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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1893)
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Das Gastspiel der Duse
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0104

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Lrsrcs Zmumr-Dcrr r§93.

7. Ltück.

Lrscbetnt

Derausgeber:

zferdtimnd Nvenartus.

Kesrellprets:
vierteljährlich 2^/9 Mark.

übcr M Scbiclk bcs IAöS.

Das Gastspicl der Dusc.

C^^^leonore Duse hat nun auch iln' Berliner
Gastspiel beendet, mit einem Erfolge,
der so bedeutend gewesen ist, wie der ihres
Auftretens in Wien. Die kühlsten Be-
richterstotter erkennen es an, daß von einem Tamtam
der Neklame hier ungkeich weniger die Rede sein
konnte, als vor dem Auftreten berühmter Mimen
sonst, daß überhaupt die Vorbediuguugen für den
Erfolg in Berlin weit eher schlecht als günstig waren,
nnd daß trotzdem seit Jahrzehnten kein Gastspiel in
der Reichshauptstadt einc so tiefgehende Wirkung ge-
habt hat, wie das der Duse. So hoch wir die
Knnstlerin schätzcn, wir glauben doch: gerade bei ihrer
Eigenart war das uur möglich, weil chre Saat auf gut
vorbereiteten Boden fiel. Eine Änderung des Ge-
schmacks hat sich im bessercn Publikum ganz in dcr
Stikle vollzogen; die Genialität der Dusc gab das
crste nahezu volkendete Beispiel fnr das, was man
halb unbewußt wünschte, und überzeugte davon, daß
es das Wünschcnswerte war. Darin licgt sür uns
Deutsche die größte Bedcutung ihres Erfolges.

Nicht, daß etwas ganz und gar Neues im Stillen
herangekeimt und durch die Jtalienerin vffenbart
worden wäre. Seelische Schauspielkunst nnd ge-
schicktes Virtuosentum sind alte Gegensätze. Aber so
ost und cntschieden die Vorzüge des erstercn gepriesen
worden sind, die unmittelbaren Esfekte des letzteren
blendeten die Augen der Mehrzahl doch immer wieder,
so daß man bloßeVirtuosen im Künstlernimbus sah und
aus den Leistungen bloßer Virtuosen im Schau-
spielerfach dann wieder auf das Wesen eigentlicher
Lchauspielkunst zurückschloß. Gestehen wir's zu: wir
Jdealisten haben wieder einmal dem vielgeschmähten
Naturalismus zu danken; er ist es, der auch hier
eine Umwandlung znm bessern vorbereitet hat. Denn
die Erziehung und Schulung des Siunes für Wirk-
lichkeit schärfte die Augen sür dic Erkenntnis des

hohlen Deklamirens und Posirens. Nuu aber macht
die Entwicklung bei den Zielen des nüchtcrucn Na-
turalismus nicht Halt: man sreut sich des vcrschärsten
Sehens in der Wclt des sinnlich Wahrnehmbareu,
aber man vcrlangt, daß es Mittel werde, ticslicgen-
des Wichtiges aus der Welt des Seelischeu ans Licht
hervorzuhebeu.

Jn keiner Kunst kaun selbst das größte Geuie zu
seinen höchsten Leistungen einer sorgfältigen Aus-
bildung des Techniscben entbehren. Seine Ausdrucks-
niittel, Wort- uud Geberdensprache, muß der Schau
spieler beherrschen als Virtuos. Kann er es, von
glücklichen Gaben der Natur unterstützt, in hervor-
ragendcm Maße, uiid ist er zugleich ein kluger uud
> geschickter Manii, sv hat er genug, um unter dcn
hcutigen Verhältnissen schon sein Glück aus dcr
Bühne zu machen. Denn die ernstere Knnst dcs
Schauspielens braucht er dazu nvch gar nicht. Diesc
freilich beginnt crst, wenn das Virtuosentnm dem
Künstler die Ausdrucksmittel gegeben hat und er sie
nun nicht als Selbstzwcck spielen lassen, sondern in
den Dienst eines Höheren stellen will.

Wie jede wirkliche Kunst ist auch die eigentliche
Schauspielkunst nicht körpcrlicher, sondern scelischer
Art nnd eine Kunst der Phantasie. Und sie ist
nicht etwa, wie wohl der Oberslächliche denkt, einc
Kunst des Verstcllens. sondern eine Kunst des Ein-
uud Nachlebens. Eine Nach-Bildnerei der Menschen-
scele, welche die Vor-Bildnerei des Dichters hin-
gestellt hat. Eine Kunst, sich in die Gestalten des
Dramatikers so zu vertiefeu, daß der eigne Körper
von ihnen „besessen" wird nnd nun dem nachgeschasfeneu
Leben in sich gehorcht, als wär es sein eigenes. Jch
weiß wohl, daß viele unsrer gefeierten Virluosen be-
haupten, sie „lebten" wührend des Spiels in ihren
Rollen. Möglich, sehr wahrscheinlich sogar, daß sie
es während mancher Momente thun; einige Tropfen
 
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