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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 15 (1. Maiheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0244

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Magistrat; er giebt trotz seiner ungünstigen Finanzlage durch-
schnittlich jährlich 200000 Francs sür Gemälde und Skulp-
turen aus, erstere reiht er verschiedenen Sammlungen ein,
letztere stellt er auf den Plätzen und Parkanlagen auf, und
verschönert dadurch Paris von Jahr zu Jahr.

Und in Berlin? Als kürzlich an unsere brave Stadtver-
waltung der Antrag gelangte, behuss Förderung der Kunst,
insbesondere der Kleinkunst, alljährlich die Summe von 30000
Mark in den Stadthaushalts-Etat einzustellen, da wurde dieser
Antrag abgelehnt mit dem Bemerken, »daß der Magistrat be-
strebt sein werde, bei Bauausführungen und anderen geeigneten
Gelegenheiten sür die künstlerische Ausgestaltung möglichst zu
sorgen«. Jn welcher Weise dies geschieht, haben wir ja ge-
sehen. Also nicht einmal 50000 Mark hat man trotz der gün-
stigen Finanzlage der Stadt übrig sür Fördernng der Kunst
in einer Zeit, wo der letzte Jahresbericht des Präsidiums der
Akademie der Künste konstatirt, daß die »Zahl der vom Staate,
städtischen Behörden und Korporationen gestellten monumentalen
Aufgaben in keinem Verhältnis mehr steht zu der Menge der
aus den staatlichen Kunsthochschulen hervorgehenden Künstler«.

Natürlich besteht sür unseren Berliner Magistrat auch die
Literatur nicht, wie es von neuem durch das einer Stadt wie
Berlin äußerlich wenig würdige Werk: »Berlin und seine Banten«
bewiesen wird. Hat man je gehört, daß er einen Preis sür
dieses oder jenes Buch über die Stadt Berlin ausgesetzt hat,
daß er in irgend einer Weise seine Anerkennung ausdrückte
jenen Schriftstellern, die mit hingebender Liebe Berlin zum
Ziel ihrer eingehenden Studien machten, hat er je einem
Schriftsteller ein Stipendinm erteilt? Wir würden diese An-
klagen nicht erheben, wenn die Verwaltung Berlins mit stetem
Defizit arbeitete, aber sie erübrigte im letzten Jahre mehrere
Millionen Mark, sie bezahlte sür Repräsentation der Stadt bei
allerhand Festseierlichkeiten im Jahre t888 uicht weniger als
6^8 273 Mark, sie bewirtete die Natnrforscher für mehr als
70000 Mark und stellte ihrem verstorbenen Oberbürgermeister
zu seinem 70. Geburtstage 200000 Mark zu Versügung — die
Literatur geht leer aus. Und doch könnte gerade auf diesem
Gebiet die Stadt viel Gutes thun, denn das literarische Feld
Berlins ist bisher wenig bestellt und das Jnteresse dafür in
zahlreichen Kreisen im Wachsen begrifsen; es sehlt beispielsweise
sast günzlich an guten Jugendzählungen aus der Geschichte Ber-
lins - erlasse doch einmal der Magistrat ein Preisausschreiben!
»Wir würden uns ganz gern um die Literatur mehr kümmern,
wir wissen nur nicht, wie wir es machen sollen!« — hat ein
hochstehender Kommunalbeamter gelegentlich zu einem der be-
kanntesten Berliner Schriststeller geäußert. Ein beschümendes
Eingeständnis, aber gleichviel, ein Eingeständnis, und das ist

besser als ein Vertuschen; nun denn, die ersten Berliner
Schriststeller würden es sich gewiß zur Ehre rechnen, dem
Magistrat mit ihrem Rat zur Seite zu stehen. Er bilde eine
literarische Kommission, ähnlich der literarischen Sachverstän-
digen-Kommission des Staates, und er wird bald wissen, „wie
es gemacht wird", oder er lasse sich den Verwaltungsbericht
des Pariser Magistrates kommen, und er wird daraus ersehen,
was jener für literarische Bestrebungen ausgiebt und wie sehr
er sich seiner Pflichten gegen die schönen Künste, gegen Literatur
und auch Musik bewußt ist!

