„Äcieg" und „Frieden" nuf den zu kleinen Stufen
sitzen, als hätteu sie Lattenstrafc, während die vier
Viktorien mit ihren Kugeln am Postament kleben,
daß aus dem Blockc ein Sack wird. Das Traurigstc
ader an diefem Werk ist scine erschreckende Geistlosigkcit.
Jch möchte nicht mißverstunden werden. Das
Lpiel mit Allegoricn und Beziehnngen ist das letzte,
was ich befurworten wollte; es ist oft genug gerade
in diesem Blatte der Satz verfochten worden, daß
nicht ein reiches Was eiu Kunstwcrk reich macht, son-
dern allem das Wie seiner Gestaltung. Ein edel
einfachcs plastisches Kaiserdenkmal war auf der
Schloßfreiheit allein am Platze. Man braucht von
dort nur auf die Kurfürstenbrücke hinüberzngehen,
um eincs solcher Art zu sehn. Mit noch weniger
Allegorienwerk, als das Schlütersche — gut, wir
hätten's gern willkommen geheißcn; nichts als eine
Reitergestalt — wohl, wir hätten uns ivahrlich ihrer
gefreut, wäre plastische Größe darin gewesen, wie etma
im Colleoni. Nichls Kläglicheres aber, als ein großes
Aufgebot von Mitteln und keine Wirkung. Je zwei
Darftcllungen vvn Frieden nnd Krieg, vier Löwen
auf Trophäen, fünf Biktorien — ja, wenn sie
wenigstens nur wie Ornamente wirkten! Aber sie treten
groß anS dem Ganzen vor, locken den Besckiauer,
machen vielverheißende Mienen — und sagen: Sieges-
götlin, Siegesgötlin, Siegesgötlin, Siegesgöttin, Löwe,
Löwe, Löwe, Löwe. Sag ich envas viermal so hin,
es wird nicht überzeugender; einmal soll ich's, aber
eindringlich sagen. Nicht etwas Anekdotisches oder
Symbolisches isl es, was zu hören wir hier verlangen
durftcn: darin aber zeigt sich die Durchgeistigung
ciner Skulptnr dnrch den Bildhauer, daß sie Stimmung
giebt. Di'ese vier Löwen und vier Sockelviktorien
geben keine, sie sind innerlich tvte Schablonenkunst,
sic sind plaftische Phrasen. Kein harmonischcs Weitcr-
klingen einer künstlerischen Grundempfindung dnrch
die einzelnen Teile des Werks bis zn leisem Aushallen
in dcr Ornamentik, wie es bei formenreichen Kunst-
gestaltungen die innere Einheit schafft. Weil das
fehlt, ist das Werk geistlos. Es handelte sich eben
um eine Aufgabe, für die Begas' Persönlichkcit nicht
zureichte und nicht paßte, so Treffliches sie bei an-
deren Aufgaben leisten mag.
Jmmerhin, ich will das mit allem Vorbehalte ge-
sagt haben. Keiner der Nationaldenkmal - Enlwürfe
vvn Begas ist ein Werk aus einem Gnsse gewesen;
sie waren alle zusammengemacht, sie waren alle nicht,
und das neaeste ist bis anf die Hauptgruppe auch
nicht: Ergebnis genialer künstlerischer Anschaunng.
Aber anderseits ift aus der Wirkung des Entwnrfs
noch nicht mit Sichcrheit auf die Wirknng des scrtigen
Werks zu schließcn. Wir wollen das Allerbeste hosfen
und annehmen, daß Begas, der ja sein heißcstes Be
mühen an diese scine wichtigste Aufgabe setzcn muß.
scincm Entwurf soviel Leben einhauche. wie cr nnr
immer fafsen kann. Dann werden wir ein respck-
tables Dcnkmal nnter andern mehr habcn. Aber
auch dann wird an innerem Ernst nnd an innerer
Größe nnser Nationaldenkmal weit übertroffen wer-
den z. B. von dem Washington-Denkmal Siemerings
— geschwcige, daß wir irgend eine Berechtignng zu
der Annahme hütten: es ist geworden, was es wer-
deu konnte.
