Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

DOI issue:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1892)
DOI article:
Unsere Künste, [3]: Schluss des Überblicks
DOI article:
Rundschau
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0027

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
die niiS der verschiedensleii Parteistelliliigen, je iinch--
dem, beschuldigen oder belvben.

Der „Knnstwart" denkt aber seinem Programm
gctreu zu bleiben, nicht einseitig irgend eine Partei
zn vertreten, weil er sich vvn einer svlchen Vertretnng
gar keine Fvrdernng der Sache versprcchen kann.
Weshalb nicht, das haben wir s. Z. in einem Anf-
satze ?ro ctonro (Kw. II, ü) ansgefiihrt. Wer nnr
hvren will, was ihm „ans der Seele gesprochen"
ist, für den wird der „Knnstwart" nicht geschrieben,
svndern fiir den, dcr anch des Gegners Ansichten
kennen lernen nnd prnfen will. Allerdings, wie wir
damals ausfnhrten: wir wollen nicht nach Art
anderer svgenannter nnparteiischer Blätter wie der
Physiker mit dem Drehapparat alle Prismenfarbcn
znsammenwirbeln zn einem nnverfänglich sanften Grau,
svndern sie naeh Mvglichkeit in nngebrvchener Kraft
nebcn einander wirken lassen. Branchen wir doch
bei solchem Verfahren dnrchans nicht zn verleugnen,
welche Farbcn nns selber am besten gefallen.

Am meisten ist unsere Stellnng zu den „Jungen"
mißdentet worden, deshalb hierüber noch ein Wort.
Ja, es ist wahr, wir habcn Vertreter von Ansichten
des nenen Schriftsteller-, Mnsiker-, Künstlergeschlechts
verhältnismäßig öfter sprechen lassen. als Vertreter
des altcn. Und wir wcrden das weiter thun, ge-
legcntlich selbst dann, wenn wir nicht daran denkcn,
die Ansichten der„Jungen" zn „unterschreiben". Denn
nnsrer Mcinnng nach wird das dnrch unser Prvgramm
nicht verbv'en, sondern verlangt. Gerade über das
Strcben dieser Lente gelangt sa unglanblich wenig
Ungefälschtcs znr Kenntnis größerer Kreise. Wir

yalten es aber siir die Schnldigkeit eines anständigcn
Blattes, gerade für dic Jnngen, wo wenigstens der
Fleiß nnd der Ernst ihrcs Strebens klar liegt, V er-
ständnis ihrer Absichten zn verbreiten, das ja
mit Billigung nvch lange nicht gleichbedentend zn
sein brancht. Die ültern Herren haben seit zehn bw
zwanzig vder anch tausend bis zweitansend Jahren
ihre Meinnngen ansgcsprvchen, wir kennen sie also
ungefähr, — was die Jngend will, das erfahren wir
aber znmeist erst, wenn sie znm Alter geworden ist.
Denn man verschweigt, zerstückelt oder verfälscht ihre
Gedanken in der Presse des cwig Gestrigen, die zn
Gnnsten der Geistcsarmen den Geistesreichen dic
Frende ranbt. mitten hineinzusehen ins Werden. Dic
Freude, selber jnng zu bleiben im anregenden
Verkehr mit der Jngend, die eigene Erfahrnng gc-
sellend zn ihrer frischen Kraft, wirkend anf sie, wic
sie selber anf nns wirkt, die Jugcnd, wclche die Zn-
knnft ist. Das schließt dvch wahrlich nicht ans, daß
wir alten gnten Wein sehr vft liebcr mögen, als
gührenden Sanscr, ja, daß wir gelegentlich ein paar
Lente herzlich anslachen, die wühnen, sie seien des
grvßen Gcistes Vvll, weil sie vvll siißen Mvstes sind.

