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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 16 (2. Maiheft 1893)
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Schumann, Paul: Die Künstlerische Erziehung der Jugend, [3]: die Universität
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0252

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werden. Treten diese doch auf Schritt undu Tritt beim
Besuch von Kunstausstellungen, beim Lesen der Tagesblätter,
beim Besehen von Kunstzeitschristen, beim Anblick moderner
Bauten an ihn heran. Er sieht und fühlt, daß diese
moderne Kunst etwas ganz anderes ist als die Kunst der
Cornelius und Schinkel und Thorwaldsen, die ihm noch
immer in vielen Büchern als die einzig wahre gepriesen
wird. Wie soll er sich diesen Gegensatz erklären? Wo
stammt diese neue Richtung her? Welches sind ihre Haupt-
vertreter, welches ist ihr Auspruch auf Berechtigung? Diese
Fragen sind so ziemlich die wichtigsten, die der Dozent der
Kunstgeschichte seinen Zuhörern zu beantworten hat, und es
ist klar, daß er sie nicht beantworten kann, wenn er nicht
selbst in dieser modernen Richtung drin steht, das historisch
Gewordene als berechtigt anerkennt. Mit einem Lamentiren
über den Verfall der wahren hohen Kunst ist es da nicht
gethan. Vom cornelianischen Standpunkt aus kann man
diese moderne Richtung nicht verstehen. Sie will vielmehr
aus einem tieferen Verständnis der modernen Kulturbe-
wegungen und aus einer gereiften ästhetischen Auschauung
heraus gewürdigt und geschildert sein. Nicht als ob wir
die alten Meister über dieser modernen Richtung verachten
wollten. Jm Gegenteil, wir werden nicht selten Gelegen-
heit haben, die neuen an den alten zu messen. Aber wenn
wir auch nicht alles billigen, was die Neuen gemacht haben
und noch immer machen, so werden wir zum Schluß doch
sagen müssen, daß sie im Ganzen auf dem richtigen Wege
sind. Und auch hier werden wir das Wort gelten lassen, in
dem man das ganze Geheimnis der historischen Entwicklung
zusammensassen kann: Der Lebende hat Recht."

Wir übergehen die noch folgenden vortrefslichen Be-
merkungen Langes über die Art der Behandlung des kunst-
historischen Unterrichts. Er preist mit Recht das Verfahren

Anton Springers, aus dem er das seinige, auf kleinere
Universitäten angewandt, abgeleitet hat. Nur in einer Be-
ziehung können wir ihm nicht Recht geben. Das Jdeal,
die Anschauung zu vermitteln, muß immer darin bestehen,
daß alle Zuhörer gleichzeitig das Kunstwerk sehen, von dem
gesprochen wird. Dieses leistet allein der Projektionsapparat
(Schattenbildwerfer), an den übrigens auch Springer mit
resignirender Sehnsucht dachte. Wer ihn jemals in Vor-
trägen vor größerem Kreise gebraucht hat, wird jedes
andere Mittel, wie das Herumreichen von Photographien
für ein unvollkommenes Surrogat ansehen müssen. Preisen
müssen wir Langes unerschrockene That, der zünstigen Ge-
lehrsamkeit einmal den Handschuh hingeworfen zn haben,
indem er ihr die Pslicht, volkserzieherisch zu wirken, mit
Ernst vorrückt, auf die Gefahr hin, unwissenschaftlichen
Vorgehens geziehen zu werden. Und wir hoffen, Lange
wird Recht behalten; die Zeit wird kommen, wo man die
Kunst als edelstes Volkserziehungsmittel allgemein anerkennen
und auch wirklich benützen wird. Jn diesem Glauben, der
längst der unsere und der des „Kunstwarts" ist, wissen wir
uns eins mit Lange, den wir freudig als Bundesgenossen
begrüßen. Wir teilen den Wunsch, mit dem er sein Buch
schließt: Möchten doch diejcnigen, denen die künstlerische
Erziehung des Volkes anvertraut ist, seien es nun Mütter
und Väter, Kindergärtnerinnen oder Zeichenlehrer, Kunst-
schriststeller oder Professoren der Kunstgeschichte, sich immer
wieder vor Augen halten, daß ihre Thätigkeit eine ganz
hervorragende praktische Bedeutung für die Zukunft unseres
Volkes hat; daß ihnen in dem künstlerischen Triebe der
Jugend ein Pfund anvertraut ist, welches nicht vergraben
werden darf, sondern als zinstragendes Kapital angelegt
werden muß sür die Zukunft der deutschen Kunst.

paul Lcbumann.


Mlgemeineres. IKundscbau.

x Ikelncs Deutscbtum in der Ikunst. Friedrich
Lange, der Herausgeber der „Täglichen Rundschau",
hat in diesem Blatte eine Aufsatzfolge „Reines Deutsch-
tum" verösfentlicht, die, abgerundet und ergänzt, nun auch
als eigene Schrift erscheint. Er beleuchtet darin die
wichtigen Kulturfragen der Gegenwart vom Standpunkte eines
entschieden nationalen Wollens und giebt auch hinsichtlich
der Dichtung und Kunst unsres Volkes Hofsnungen kund,
bei deren Aussprache er sich als der Wortführer von
Vielen empfinden darf. Wir glauben, daß man in mancher
Beziehung zu andern Zielen kommen kann, als Lange,
auch wenn man so ziemlich von dem gleichen Punkte aus-
geht, wie er, und Lekennen insbesondere die Meinung, daß
bei seinen Betrachtungen über Literatur und Kunst die
Grundsätze zwar durchaus richtig sind, die Diagnose aber
in einigen Fällen irrt. Das kann uns nicht hindern,
hier einen Teil seiner Aussührungen wiederzugeben und
damit zugleich die übrigen Kapitel lebhaft dem Lesen und
dem Nachdenken auch unferer Freunde zu empfehlen.
Wie wir selbst über die Zukunft der deutschen Kunst und

des deutschen Schrifttums denken, und was wir von
ihnen erhofsen möchten — das geht ja wohl aus den
beiden Aufsätzen hervor, die den laufenden Jahrgang des
„Kunstwarts" eingeleitet haben. Zu vier Fünftel erscheint
auch uns zutrefsend, was Lange fagt.

Der Gedanke eines reinen Deutschtums müßte nach
Lange für Dichtung und Kunst eine Wiedergeburt von
Grund auf bedeuten, aber außerordentlich schwierig scheiuen
ihm gerade hier die Verhältnisse zu liegen. Unsre wirk-
liche Dichtung hat fich ganz losgelöst vom Zusammenhange
mit dem Volk, sie hat kein Publikum mehr, sie ist „wie
ein Ktavierspiel im luftleeren Raume -— Musik ohne
Schall und Widerhall". Die „Jüngstdeutschen" machen
in ihren Privatgemächern so viel Lärm, daß man immerhin
wenigstens von ihnen weiß, von den „einsamen Vor-
empfindern des Deutschtums" aber weiß man nicht ein-
mal. Anderseits seien die Dichter und Schriftsteller selber
in ihrer großen Mehrzahl zu „selbstgerechte und eitle
Seelen", als daß sie die Bußpredigt annähmen, die doch
gerade ihnen am allernötigsten wäre.

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