Eindruck der beiden Werke lant genug gegen die Annahme,
daß etwa von ihrer Neuaufführung eine Rückwirkung auf unser
Musikleben zu erwarten sei. „Einfalt und Größe der Form
ist der Musik Cherubinis gewiß nicht abzusprechen", schreibt
Humperdinck, „und in dieser Beziehung könnte sie wohl unsrer
Zeit als musterbildlich zu empfehlen sein, allein nm derart zu
wirken, sehlt es dem Tonwerk des sranzösirten italienischen
Maöstro doch zu sehr an der Ursprünglichkeit und Krast der
Empfindung, die allein sortzeugend weiterschafft. Die Kunst
Cherubinis ist eine Kunst zweiten Ranges, denn sie ist eine
Kunst aus zweiter Hand. Was seine Werke sür das Leben
der dramatischen Musik wertvoll macht, das hat vor ihm Gluck
geschaffen, das können wir in »Armida« und »Jphigenie« reiner
erkennen und besser lernen; was in den Augen der Zeitgenossen
den besondern Vorzug des Pariser Konservatoriums-Professors
bildete, die bewundernswürdige Durchsührung und Abrundung
der großen Zusammenspielsätze, die geistvolle Ausarbeitung des
Satzes, das ist den Meistern der großen Oper als Erbe zuge-
sallen nnd von ihnen zu noch höherer Vollendung gebracht
worden. So erscheinen uns heute die Künste und harmonischen
Kunststücke des alten Cherubini, einst bei den Musikanten sein
höchster Ruhmestitel, recht harmlos und einfach, und die
pedantisch-gelehrte, kleinliche und steife Art seiner Musiksprache
entschädigt uns, aller Kunst und allem Geist zum Trotz, nicht
für den Mangel an Lebenswärme und Lebenssülle." Auch
Boieldieus Rotkäppchen, ein aus dem Jahre t«l9 stammendes
liebenswürdiges Werk des Klassikers der französischen komischen
Oper, trägt heute denn doch gar zu viel Züge des Alters, als
daß es noch anders als historisch genossen werden könnte.
Selbst manche gar feine Wendungen, die den Komponisten der
„Weißen Dame" erkennen lassen, vermögen dem Werk heute
nicht mehr aufzuhelfen. Besonders interessirte die muntere
Ouverture, die eine Art Programmmusik bildet, wenn auch in
Mozartischem Schnitt. Jhr liegen als Vorwurf die einzelnen
Momente des Märchens zu Grunde. Um so größer ist daraus
die Überraschung, in der Handlung der Oper selbst einer aus
der Märchenwelt in die brutale Wirklichkeit übersetzten Ver-
führungsgeschichte zu begegneu. Der böse Wolf ist nämlich
hier ein leichtsinniger Baron, ein Don Juan schlimmster Sorte.
Er hat es auf schön Röschen, die Pflegetochter der Bäuerin
Bertha, abgesehen. Aber Röschen besitzt ein rotes Käppchen,
das als Geschenk eines frommen Eremiten sie gegen alle An-
fechtungen stichfest macht. Unser Baron hat dasür wieder einen
Zauberring, der ihm alle Weiber gewinnen hilst. Jm Walde
lauert er dem armen Kinde auf. Röschen wehrt sich aus
Leibeskrästen gegen seine Angriffe. Sie befindet sich, wie der
Wolf-Baron wohl weiß, anf dem Wege zu ihrem guten
Eremiten. Der Wolf weiß auch, daß der Eremit gerade ab-
wesend ist, eilt auf Umwegen deshalb schnell in dessen Klause,
schlüpst in die zurückgelassene Kutte und sucht nun auf diese
Weise Röschen in seine Krallen zu bekommen. Da aber tritt
der wahre Eremit herein und entlarvt den Schändlichen mit
der Würde seines Konfraters aus dem „Freischütz". Es stellt
sich dann noch heraus, daß Röschen Les Barons heimliche
Nichte ist, weshalb sie ihr wahrer Liebhaber, der Graf Hugo,
nun mit vollem Standesbewußtsein ehelichen kann. An diese
Handlung ist noch eine langweilige Nebengeschichte angehängt,
die den ganz besonders schlimmen Charakter des Wolf-Barons
den Geschworenen im Zuschauerraume beweisen soll.
Auf Cherubini und Boieldieu solgten die beiden preisge-
krönten Neuen, Paul Umlaust und Joseph Forster,
und die Ausführung ihrer Werke bildete das Hauptereignis
der Festtage.