Nichts anderes könncn wir in der Kunst einer
Zeit erkennen, als einen Ansdrnck ihres Empfindens.
wie die Wissenschaft ein Ausdrnck ihres Denkens ist.
Jn der wahren Kunst, heißt das, in der Kunst,
die nicht nnr, wie der Klvwn im Zirkus, Zeitvertrcib
geben, sondern ans innerem Drange das Schann und
Schaffen einer Seele gestalten will. Für sie Würdigung,
Teilnahme, nachbildende Mitarbeit in weitere Kreise
zu tragen, ist die Anfgabe des „Knnstwarts".

Ikundscbau.

Dicbtung.

* Scböne Literatur. VI.

Das Leben auf der Walze. Roman von Wols-
gang Kirchbach. (Berlin, Verein der Bücherfreunde, geb.
Mk. ct,so.)

Will man diesem Buche gerecht werden, das vor allem
Bilder aus dem Leben der deutschen Vagabunden ausrollt, fo
wird man sich zunächst davor hüten müssen, es als den
naturalistifchen Niederschlag von Studien aufzufassen. Von
einem jener tiefeindringenden Versuche, das innerste Seelen-
leben einer proletarischen Gesellschaft ohne jede andere Rück-
sicht als die auf Wahrhastigkeit mit den Mitteln des
Naturalismns zu gestalten, haben wir hier keinen vor nns —
oder denn einen, der doch weit hinter den besten Leistungen
der natnralistischen Schule zurückbliebe. Charaktere so hinzu-
stellen, daß sie sich vor dem Leser darleben, ohne daß zugleich
mit der Schilderung die Ausfassung des Dichters übertragen
wird, ist ja überhaupt nicht eine Sache Kirchbachs, der zu den
allersubjektivsten unserer Schriststeller gehört. Ebensowenig
wolle man in diesem Buche soziale Studien vermuten, die
etwa zur Beurteilung der Sozialdemokratie irgend welches
Material böten. Das Lumpentum, das hier besprochen wird,
ist bis aus ein oder zwei Vertreter das Opfer von eigener
Schuld, nicht das Opfer von sozialen Verhältnissen, und die
Beleuchtung solcher Verhältnisse selbst liegt auch dem Ver-
sasser nicht sehr nahe am Herzen. „Das Leben aus der.
Walze" bietet vielmehr durchaus persönlich gefärbte Schilde-
reien aus einer bunten Welt, über die zudem Humor und

Satire hinspielen, es ist, sozusagen, ein romantischer
Roman, kein naturalistischer und an einigen Stellen sogar kein
realistischer.

Jm Mittelpunkte des Ganzen bewegt sich der Privatdozent
Or. Hans Landmann, der das Leben auf den Landstraßen und
Pennen als Nachfolger Göhres durch eigenes Mitleben studiren
will, und in dem, wie uns scheint, Kirchbach jene Leute
humoristischem Belächeln aussetzten möchte, die uns ja gar oft
Bilder zeichnen nach „Studien" in andern sozialen Schichten,
deren Angehörige sich nber sie lustig gemacht haben, ohne daß
sie's merkten. Landmann, bisher ein liebenswürdiger Stuben-
hocker von besten Absichten aber ohne jede Lebenserfahrung,
verunglückt gründlich bei seiner Forschungsreise, und dort am
meisten, wo er sich am sichersten als Entdecker sühlt. Und er
würde wohl ganz in diesem Meere versinken, rettete ihn nicht
schließlich seine Brant vor dem Schiffbruch, eines jener an
praktischem Weltverstande ihrem Erkorenen überlegenenFräulein,
die Kirchbach mit Vorliebe schildert. Das ist ein Zug guten
Humors, der durch den ganzen Roman geht, und er ist nicht
der einzige seiner Nrt. Weniger sreilich, als in diesen Dingen
der kompositorischen Anlage des Ganzen kann ich rechten
Humor in den einzelnen Schildernngen komischer Situatione»
finden, denn hier geht nach meinem Empsinden eine spaßhafte
Groteskkomik mitunter mehr auf Stelzbeinen als auf krästigeu
Füßen. Alles in Allem: der Roman ist keine bedeutende, aber
eine Erscheinung, deren Bekanntschaft man immerhin gern
macht. Mich persönlich regt er seltener als irgend ein anderes
 
Annotationen