ähnliches Nepertoire und
gleichwertige Darstellung. Der Staat? Ls würde
sicherlich kein Loch dadurch in die Staatsfinanzen
kommen, daß ein Parkettplatz im Schauspielhause nur
ein und eine halbe oder zwei Mark kostete. Der
vermögenslose Beamte mit ^ooo —§000 Mark Iahres-
einkommen würde es sich und seiner Familie dcmn
nicht versagen müssen, das Theater zu besuchen. vier
Mark kann er vielleicht für zwei Tintrittskarten auf-
wenden, zehn Aiark nicht; ihm geht es hier nicht
besser, als dem Handarbeiter, der für zwei bescheidene
Ätzplätze nicht drei bis vier Niark aufzubringen vermag.
Und wenn die Sache Zuschüsse kostete: der
Staat uuterhält ja Theater — nur nicht volks-
theater! Lr unterhält ferner mit Aufwendung be-
deutender Mittel an allen großen Orten Bilder-
galerien und stattet die öffentlichen Bauten zum Teil
mit recht vielem Gelde auf das ^errlichste aus. Zn
der That ist das „Necht auf Nunst" von jeher still-
schweigend oder laut als eiue Art von Bürgerrecht
betrachtet worden, nur daß man es auf eine oder
zwei Uünste beschränkte.
Der versöhnenden Niission, welche die Schaubühne
zu erfüllen vermöchte, ist vorhin gedacht worden.
bsüben und drüben kann sie den blinden kvahn von
den Barbaren am anderen Ufer vernichten, wenn sie
in den Nilenschen aller Stände eben nur das Niensch-
liche und das Allzu-Nienschliche zeigt. Tinfachen, nicht
ertiftelten Stoffen, für ein jdublikum von Nindern der
Zeit, Stoffen, die mit kräftiger und wahrer j)insel-
führung nnd im Lsinblick auf die höchsten Nunstziele
behandelt sind, sollten sich die Dramatiker widmen.
Aber sie sollten auch nicht stecken bleiben in unserer
winterlichen Gegenwart: was sie aus dem Nauschen
des ersten Frühlingswindes mit ahnender F>eele er-
fassen, was sich ihnen selbst im ehrlichen Ningen offen-
bart, das sollen sie in harmonischer Ausgestaltung dem
volke darbieten. Führende und gute Geister sollen
sie den Lichthungrigen und den verzweifelten sein;
wo es dunkel ist um uns, da sollen sie führen, damit
wir nicht irren, wo ihre schärferen Augen das Grauen
des N"lorgens erkennen, dorthin sollen sie weisen, da-
mit wir dein Lichte hoffend entgegen gehen. Als
ehrliche und kühne Streiter — und der Dichter
streitet, so lange er lebt — mögen sie für Zdeale
kämpfen, für lebendige alte, wie für die jungen neuen.
Gb wir Dichter zu den unseren zählen, die den
höchsten idealen Forderungen entsprechen könnten?
Zch glaube, daß wir sie besitzen. Andere werden
daran zweifeln. Doch dann erst kann entschieden
werden, wer Necht hat mit seinem Glauben oder Un-
glauben, wenn der Schauplatz da ist, aus dem die
Talente sich bethätigen können. bvie viele aber mögen
es verzweifelnd aufgegeben haben, für ein Theater
zu schreiben, das noch nicht besteht, und zu einem
publikum zu sprechen, das ihn nicht hören kann!