Als die gediegenere der beiden Preisopern darf ohne
^-
Weiteres die von Umlauft bezeichnet werden, trotzdem es mehr
als fraglich erscheint, ob sie sich die Gunst großer Volkskreise
gewinnen und längere Zeit auf den Spiellisten bleiben wird.
Die einaktige Oper „Evanthia" spielt in den griechischen Frei-
heitskriegen, gehört aber zu jenen Werken, denen der allge-
meine seelische Gehalt des Menschlichen, das sie darstellen, weit
wichtiger ist, als sogenannt realistisches Zeit- nnd Ortskolorit.
Eine ideale Verherrlichung der Liebe und Freundschaft ist der
eigentliche Jnhalt, wie er in dem von Umlaust selber gedich-
teten Texte zum Ausdruck kommt. Der Bund zweier inniger
Freunde, des Dimitrios und der Euthymios, ist nach altem
Herkommen geweiht durch die edle Jungfrau Evanthia:
„Todesbrüder sind sie alsdann — Gesahr und Not darf sie
nicht scheiden; zu jeder Zeit freudig den Tod für einander zu
leiden sind sie bereit. Keine That ist zu schwer, die sür den
Freund nicht würde gethan — Eines nur trennet, Eines nur
endet den heiligen Bund, der Tod allein". Seinem Schwure
treu wirbt nun Dimitrios sür seinen Freund um Evanthia,
die er doch selber leidenschaftlich liebt, — da erfährt er, daß
diese auch ihn liebt. Euthymios aber hat das Gespräch der
Beiden belauscht, und nun ist er seinerseits entschlossen, sich
zu opfern. Bei einem nächtlichen Aussall gegen die Türken
holt er sich die Todeswunde, und sterbend vereinigt er die
Liebenden. — Umlaufts Musik solgt den Wagnerschen Refor-
mationsgedanken und sucht sie in einer Weise zu verwirklichen,
die von der ernstesten nnd edelsten Auffassung der musikalisch-
dramatischen Aufgabe zeugt. Der Komponist hat außerordent-
lich viel gelernt, er bethätigt sein Wissen und Können mit
energischem Fleiß, und schon die Ausdruckskraft der leitmoti-
vischen Gestaltungen sowie das charaktervolle Herausheben
wichtiger Stimmungsmomente würden beweisen, daß er auch
keineswegs ein Nachahmer ohne Eigenart ist. Dennoch ging
das Urteil der musikalischen Zuhörerschaft fast einstimmig da-
hin, daß Umlaust der vollen Bewältigung so bedeutsamer
Aufgaben erst dann gewachsen sein wird, wenn seine künst-
lerische Persönlichkeit sich noch mehr gefestet und von unbe-
wußten Einwirkungen der großen Vorgänger noch unabhängiger
gemacht haben wird.
Forsters Preisoper, „Die Rose von Pontevedra", lehnt
sich an die Cavalleria. Ja, es wird darin versucht, Mascagni
noch zu übertrumpfen. Hat dieser z. B. nur ein „Jntermezzo"
angebracht, giebt Forster frischweg deren drei. Er besitzt
theatralische Erfahrung und Bühnentemperament, macht sich
aber die Wahl seiner Mittel ziemlich leicht. So schmunzelt
denn hier Meyerbeer aus der Musik, so guckt dort zwischen
den Noten Wagner hervor, und an anderen Stellen meldet
sich gar Neßlers und der Seinen Liedertaselherrlichkeit zu
Wort. Die Oper besteht aus einer raschen Folge aufregender
Szenen, und in diesen Szenen selbst jagt ein Theatereffekt den
andern. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß Forsters
Mnsik sich den Situationen anpaßt, er weiß geschickt zu
charakterisiren. Und er hat das Orchester wirkungsvoll be-
handelt, ein Lob, das heute freilich nicht eben schwer wiegt.
Seine Musik ist in jenem „Freskostil" seiner italienischen
Vorbilder gehalten, sie zeigt dieselben grellen Gegensätze und
großen Linien, das lärmende Wesen, die schillernden Farben.
Jn der Melodik ist Fluß und Zug, der Tonsatz ist sauber und
wohlklingend, und in den Rhythmus weiß Forster Abwechselung
zu bringen, was nicht gering anzuschlagen ist. — Das Stück
spielt in einem spanischen Wirtshause. Ein Vorspiel eröffnet
es, worin Pedro, ein Portugiese, der schönen Wirtstochter
Anita ein Ständchen bringt, zugleich um eiuen Kuß bittend.
Abgewiesen, weiß er sich keck zu helfen: im Nu ist er aus dem
Balkon und nimmt das Mädchen tn seine Gewalt. Jn der