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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

DOI issue:
Heft 22 (2. Augustheft 1893
DOI article:
Dresdner, Albert: Das "Moderne" im Drama: zur Verständigung
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0344

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Lvvettes Nugust-Dekt 1S93.

22. Ltück.

Lrscbetnt

Derausgeber:

zferdtnaud Nvenurtus.

Iöestellpreis:
vierteljährlich 2»/z Mark.

6. Zakrg.

Das „Moderne" im Drama.

Lur llerständtgung.

jnerwartet schnell hat die sunge Bewegung in
unserer Literatur ihre Flegelsahre überwunden,
hat sich die trübe Gährung, mit der sie anfing,
gesetzt. Sie begann mit kritischem Sturmlauf,
mit herausfordernden Versuchen, in denen das Können
hinter dem Wollen in unerfreulicher Weise zurückblieb.
Sie begann mit einer Periode streitsüchtigen, nicht immer
vornehmen Räsonnements. Heut ist die Kritik auf die
angemessene Aufgabe beschränkt, Begleiterin, Erklärerin,
Vermittlerin des Schafsens zu sein, weil sie sich Leistungen
von Gewicht und Bedeutung gegenüber sieht. Heut sind
die Lärmer, die vor zehn und fünfzehn Jahren die erste
Geige spielten, in den Hintergrund gedrängt, und neue
Künstler stehen im Mittelpunkte der Aufmerksamkeit, denen
selbst die Gegner Achtung und Beachtung kaum versagen
dürsen. Vor allem im Drama hat die neue Richtung
Werke geschasfen, die fich die Bühnen erobert, die tiefe Teil-
nahme gewonnen, die dem Verständnisse für die Absichten
der „Jungen" in weitem Kreise Bahn gebrochen haben.

Merkwürdig ist, daß trotzdem die Erkenntnis dessen,
was eigentlich im Drama als das „Moderne" bezeichnet
werden kann, vielfach noch so wenig geklärt ist. Am
meisten ist dieser Mangel vielleicht grade in den gebildeten
Kreisen des soliden Bürgertums und des Gelehrtenstandes
zu stnden, weil diese auch den Konservativismus der Bildung
besitzen. Jmmer noch stößt man sich hier an einer gewissen
Rohheit der Vortragsweise und an der Wahl der Stofse,
die man für Eigentümlichkeiten der neueren Kunst hält, in
so hohem Maße, daß man eine ablehnende Haltung der
ganzen modernen Literatur gegenüber behauptet. Ersichtlich

aber ist die krasse Derbheit der Behandlungsart in schnellem
Verschwinden begrifsen; gegen den Ton der neuesten Werke
desselben Gerhart Hauptmann, der vor nicht eben vielen
Jahren „Vor Sonnenaufgang" geschrieben hat, werden selbst
empfindliche Personen wenig einzuwenden haben; und über-
dies ist in das moderne Drama seit einigen Jahren eine
deutlich zu erkennende Strömung eingedrungen, die die
gebildete und gesittete Art der guten Welt in einer ungemein
dankenswerten und anerkennungswürdigen Weise zu ihrem
Rechte bringt; ich denke an Dichter, wie Alepander Baron
Roberts, Ernst von Wolzogen, Wilhelm von Polenz*, in
denen sich ein (wie niich dünkt) bedeutsames Hervortreten
des deutschen Adels ankündigt. Was aber die Wahl be-
denklicher, verletzender oder peinlicher Stofse durch die
Dramatiker angeht, so kann es nicht oft und nachdrücklich
genug betont werden, daß sie mit dem Wesen des Modernen
im Drama keineswegs zusammenfällt, sa auch nicht einmal
innerlich mit ihm verknüpft ist. Wenn Männer von
Bildung und Geschmack aus der Behandlungsweise und
der Stofswahl Anlaß nehmen, mit der neueren Literatur
zu schmollen und ihr gegenüber die klassischen Jdeale aus-
znspielen, so ist ihnen der Humor der geschichtlichen Ent-
wickelung verloren gegangen. Sie vergessen, daß sich auch
Schiller und Goethe in den „Räubern" oder in „Kabale
und Liebe" oder im „Götz" nichts weniger als „anständig"
benahmen, daß einer jungen Literatur, zumal wenn sie sich
gegen Manier gewordene Schönfärberei und Schönseligkeit

* „Satissaktion", „Lumpengesindel", „Heinrich von Kleist"
sind die Werke, die ich im Sinne habe; sie zählen sicherlich
zu den tüchtigsten Erzeugnissen unserer neueren Literatur.

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