A. Kerger.
Ikundscbau
Allaenleineres
* Die /D^stik in der Ikunst gewinnt auch
iu Deutschland mehr und mehr an Linfluß. Aber das
verschiedenartigste wird unter dem Begriffe „Nlystik"
gerade auf diesem Gebiete verstanden. tvir möchten
unsern Lesern für heute einen Aussatz von viktor
Nott zur j)rüfung vorlegen, der sich im „Atelier"
über den Gegenstand folgendermaßen ausspricht:
Alle Rreatur muß ausruhen; denn das wachsen,
Leben und Denken und Schaffen ermüdet. Rein
irdisches wesen vermag ewig das Licht zu ertragen,
und auch der Nlensch steigt gern von den hellen
Höhen des Trkennens in die dämmernden Thäler der
Träume herab, „wo Lsimmelskräfte auf- und nieder-
steigen" und die matte Seele mit Lust zu neuen Thaten
— 2.iß —
bildung innewohnt. Ls haben sich früher völker
gegenseitig gehaßt und Barbaren genannt, weil sie
von einander nichts wußten. Auch die Besitzendeu
und die Besitzlosen von heute kennen sich nicht, auch
sie wissen nichts von einander. Lin tieses Aieer
rollt zwischen ihnen, und was von einem Ufer an
das andere schallt, sind die B'iären von den „Bar-
baren", die da drüben hausen. Nie ist die Lntfrem-
dung zwischen F>tand und Stand desselben volkes so
groß gewesen, wie heute, und nie haben die Pjraten
von beiden Ufern es besser als jetzt zu verhüten ver-
standen, daß echte Schätze ausgetauscht wurden.
Das volkstümliche Theater könnte diesen
Austausch vermitteln; es könnte die Linen bereichern,
indem es sie mit dem ursprünglichen, einsachen und
tiefen Lmpsinden der Anderen vertraut macht, und
könnte den Anderen die ihnen fehlenden Schätze einer
feineren Geisteskultur übermitteln. Lin wahrhast volks-
tümliches Theater, dessen Zuschauerplätze zumeist ge-
bildete und sich bilden wollende Leute einnehmen,
dürfte von diesem j?rogramm nicht absehen. Daß die
heutigen Bühnen, namentlich die der größten Städte,
derartige Ziele nicht erstreben, ist nicht die Schuld
ihrer Leiter, die doch von dem Geschmack eines gut
zahlenden j)arkett- und Lrsten-Nang-ssublikums ab-
hängen. Und dieses — ich will eimnal das schreck-
liche U)ort gebrauchen — dieses 6n cie 8iecle-s?ublikum
wünscht ausgetiftelte jdrobleine spitzsindig behandelt
zu sehen, wünscht seinen von Arbeit oder Genuß er-
schlafften Nerven auf wenige siüchtige Stunden neue
Spannung zu verleiheu oder auch nur nach einein
guten Mahle der Nerdauung zu psiegen.
Die Frage: „was bringt es ein?" und die Runst
schlagen einander regelmäßig tot. Lntscheidet sich der
Rünstler für die Runst, verstummt die Frage, stellt er
die Frage, stirbt der Aünstler in ihm. Die Leitung
eines Theaters für das volk wird also bei der wahl
des Spielplans von der national-ökonomischen N)ert-
bemessung der Theaterstücke, nach ihrer Lignung, Be-
dürfnisse eines gut zahlenden j?ublikums zu befriedigen,
des Nunstzweckes wegen absehen müssen. Tin j)rivat-
unternehmer wird dies kaum thun, aber der Staat
kann es. Zch sehe auch nicht ein, warum er es nicht
thun sollte. Menn heute z. B. das Berliner Rönig-
liche Schauspielhaus in eine volksbühne verwandelt
würde, wer würde darunter leiden? Das bisherige
jdublikum gewiß nicht; im Deutschen Theater und im
Lessing-Theater sindet es ein ähnliches Nepertoire und
gleichwertige Darstellung. Der Staat? Ls würde
sicherlich kein Loch dadurch in die Staatsfinanzen
kommen, daß ein Parkettplatz im Schauspielhause nur
ein und eine halbe oder zwei Mark kostete. Der
vermögenslose Beamte mit ^ooo —§000 Mark Iahres-
einkommen würde es sich und seiner Familie dcmn
nicht versagen müssen, das Theater zu besuchen. vier
Mark kann er vielleicht für zwei Tintrittskarten auf-
wenden, zehn Aiark nicht; ihm geht es hier nicht
besser, als dem Handarbeiter, der für zwei bescheidene
Ätzplätze nicht drei bis vier Niark aufzubringen vermag.
