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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 18
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Sprechsaal
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Zeitungsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0292

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vergnüglich erscheint: ob es erhebt, Lelehrt, vertieft, ist
einerlei, wenn es nur glänzt und „zieht". Äußerlichen
Glanz, Hast und Drängen braucht man unserer Zeit nicht
mehr vorzumalen, das kennt sie, liebt sie, schätzt sie; man
zeige ihr Charaktergröße, Ruhe, Jnnerlichkeit, Tiefe und
Ernst der Empfindnng. Wohl, eine schöne Unterhaltung
wollen wir recht gern der geplagten, hetzenden Menschheit
gönnen, und den Musen steht es auch nicht übel zu Gesicht,
wenn sie diese bieten, aber die Kunst darf nicht n ur dieses
thun. Die Muse ist kein Hanswurst. Um eine Zeit steht
es schlecht, die eine so äußerliche Kunstform auf den Thron
erhoben hat. Die Knnst soll erheben, läutern, reinigen,
bessern; der Künstler ist ein Priester des reinen Menschen-
tnms. —

Man dars nun nicht so weit gehen, daß man sagt:
die Oper ist überhaupt ein Unsinn, wie es hier und da
radikale Geister thun; das ist nicht wahr, das schießt über
das Ziel hinaus. So wie es eine Hörerschaft giebt, die
imstande ist, alle Momente des Schönen, aus denen sich
eine Oper zusammenstellt, als Vereintes nachznempsinden,
so ist auch die Oper als Künstform berechtigt. Wogegen
wir eifern, ist das: man überschätzt die Oper, man
vergöttert sie unverdienter Weise. Man Halte die Oper
nicht länger für die edelste und oberste Kunstform; sie ist
schlechter als ihr Ruf; sie zeigt nicht die Wahrheit;
nie sieht man auf ihr den Menschen; sie ist ein
hübscher, bnnter Jahrmarkt, ein künstlerisches Allerlei, ein
artiges Spielzeug für erwachsene Kinder.

Man glaubt die Opernbühne dann schon zn einer
moralischen Anstalt umgeformt zu haben, wenn man aus
den Opern die anzüglichen und pikanten Stellen streicht,
aber die ganze Form der Oper kann durch ihr zerstreuen-
des und verflachendes Wesen schon unmoralisch wirken, ohne
daß man nnr den Jnhalt bedenkt. Es ist hoch an der
Zeit, daß man sich anf das ernste Schauspiel besinnt —
natürlich ist damit nicht das moderne Lnstspiel gemeint,
von dem wir gelegentlich auch einmal ein Liedchen singen.
Man unterstütze das klassische Drama; wenn dies Viele
thun, so werden nur Wenige ins Opernhaus gehen, nnd
dann werden die Theaterdirektoren schon gute Miene zum
Schauspiele machen. —

Jst die Oper im eigentlichen edlen Sinne des Wortes
volkstümlich? Nein, sie setzt zuviel Kenntnis und Ver-
ständnis voraus, als daß sie den breiten Massen des Volkes
verständlich werden könnte. Sie läßt sich vom Volke wegen
ihres glänzenden Aufputzes ganz gern bewundern, die eitle
Dame, — aber edle Hausgenossin, eine reine, licbe Herd-
slamme wird sie den Deutschen in ihrer jetzigen Gestalt
nie werden. Sie ist eine Kunst der reichen Leute. Damit
ist ihr eigentlich das Urteil gesprochen; denn wahre Kunst

und Geldliebe stoßen sich ab, hassen sich, aber verschwistern
sich nie.

Wie denken wir uns die Weiterbildung der Oper
in der Znkunft? Kann sie auf der Bahn Wagners weiter
gehen? Nein, denn Musik und Dramatik gehören nicht
zusammen. Auf vielen Gebieten der Kunst macht sich jetzt
ein Streben nach Verismus und Realismus geltend. Kann
die Oper nicht auch nach dieser Seite hin sich verjüngen?
Nun wohl, die jungen Jtaliener versuchen es, die Gegen
wart sagt sogar mit Glück, wir glauben, daß die Nachwelt
anders nrteilt. Wenn auch die Handlung in der „Bauern-
ehre" nnd im „Bajazzo" eine gewissen Verbindung des
wirklichen Volkslebens mit der Kunst bringt, so ist es eben
doch nur italienisches Volksleben und kein deutsches;
nnd auf die Dauer läßt sich der Deutsche das Fremdländische
nicht gesallen. Aus dem Volksleben unserer heutigen Zeit
kann die Oper neue Stosse unmoglich nehmen; das>Leben
unserer Zeit ist viel zu unküustlerisch und entbehrt der ab-
getönten Nuhe sowohl, als auch großartiger, idealer, indi-
vidueller Haudlung. Einen Fortschritt über die jnngen
Jtaliener hinaus kann man sich ungefähr so denken: eine
Oper mit derselben dramatischen Vehemenz, aber der Vor-
wurf aus dem Leben der deutschen Gegenwart gegriffen.
Wer will das wagen, ohne komisch zu wirken? Das Leben
der Franzosen und Jtaliener mag vielleicht dazn noch an-
gethan sein, das Leben des Deutschen kann eine so rasch
pulsirende dramatische Musik nicht illustriren.

Frau Oper ist ein eitles, selbstbewußtes Weib; sie
sragt nicht um Rat; käme sie aber doch zu uns, wir
würden ihr sagen: Sehr verehrte Frau Oper, ziehen Sie
ihre internationalen Flittergewänder aus, laufen Sie nicht
mehr hinter fremden Völkern her, und hetzen Sie nicht
mehr im Tempo rapidamente durch die Welt. Tragen
Sie mal ein ehrliches, deutsches Gewand; gehen Sie in den
dentschen Wald, dort schläft das deutsche Märchen und die
deutsche Sage; bringen Sie uns. das liebe herzige Dorn-
röschen und das traute Aschenbrödel, auch den Kaiser Rot-
bart hätten wir gern. Wir dürsten nach echter deutscher
poetischer Schönheit; die „Ehebrüche mit Musik" haben wir
nun satt. Und tressen Sie wen, der da sagte: Märchen
und Sagen sind nnr für Kinder, dem sagen Sie: „Jn
der Kunst wird auch die älteste Sage wieder jung; ihr
aber könnt, so ihr nicht werdet wie die Kinder, so rein
und unbeeinflußt, sondern bleibt, wie ihr jetzt seid — ihr
aber könnt so lange nicht ins Himmelreich echter Kunst
kommen. Märchengestalten haben typischen Wert, zuweilen
ernsten, tiefen Jnhalt, nnd nicht. nnr Kinder speist man mit
Märchen ab."

Aber sie wird nicht kommen, die stolze Frau Oper.

Arthur 5tiehler.

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. Die Deilung der Ikritik. — IKundsebuu. Dichtung. Schöne Literatur. xxi. — Musik. Musik
literatur XI. — Wichtigere Musik-Ausführungeu. XVII. — Koburger Operukoukürrenz. — Bildeude
Künste. Die Berliner Kunstausstelluug i. Wieuer Kunstbrief. Kunst und Armut. (Schluß.) — Dprecbsauli Kritische

Würdiguug der Oper als Künstform. — Leitungsscbuu.

— 2SZ —
 
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