Da wir aber nur geringe Hofsnung haben, daß unser
Magistrat selbst zu dieser Pflicht - Erkenntnis gelangen wird,
und da wir leider in dem neuen Berlin genug Beweise be-
sitzen, wie wenig sähig er ist, sein Versprechen zu halten: »bei
Bauausführungen und anderen geeigneten Gelegenheiten sür
die künstlerische Ausgestaltung zu sorgen«, so möchten wir aus
einen Vorschlag zurückkommen, den vor achtzehn Jahren bereis
Baurat Orth gemacht hat, der damals schon, ohne daß seine
Worte Beachtung gefunden, sür eine durchgreifende bauliche
Reorganisation Berlins energisch eingetreten und im Anschluß
daran gemeint hat: »Es würde sür diese Berlins ganze Zukunst
auf lange Zeit bestimmende wichtige Frage nur dann etwas
Wesentliches erreicht werden, wenn eine sreie Kommission aus
^ höheren Beamten der Ministerien und anderen Kapizitäten zu-
sammengesetzt würde, nm die einschlagenden Fragen sür eine
Entscheidung der Ministerien teils durch Sammlung des nötigen
Materials, teils durch detaillirte Besprechungen, vorzubereiten.
Eine solche sreie Kommission, in der die Reichs- und Staats-
behörden, welche mit der Frage in Berührung stehen, sowie die
Kommunalbehörden vertreten sein würden, wo unabhängige,
mit diesen Fragen vertraute Personen nach vielen Richtungen
das den Behörden zur Verfügung stehende reiche Materal er-
gänzten, könnte sür die ganze Stadtentwicklung und das Wohl
vieler Bevölkerungsklassen von unberechenbaren günstigen
Folgen werden, auch im Prinzipe eine rasche Entscheidung
möglich machen!«"

Der Verfasser warnt zum Schlusse davor, alle Besserung
von oben zu erwarten. Er thut sehr recht daran. Der größte
Feind des wirklichen Fortschritts in Berlin ist der Geist der
„Berliner Gesellschaft" mit ihrer Selbstberäuchernng und ihrem
Herabsehen auf das, was draußen ist. Und diesem Geist schmeichelt
der größte Teil der Berliner Presse auf erbürmliche Weise. Hans
Herrig schrieb einmal Eineiu, der ihn sragte, warum er von
Berlin nach einer Kleinstadt zöge: weil ich dort alles eh er habe.
Richtig verstanden, hat das Paradoxon treffenden Sinn: es giebt
eine Menge von Kultur- und Kunstbewegungen der Nation, die
nirgends langsamer Wurzel gefaßt haben, als in ihrer Hauptstadt.

Lettungsscbau.

Nllgememeres. (Aunst u. Armut) L. Aldenhoven, Nation !

(D. germ. Nationalcharakter) R. M. Meyer, Magazin

tö. — (Die Photogr. i. Runst u. lvissenschast) A. Tschirch,
Schweizer. Rdsch. — (Aesth. Streitsragen) L. Gurlitt,
Gegenw. t2. — (D. Milieu) M. Nasser, Magazin t5. —
Dtebrung. (Die liter. Bewegung in Lngland) G. Barlow,
Aus sremden Zungen 6. ff. — (Die ital. Literatur) G. A.
Scortazzini, Beil. z. Allgem. Z. 8). -- tIung-Frankreich i.
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2. — (Denkm. deutsch. Tonkunft) p. Spitta, Grenzboten
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Mldende IKÜNSte. (Der Rupferdruck) Ls. Buß, R.-Salon
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Skraup, R.-Salon q.. 5. — (Die Sezessioniften in Berlin)
G. Mittelberg, Zreie Bühne 2. -- (Z. Lntstehnngsgesch. d.
kreuzf. Basilika) Ls. Graf, Repert. f. Runstw. ). 2. 3. ff. —

» Die künstlertscbe Lrztebung der Augend. 2. Die Schule. — Theater. Wichtigere Schauspielauf-
. sührungen XRV. — Musik. Brahms. Musikaufführungen XV. Das „Lärmende" in Wagners Musik.
— Bild end e Künste. G. Lührig. Berliner Kunstbries. Arnold Böcklin. — Vermischtes. Zweckmüßigkeit und Schönheit.

— Literastur. Berlin als Kleinstadt. —Mettungsscbrm.




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