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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 22 (2. Augustheft 1893
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Dresdner, Albert: Das "Moderne" im Drama: zur Verständigung
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0349

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So stellt sich das moderne Drama, wie die moderne
Bewegung überhaupt, als ein Ledentsames Glied in einer
gewaltigen Entwickelung dar. Seit der Mitte des vorigen
Jahrhnnderts setzt das Bestreben ein, der Kunstz die einst
im Leben unseres Volkes ihre angemessene Rolle als ursprüng-
licher Faktor gespielt hatte und uns dann durch den großen
Krieg geraubt worden war, die ihr gebührende Stellung
wiederzuschaffen. Eine um so schwierigere Aufgabe, als das
Volksleben breiter geworden ist und daher auch der Kunst
eine breitere Grundlage gegeben werden muß. Jn dieser
Entwickelung bildet die Klassik eine Stufe, nicht einen Ab-
schluß. Seit der Klassik ist unsere Dichtung in unaus-
gesetztem Aufsteigen begriffen und durch das Bestreben ge-
kennzeichnet, sich aller Kräfte und Gebiete des Volkslebens
nacheinander zu bemeistern. Jm Drama insbesondere hat
sich der Knnstgeist der Deutschen noch nie vollkommen aus-
gegeben; erst anf Grund völlig freier Beherrschung unserer
Lebensformen und dementsprechend gebildeter Technik wird
er zur Meisterschaft im Drama vorschreiten. Unter diesem

Gesichtspunkte ist das moderne Bühnenstück zu begreifen;
es verbindet sich mit ihm der sernere Gedanke, daß die
höchste Blüte des Theaters und Dramas nur einem nach
innen und außen freien, in der machtigsten Entfaltung
seiner Kräfte stehenden Volke gegeben ist, und daß wir
einer solchen Zeit unseres nationalen Daseins näher zu
kommen hosfen. So lange Ziele und Wesen im Unklaren
lagen, war es zunächst nur eine einzelne Erscheinung. Jetzt,
wo man sagen darf, daß der Zusammenhang mit der Ver-
gangenheit und der Ausblick auf die Zukunft klar liegt, ist es
an der Zeit, von ermüdendem und-nutzlosem Streite über
„Jdealismus" und „Naturalismus" abzulafsen, das Be-
stehende anzuerkennen und sich über gemeinsame Arbeit zu
seiner Läuterung und Förderung zu verständigen. Diesem
Zwecke sind auch die vorliegenden Zeilen gewidmet. Die
Kritik mag bedenken, daß sie, diskreditirt durch die ge-
schwätzige Leere massenhafter Tagesrezensionen, die ver-
doppelte Pslicht hat, sich durch ernste Bethätigung ihren
Platz im Geisteslebcn des deutschen Volkes zu wahren.

Albert Dresdner.


IKundscbÄU.

Dtcbtung.

* ikoseggers tünkztgster Geburtstag ist mit einer
Herzlichkeit begangen worden, die es unwiderleglich beweist:
das deutsche Bolk betrachtet diesen Mann als einen Sprecher
seines besten Empfindens. Die Literaturgeschichte wird seine
Bedeutung erst in späterer Zeit würdigen können. Die That-
sache eines so schnellen und breiten Erfolges der Roseggerschen
Schriften, wie wir ihn gemeinhin nur bei slachen Erzeuguissen
finden, dann die Abneigung gegen das so viel mißbrauchte
„Krachlederne" der Gebirglerliteratur und da und dort Roseggers
des Kritikers ablehnendes Verhalten wohl auch gegen Berech-
tigtes im modernen „Naturalismus" — das Alles hält noch
immer an manchen Stellen die Anerkennnung auf, daß
Roseggers große Erfolge zu den allererfreulichsten Er-
scheinungen in unserm Schriftleben gehören. Wir haben
davon ja schon früher gesprochen. Und so wollen wir heute
nur wiederholen: auch vom Standpunkte der allerstrengsten
rein ästhetischen Kritik aus ist unsrer Überzeugung nach dieser
steirische Dichter einer der echtesten und edelsten Poeten, die
seit Jahrzehnten in deutscher Sprache geschrieben haben, ein
Künstler von jener hohen Kunst, die der Kenner dort am
meisten bewundert, wo sie wieder schlicht als Natur erscheint.

