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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 19 (1. Juliheft 1893)
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0306

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mcht mehr sorgsam nach peinlicher Wiedergabe aller Einzel-
werte zu trachten, weil sie des Gesammtwertes zuverlässiger
Meister sind. Arbeiten dieses Stils finden sich verstreut; die
C. Albrechts in Hamburg, Edm. Edels in Charlottenburg, Ernst
te Peerdts und Benno Beckers in München und die mancher
Anderer weisen ein mehr oder weniger gelungenes und krast-
volles Streben nach solcher Wirkung auf. Bedeutender ist
Alois Hänisch in München; an der Spitze dieser Richtung
aber stehen nach meiner Empfindung die beiden Münchener
Thomas Theodor Heine und Peter Behrens, die nach
ihren diesmal vorliegenden Leistungen unter die Reifen gestellt
werden müssen. Beide zeichnen sich durch die Vielseitigkeit
aus, mit der sie den verschiedensten Gegenständen gerecht zu
werden vermögen. Heine schildert die zarte Stimmung eines
Birkenwaldes, die Sprödigkeit einer wechselnd beleuchteten
bairischen Landschaft, den idyllischen Zauber eines Flußlaufes
(im „Angler") mit gleicher Feinheit; sein Meisterstück lieferte
er in der Darstellung eines Seeufers, die erquicklichste Frische
mit tiefstem Frieden und schlichter Schönheit vereint. Peter
Behrens übertrifft ihn durch die Glut und die Jntensität
seiner Werke, durch die er, wie mir scheint, über allen seinen
Genossen steht. Seine Bilder — Frühlingsabend, Abend im
Walde, Regenwetter, Gegen Morgen, Haideweg und April —
sind durchgängig von einer solchen Kraft der Auffassung, Wärme
und Unmittelbarkeit des Lebensgefühls, Poesie des Vortrags,
daß sie, aus mich wenigstens, einen geradezn berückenden Ein-
druck hervorbringen und den Beschauer völlig in den Bann
ihrer Stimmung ziehen. Bei Behrens zumeist erscheint die
äußere Natürlichkeit der Darstellung durch Macht der Natur-
empfindung überwunden, weil er es in jedem Falle so
ausgezeichnet versteht, das mit dem höchsten Nachdruck und
mit völliger Einheitlichkeit zu sagen, was ihn an dem beson-
deren Stücke Natur innerlich berührt und bewegt. Behrens'
Kunst und die der anderen Künstler seiner Richtung steht nach
Art und Wirkung, obwohl sie von ganz anderen Ausgangs-
punkten ihren Weg nahm, ersichtlich der Kunst Böcklins nahe,
dessen geschichtliche Stellung damit in ein neues Licht rückt;
aber was der geniale Mann als ein Einzelner allein in sich fand
und aus sich schöpfte, das ist jetzt durch die unverdrossene Arbeit
vieler Wackerer neu und selbständig erworben, zum Gemeingut,
zur Stileigentümlichkeit gemacht worden, und bildet jetzt breiten
und gesunden Boden für eine freie und vielseitige Kunftübung,
die aus einem quellenden Gefühle für das innere Wesen, für
das Leben und Weben der Natur eine unversiegliche Kraft
zieht. So fern die gewaltsamen Nachahmer Böcklins ihrem
Vorbilde waren, so verwandt ift ihm, obgleich sie so ver-

schieden von ihm scheint, unsere jüngste Kunst, weil fie gleich
der Böcklins durch uud durch Naturpoesie ist. Und es zeugt
von der zwingenden Notwendigkeit des künstlerischen Empfindens,
daß, wiederum ganz selbständig und eigenartig und doch ganz
in Übereinstimmung mit Bvcklin, auch unsere jüngsten Maler
sich dazu gedrängt fühlten, menschliche oder menschenähnliche
Geschöpfe zu bilden, in denen derselbe geheime, unerschöpstiche,
ewigc Strom des Lebens pulst, der durch die Mutter Erde
rollt. Mit ihnen und in ihnen schließt sich der Kreis des
Empfindens. Dieser Nrsprung sichert den Phantasiegestalten
unserer neuesten Maler die innere Echtheit, ohne die sie augen-
blicklich als geziert und unwahr abstoßen würden; und ein Ver-
gleich mit verwandten ausländischeu Schöpfungen zeigt in der
That, wie völlig eigenartig die Deutschen ihre Aufgabe er-
faßt haben. Albert Dresdner.