Giebt es Einen, der nach der Borgeschichte dieses
Werks das zn behanpten wagen wird? Jch will ehr-
lich sein, es wird niich keineswegs wnndern, wenn
sogar eine ganze Anzahl von Leuten cs behauptcn
wird. Denn das eben ist auch ein Zeichen am
Fall Begas, daß während seines Verlanfs eine Un-
selbständigteit und Feigheit der gedruckten „öffent-
lichen Meinung" zu Tage getreten ist, die zu bilterm
Lachen tranrig ist. Welche Urteilsgymnastik hat allein
die öffentliche Knnstkrilik in diesen paar Jahren bei
der Umwandlung ihrer Miene von sauer dnrch sauer-
süß zu süß gezeitigt! Es sind noch die Frcisten, die
sich der offcnen Meinnngsanssprache enthalten, weil
eine „echte" Kritik nnr Berechtigung habe, wcnn sie
auf das Kunstschaffeu einwirken könne, was hier leider
nun ausgeschlofsen sei. Als hätte die Krilik nicht auch
das Amt, zu klären nnd vorzubeugen für die Znkunft.
Jeder unsrer Leser weiß es noch, wie allgemcin
das Kaiserdenkmal nach dem Tode Wilhelms des
Ersten als eine Sache jedes Deutschcn empfunden
wnrde, wie iunig nnd lebhaft die Teiloahme dafür
aller Ortcn war. Jetzt stellt dcr auszuführende Eut-
wurf das Zukunfksbild jcdem Auge hin — und die
Zeikungen klagen über die „Teilnahmlosigkeir" des
Publikums: „es läßk", sagen sie, „die Kriliker für
sich hingchen". Sv ist ein herrlicher Strom ver-
sandet. Nicht durch die Tchuld des Kaisers. der nach
bestem Wvllen uud Können gehandelt hat, alkein durch
die Schuld eben jenes Publikums und der Küiistlcr-
schaft sclber, soweit sie dieses Nationaldenkmal da als
den vollen Ausdrnck des nativnalen Empfindens
widerspruchslos wollten gelten lassen. Der Fall
Begas mit allem, was an ihm hängt, wird unsrer
Gegenwart von dcr Sittengeschichtsschreibnng der
Zukunft schwer angerechnet werden, das nber wenig-
stens soll sie nicht sagen können: daß sein wahres
Gesicht überall vom Servilismus unserer Zeit
schön geschminkt worden sei. N.
Dicbtung.
* Scböne Lileratur. XIII.
weltuntergang. Ein Roman aus dem zwanzigsten
Jahrhundert von Edmund Boisgilbert (Jgnatius
Donnelly). (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt.)
Für dieses Buch haben Früchte den Samen gegeben, die
auf Bellamys Lorbern gewachsen sind, und es soll auch jenseit
des Ozeans und in England Aufsehen erregt haben, das sich
in Massenauflagen kundgiebt. Nach dem literarischen Werte
gemessen reicht es an Bellamys „Rückblick" nicht heran.
Illundscbau.
Bellamys Kunst, nationalökonomische und politische Probleme
zu veranschaulichen, den Reichtum seiner Kenntnisse, die Ge-
wandtheit seiner Dialektik, das Geistreiche seiner Polemik,
den Witz seiner Satire wird auch der Gegner seiner Ansichten
je mehr anerkennen müssen, je häufiger er sein Werk wieder
zur Hand nimmt. Boisgilbert ist seinem Vorgänger in all
dem unterlegen, und auch die Romaneinkleidung des Ganzen
hat er lange nicht so geschickt zu bilden vermocht, wie jener.
Dennoch verdient das Buch auch bei uns gelesen zu werden,
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