Tbeater.

* Mit völliger Nbscbalkung der Tbeaterzensur
wollen es nun die Franzosen versuchen. Man schreibt aus
Paris: „Eine Gesetzesvorlage ist eingebracht worden, auf Grund
welcher die Theaterzensur ein für allemal abgeschafft würde.
Jeder Bürger wird das Recht haben, ein Theater zu bauen,
zu gründeu, zu leiten; es wird eine einfache Anzeige bei der
Polizei genügen. Kein Theater wird jedoch eher geöffnet
werden können, als bis die Kommission sich die Überzeuguug
verschafft haben wird, daß alle Maßregeln für die Sicherheit
des Publikums getroffen sind. Ein Vertreter der Sicherheits-
behörde wird jeder Vorstellung beiwohnen und darf nur dann
eine Vorstellung einstellen lassen, wenn in ihr ein Tumult
ausbricht, im Falle des flagranten Deliktes gegen die öffent-
liche Sittlichkeit und wenn das Stück mit einem Paragraphen

des Strafgesetzbuches in Konflikt gerät. Dieses Gesetz soll auf
die (lake cliLntruits und andere analoge Unternehmungen keine
Anwendung finden. Der letzte Paffus lautet: Die Zensur darf
in Frankreich niemals mehr eingesührt werden." Wo bleibt
aber die Sicherung der Theatermitglieder gegen grobe wirt-
schaftliche Ausbeutung?

x „Kübilen-Ikealisliius" in Nmerika und Deutscb-
land. Neu-Iorker Blätter melden: „Stewe Brodie, der sich
durch seinen Sprung von der großen Brücke in Brooklyn einen
Nameu gemacht hat, wird in einigen Tagen als Schauspieler
in einem »Bowey« betitelten Melodrama auftreten, in welchem
er den berühmten Sprung wiederholen wird. Jn demselben
Melodrama werden Kid Mac und Spike Hennesly, zwei be-
rüchtigte Einbrecher, die soeben erst aus dem Gesängnis ent-
lassen worden sind, die Rollen zweier Spitzbuben spielen und
dem Publikum zeigen, wie man nach allen Regeln der Ein-
brecherkunst einen Geldschrank öffnet." — Der gesetzte Bürger
freut sich, nicht in Amerika zu wohnen, wenn er nach dieser
Mitteilung die solgende aus Neuruppin liest: „Hier wird jetzt
eine Lokalposse »Wir Ruppiner« ausgeführt und u. A. mit
folgender Empfehlung angekündigt: »Das letzte Bild zeigt uns
ein Gartenfest bei Köhler mit Konzert und Jllumination, zu
welchem einige hiesige Stammgäste ihr Erscheinen zugesagt
habeu."

Musik.

n Mtcbkigere Mustk-Aukkübrungen. XIX.

Die Gothaer Musteraussührungen begannen mit
Cherubinis „Medea", also mit einer tragischen Oper alten
Stils. Als heiteres Gegenstück solgte ihr die harmlose „komische
Oper" „Rotkäppchen" von Boieldieu. Beide Werke findet
man seit Jahrzehnten auf unsern Spielplänen nicht mehr — mit
ihrer Borführung hat wohl der musikkundige Herzog Erust,
der bekanntlich selber Opern komponirt hat, eine Art von Be-
kenntnis seiner eigenen musikalisch-dramatischen Ansichten und
Grundsätze aussprechen wollen, die mit denen unserer Zeit
darnach allerdings wenig übereinstimmen. Und es sprach der

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