Und wenn die Sache Zuschüsse kostete: der
Staat uuterhält ja Theater — nur nicht volks-
theater! Lr unterhält ferner mit Aufwendung be-
deutender Mittel an allen großen Orten Bilder-
galerien und stattet die öffentlichen Bauten zum Teil
mit recht vielem Gelde auf das ^errlichste aus. Zn
der That ist das „Necht auf Nunst" von jeher still-
schweigend oder laut als eiue Art von Bürgerrecht
betrachtet worden, nur daß man es auf eine oder
zwei Uünste beschränkte.
Der versöhnenden Niission, welche die Schaubühne
zu erfüllen vermöchte, ist vorhin gedacht worden.
bsüben und drüben kann sie den blinden kvahn von
den Barbaren am anderen Ufer vernichten, wenn sie
in den Nilenschen aller Stände eben nur das Niensch-
liche und das Allzu-Nienschliche zeigt. Tinfachen, nicht
ertiftelten Stoffen, für ein jdublikum von Nindern der
Zeit, Stoffen, die mit kräftiger und wahrer j)insel-
führung nnd im Lsinblick auf die höchsten Nunstziele
behandelt sind, sollten sich die Dramatiker widmen.
Aber sie sollten auch nicht stecken bleiben in unserer
winterlichen Gegenwart: was sie aus dem Nauschen
des ersten Frühlingswindes mit ahnender F>eele er-
fassen, was sich ihnen selbst im ehrlichen Ningen offen-
bart, das sollen sie in harmonischer Ausgestaltung dem
volke darbieten. Führende und gute Geister sollen
sie den Lichthungrigen und den verzweifelten sein;
wo es dunkel ist um uns, da sollen sie führen, damit
wir nicht irren, wo ihre schärferen Augen das Grauen
des N"lorgens erkennen, dorthin sollen sie weisen, da-
mit wir dein Lichte hoffend entgegen gehen. Als
ehrliche und kühne Streiter — und der Dichter
streitet, so lange er lebt — mögen sie für Zdeale
kämpfen, für lebendige alte, wie für die jungen neuen.
Gb wir Dichter zu den unseren zählen, die den
höchsten idealen Forderungen entsprechen könnten?
Zch glaube, daß wir sie besitzen. Andere werden
daran zweifeln. Doch dann erst kann entschieden
werden, wer Necht hat mit seinem Glauben oder Un-
glauben, wenn der Schauplatz da ist, aus dem die
Talente sich bethätigen können. bvie viele aber mögen
es verzweifelnd aufgegeben haben, für ein Theater
zu schreiben, das noch nicht besteht, und zu einem
publikum zu sprechen, das ihn nicht hören kann!
A. Kerger.
Ikundscbau
Allaenleineres
* Die /D^stik in der Ikunst gewinnt auch
iu Deutschland mehr und mehr an Linfluß. Aber das
verschiedenartigste wird unter dem Begriffe „Nlystik"
gerade auf diesem Gebiete verstanden. tvir möchten
unsern Lesern für heute einen Aussatz von viktor
Nott zur j)rüfung vorlegen, der sich im „Atelier"
über den Gegenstand folgendermaßen ausspricht:
Alle Rreatur muß ausruhen; denn das wachsen,
Leben und Denken und Schaffen ermüdet. Rein
irdisches wesen vermag ewig das Licht zu ertragen,
und auch der Nlensch steigt gern von den hellen
Höhen des Trkennens in die dämmernden Thäler der
Träume herab, „wo Lsimmelskräfte auf- und nieder-
steigen" und die matte Seele mit Lust zu neuen Thaten
— 2.iß —