x Die „zfrele Werliner Ikunstausstellung" muß

wieder die Erfahrung machen, daß es mit den „Salons der
Zurückgewiesenen" ein gefährliches Ding ist. Ja, wenn dafür
von den zurückgewiesenen Werken wirklich alle guten zu be-
kommen wären! Aber sehr viele Künstler fürchten sich vor der
Gesellschaft, in die sie hier möglicherweise geraten könnten, und
halten es dem eigenen Vorteil für dienlicher, den Schleier der
Liebe über dem Geschehenen zu belassen. So müssen sich denn
die Veranstalter nach Hilfstruppen in ihrem Kampfe umsehen,
nach Nicht-Zurückgewiesenen, die mit ihnen ausstellen. Und
kommen diese, so kann es geschehen, daß die robusteren Gehilfen
lachend die Beute des Unternehmens unter sich selber teilen,
will sagen: daß der eigentliche Erfolg der Ausstellung andern
Leuten zufüllt, als den Zurückgewiesenen.

Unbegreiflich, schlechterdings ganz unbegreiflich ist es, daß
Kleins Denkmalsmodell abgelehnt werden konnte. Von den
Bildern Munchs und Meckels sind auch die.zurückgewiesenen
gut. Unter den übrigen Bildern, auf deren Rahmen ein Zettel
entrüstet das „Zurückgewiesen!" ausruft, sind noch manche, die
ganz gewiß nicht schlechter sind, als Hunderte von Genossen,
die aus Gott weiß was für Gründen den Weg in den Aus-
ftellungspalast gefunden haben — aber das läßt uns nicht
wünschen, daß man dort sie hätte einlassen sollen, sondern es
erinnert uns nur daran, daß man dort noch außerordentlich
viel andere hätte wegweisen können. Das Hauptvergnügen
an diesem Unternehmen dürfte wohl Normann haben, der in
dem erften Saale eine ganze kleine Normann-Ausstellung von
nicht-zurückgewiesenen Bilder veranstaltet hat, denen dic Masse
der übrigen nach dekorativen Grundsätzen zur Folie dienen muß.

nrs.

Lprecksaal.


Nochmals: Die Gper
Uber die alte Oper hat der Reformator der dramatischen
Musik selbst, Richard Wagner, das vernichtendste Urteil ge-
sprochen. Kaum dürfte ihre Berechtigung als Kunstsorm
überhaupt noch vou irgend Jemandem, stände er nun im
Parteienkampfe hüben oder drüben, ernstlich behauptet
werden. Es kann sich daher nur um die Frage handeln,
ob die Musik überhaupt geeignet fei, sich mit
einer Handlung zu einem dramatischen Ein-
drucke zu verbinden, mit andern Worten, ob es

* Vergl. „Kunstwart" VI, 5 und z8.

als Uunstsorm.*
überhaupt eine dramatische Musik gebe. Die Be-
^ antwortung dieser Frage wird von der Auffassnng des
^ Wesens der Musik abhängen. Wer behauptet, die Musik
sei nur eine schöne Bewegung tönender Formen, welcher
erst der Hörer selbst die Seele gebe, wer, mit andern
Worten, die Ansicht Hanslicks vertritt, dem kann die Mnsik
immer nür eine Beigabe zu einer Handlung, entweder
j störend oder Reiz erregend, nie aber sich mit jener zu
! cinheitlichem Eindruck verbindend, sein. Die Gesetze ihrer
; Anordnung findet sie dann ganz wo anders, als in dem
! Fortschreiten der Handlung, oder, besser gesagt, der sich





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