Lvveites /Därz-Dekt 1S93.
12. Stück.
Lrscbeinl
ani Anfang und in der Mitte
Derausgeber:
zferdtnand Nvenarius.
WesreUpreis: >
vierteljährlich 2i/z Mark.
Ndustkaltscker Duuwr.
^ollen wir die Bedeutung des Hunwrs iu der
Musik uutersuchen, so müssen wir zunächst
nachweisen, daß die hauptsächlichen Mittel,
wodurch er sich äußert, hier wirklich vor-
handen sind. Das wären in erster Reihe das Komische
und das Witzige, die man sich gewissermaßen als Sprossen
der Leiter denken k'ann, die zum Humoristischen hinaussührt.
Sieht man doch den Humor auch geschichtlich aus dem
Komischen sich entwickeln; Komik und Witz bilden in der
Regel die Gewandung, in der er erscheint und in deren
Falten er wohl tiefen Ernst versteckt hält. Daß freilich
der Humor als Stimmung noch tausend andere Mittel
kennt, sich in allen Schattungen zu äußern, daß er, wie
schon das Wort sagt, allem Geistigen überhaupt beigemischt
sein kann, darf uns hier nicht beirren.
Wir beschränken uns, das sei gleich bemerkt, auf die
absolute Musik, auf die reine Jnstrumentalmusik,
nm von vornherein den Einwurf abzuschneiden, daß in der
Oper oder überhaupt in der Vokalmusik der Humor des
Textes wohl unbewußt aus die Musik übertragen werde
und diese somit nicht aus eigener Machtvollkommenheit
humoristisch wirke. Wie glänzend und schlagend die Musik
sa gerade in der Oper es vermag, komische Vorgänge
auszumalen, zu beleuchten, zu vergeistigen und zu umspielen,
und wie besonders leicht gerade hier ein Komponist an-
geregt werden kann, nach Herzenslust musikalischen Humor
zu entwickeln, das wäre ohne Mühe nachzuweisen, und nicht
minder, daß es gerade hier die Musik ist, die bei feineren
humoristischen Wirkungen den Ausschlag giebt — man denke
an die Scheltarie des Osmin in der „Entführung aus dem
Serail".
Vorübergehende humoristische Wirkuug an sich und
humoristische Grun d stiinm un g hätten wir bei unsrer
Untcrsuchung von einander zu halteu. Die letztere, das
Wichtigere und eigentlich Ausschlaggebende, bleibe vorläusig
bei Seite.
Jm Wesen der Musik liegt es begründet, daß das
Komische in ihr keinen so starken Wiederhall sinden kann,
wie in denjenigen Künsten, die in den Formen der Natur-
nachahmung unmittelbar schafsen: je geringer die Möglich-
keiten sind, Wirklichkeitsbilder nachzumalen, je mehr tritt
die Beleuchtung des Komischen zurück, das uns gerade aus
dem Realismus der Wirklichkeitsbilder am häufigsten ent-
gegenlacht. Fehlt aber der Musik das Vermögen, die
komischen Gegenstände uns vor die Seele zu führen,
so hat sie doch die Mittel, die Stimmungen, die durch
sie in uns angeregt werden, auszudrücken. Sie kann pathe-
tische, hohe, erhabene Empsindungen mit einem Ruck in ihr
Gegenteil umkehren. Wer wollte bestreiten, daß gerade
die Tonkunst uns außerordentlich lange in erhabenen Ge-
sühlsregionen sestzühalten und unsre menschliche Natur, die
doch sonst gar bald in ihnen ermattet, dort kräftig zu
halten vermag. Schon durch ihren ungeheuern Reichtum
an Mitteln zu Kontrastwirküngen — ich erinnere an die
dynamischen Abstusungen vom krachenden Fortissimo ab-
schwellend in das Verhallen des Pianisssimo, an die un-
endlichen rhythmischen Möglichkeiten, an die mannigfattigen
Zeitwerte der Noten, an die prägnanten Gegensätze des
Muccuto und IsZato — ist die Musik gewiß im Stande,
auch Komik in reichlichem Maße zu entwickeln. Wie außer-
ordentlich komisch kann da z. B. der Gegensatz des plötz-
lichen llbergangs von den höchsten Tönen zu den tiefsten
- 177 —
12. Stück.
Lrscbeinl
ani Anfang und in der Mitte
Derausgeber:
zferdtnand Nvenarius.
