ziehung den Bäumen, die Vvn Jugend ab gezwungen werden,
am Spalier zu laufen. Es können ganz gesunde Bäume
sein: hätte sie in ihrer Jugend keine fremde Macht an
die Stäbe und Drähte gebunden, in ihrer Manneszeit
würde keiner mehr ihren Stamm nach dem Fachwerk um-
sormen. Das Bild hinkt, denn Wagnes Persönlichkeit ist
kein leeres Fachwerk, sondern ein höchst Lebcndiges. Aber
nur um so größer ist die Gefahr nicht einer Nachfolge
der Kunstgedanken, die er klargelegt hat, sondern einer Nach-
ahmung der Art, wie er die Welt in Tönen mit seinen
eigenen besonderen Organen empfand und wiedergab.
Tritonus.
Dlcbtung.
IKundscliau.
* Über „dte Leele des Iketmes" bringt Wolfgang
Kirchbach im „Magazin" eine Studie, die wir der Be-
achtung der ernsteren Poesiefrennde ganz besonders empfehlen.
Denn ihr Verfasser tritt wieder einmal eindringlich der
immer noch so verbreiteten dilettantischen Auffassung des
Reimes als eines Elementes entgegen, das hauptsächlich nach
seinem größern oder geringern „Wohlklange" zu messen sei.
Für Kirchbach und, bewußt oder unbewußt, für seden wirk-
lichen Dichter ist die Betonung durch den Gleichklang eine
„Herausforderung an den Geist". „Das geistige, seelische
Verhältnis, das wir zwischen den Worten aufgefunden haben,
erhält den Namen des Reims. Nicht der Gleichklang als
solcher sollte mit diesem Ausdruck bezeichnet werden, nicht
das zufällige Gleichlauten der Silben."
Kirchbach fährt fort:
„Wir nennen jenes lebendige Verhältnis zweier gleich-
lautender Worte die Seele des Reimes, und indem wir
die Forderung aufstellen, daß seder gute deutsche Reim eine
solche Seele habe, bezeichnen wir etwas, was auf die eigent-
lichen Künstgeheimnisse dieses Sprach- und Redemittels hin-
weist, Geheimnisse, welche mancher Dilettant, der die soge-
nannten »richtigen« Reime baut, der niemals »ü« und »i«
paart, fortwährend verletzt, womit er auch den Geist des
Lesers verstimmt.
Denn ein Redemittel, ein Sprachmittel ist vor allem
der Reim. Man kann sich, ohne tiefere ästhetische Forschung,
sogar zunächst auf diese Bezeichnung beschränken, um ziem-
lich klare Blicke in das Wesen der künstlerischen Anwendung
der Reime zu thun. Das Sprachmittel stellt sich als ein
solches der Betonung dar. Betonung ist nun allerdings
nur der symbolische Ausdruck für die verschiedensten Vor-
gänge der Phantasie, der Leidenschaft, des denkenden Geistes,
auf welche die Seele einen besonderen Nachdruck gelegt
wissen will.
Wir müssen vor dem großen Rätsel des Seelenlebens
hier halt machen, das unser inneres Leben fortwährend in
einem Rhythmns solcher Unterschiede des Nachdruckes er-
hält, mit dem wir sehen und empfinden. Die Jnteusität,
mit der gewisse Anschauungen auf unsere Empsindung wirken,
die verschiedene Jntensität gewisser Anschauungen in gewissen
Zusammenhängen des Geistes ist die Ursache dieser Rhythmik
unsres Empfindens und der Betonung von Worten und
Satzteilen, mit der wir diese unsre leidenschaftlichen oder
denkenden Erregungen ausdrücken.
Die Poesie, die das Leben unserer Seele noch getreuer
und gedrungener zum Ausdruck bringen möchte, als die ge-
wöhnliche Rede, hat eine Reihe von Sprachmitteln, Rede-
mitteln entwickelt, welche den verschiedenen Jntensitäten unseres
Anschauens, Sehens, Denkens, Wollens, Empfindens noch
getreuer entsprechen, als die Prosa, sofern es sich weniger
um die abstrakt, als um die anschaulich vollzogenen Denk-
und Phantasievorgänge handelt. Ein solches Mittel, welches
den Rhyythmus der Jntensitäten unserer Vorstellungen nach-
ahmt, den verschiedenen Nachdruck, der Denkteilen anhaftet
zu Folge der verschiedenen Jntensität, mit der das Gehirn
Erscheinungen und Begrisse sesthält und in geistigen Zu-
sammenhängen verwertet — ein solches Mittel äußerlich
nachähmender Symbolik ist vor allem der Rhythmus des
Verses, in dem ja auch betonte und unbetonte Silben dem
Nachdruck entsprechen, den die Seele deutlicheren und minder
starken Vorstellungsteilen oder Empfindungsbewegungen zu-
erteilt. —
Jn den neueren Sprachen, insbesondere in der deutschen,
ist der Reim gleichsalls ein solches gesteigertes Betonungs-
mittel geworden. Da er als ein poetisch-künstlerisches
Mittel verwertet wird, nicht als ein prosaisches, so ist er
in dieser betonenden Eigenschast eine Art von Nachahmungs-
mittel, sofern er diejenigen Anschauungen, Begriffe oder
Empfindungen in ein Verhältnis der Nachahmung bringt,
die durch die Klangwiederholung auch äußerlich in ein Ver-
hältnis der Nachahmung versetzt werden.
Die Bedeutung des Wortes Nachahmung darf aber
nicht zu eng begrenzt werden. Zunächst wird jedermann
mit dem Begrisse der Betonung erkennen, daß der Reim
ein Redemittel zur Unterstützung des geistigen Nachdruckes
ist, den wir auf gewisse Anschauungsfolgen und Jdeen-
gänge legen. Eben indem wir sie reimen, wollen wir sie
besonders ausdrücklich ausgesprochen haben, und es wird
daher ergeben, daß die Reimworte immer einen ganz be-
stimmten rhetorischen Wert enthalten. Die Reime sind ver-
fehlt und schlecht, wenn ihnen dieser Charakter zur Unter-
stützung der Redekunst mangelt.
Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.
Die Reimworte »Glanz« und »ganz« stehen in einem
solchen rhetorischen Verhältnis zufolge des ganzen Sinnes
dieser Strophe. Das Wörtchen »ganz« erhält eine hervor-
ragende lyrische Betonung; die Empsindung des Dichters
atmet gewissermaßen auf die Vorstellung aus, daß seine
Seele »gänzlich« erlöst, ausgelöst, entlastet sei. Eine Ge-
mütsbetonung lagert über dem gereimten Wörtchen. Ähnlich
in der Strophe:
Fließe, fließe, lieber Fluß,
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.
Auch hier lagert über dem Wörtchen »so« ein be-
sonderer Gemütsausdruck; es hat den rhetorischen Ton,
den Rednerton, und das ganze Gedicht erscheint uns nicht
zum geringsten deshalb so warm empfunden, weil der
Dichter durch die rhetorische Technik seiner Reimworte uns
ganz von selber nötigt, diejenigen Worte besonders innig
zn betonen, die auch seine Seele am innigsten empfand und
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