WesreUpreis: >
vierteljährlich 2i/z Mark.
Ndustkaltscker Duuwr.
^ollen wir die Bedeutung des Hunwrs iu der
Musik uutersuchen, so müssen wir zunächst
nachweisen, daß die hauptsächlichen Mittel,
wodurch er sich äußert, hier wirklich vor-
handen sind. Das wären in erster Reihe das Komische
und das Witzige, die man sich gewissermaßen als Sprossen
der Leiter denken k'ann, die zum Humoristischen hinaussührt.
Sieht man doch den Humor auch geschichtlich aus dem
Komischen sich entwickeln; Komik und Witz bilden in der
Regel die Gewandung, in der er erscheint und in deren
Falten er wohl tiefen Ernst versteckt hält. Daß freilich
der Humor als Stimmung noch tausend andere Mittel
kennt, sich in allen Schattungen zu äußern, daß er, wie
schon das Wort sagt, allem Geistigen überhaupt beigemischt
sein kann, darf uns hier nicht beirren.
Wir beschränken uns, das sei gleich bemerkt, auf die
absolute Musik, auf die reine Jnstrumentalmusik,
nm von vornherein den Einwurf abzuschneiden, daß in der
Oper oder überhaupt in der Vokalmusik der Humor des
Textes wohl unbewußt aus die Musik übertragen werde
und diese somit nicht aus eigener Machtvollkommenheit
humoristisch wirke. Wie glänzend und schlagend die Musik
sa gerade in der Oper es vermag, komische Vorgänge
auszumalen, zu beleuchten, zu vergeistigen und zu umspielen,
und wie besonders leicht gerade hier ein Komponist an-
geregt werden kann, nach Herzenslust musikalischen Humor
zu entwickeln, das wäre ohne Mühe nachzuweisen, und nicht
minder, daß es gerade hier die Musik ist, die bei feineren
humoristischen Wirkungen den Ausschlag giebt — man denke
an die Scheltarie des Osmin in der „Entführung aus dem
Serail".
Vorübergehende humoristische Wirkuug an sich und
humoristische Grun d stiinm un g hätten wir bei unsrer
Untcrsuchung von einander zu halteu. Die letztere, das
Wichtigere und eigentlich Ausschlaggebende, bleibe vorläusig
bei Seite.
Jm Wesen der Musik liegt es begründet, daß das
Komische in ihr keinen so starken Wiederhall sinden kann,
wie in denjenigen Künsten, die in den Formen der Natur-
nachahmung unmittelbar schafsen: je geringer die Möglich-
keiten sind, Wirklichkeitsbilder nachzumalen, je mehr tritt
die Beleuchtung des Komischen zurück, das uns gerade aus
dem Realismus der Wirklichkeitsbilder am häufigsten ent-
gegenlacht. Fehlt aber der Musik das Vermögen, die
komischen Gegenstände uns vor die Seele zu führen,
so hat sie doch die Mittel, die Stimmungen, die durch
sie in uns angeregt werden, auszudrücken. Sie kann pathe-
tische, hohe, erhabene Empsindungen mit einem Ruck in ihr
Gegenteil umkehren. Wer wollte bestreiten, daß gerade
die Tonkunst uns außerordentlich lange in erhabenen Ge-
sühlsregionen sestzühalten und unsre menschliche Natur, die
doch sonst gar bald in ihnen ermattet, dort kräftig zu
halten vermag. Schon durch ihren ungeheuern Reichtum
an Mitteln zu Kontrastwirküngen — ich erinnere an die
dynamischen Abstusungen vom krachenden Fortissimo ab-
schwellend in das Verhallen des Pianisssimo, an die un-
endlichen rhythmischen Möglichkeiten, an die mannigfattigen
Zeitwerte der Noten, an die prägnanten Gegensätze des
Muccuto und IsZato — ist die Musik gewiß im Stande,
auch Komik in reichlichem Maße zu entwickeln. Wie außer-
ordentlich komisch kann da z. B. der Gegensatz des plötz-
lichen llbergangs von den höchsten Tönen zu den tiefsten
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