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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

DOI issue:
Heft 17 (1. Juniheft 1893)
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Tritonus: Lieder und Liederkomponisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0264

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Lrstes Zuni-Dett 1993.

17. Ltück.

Lrscbeint

Derausgeber:

Ferdinund Nvenarius.

Kcstellpreis:

vierteljährlich 21/2 Mark. 6.

Lieder und Liederkomponisten.

in dem schrankenlosen Musiziren unsrer Tage
neben dem Klavierspiel auch das Liedersingen
mit besonderer Liebe gepflegt wird, ist schon
aus praktischen Gründen das Liederkomponiren
eine Hauptbeschästigung unsrer Tonsetzer geworden. Es
dürfte seit Schubert wohl eben so in die Breite gegangen
sein, wie seit Goethe (allerdings nicht aus „praktischen"
Gründen) das Liederdichten.

Dem Durchschnittsliederkomponisten scheint die Sache
heut wohl mitunter so, als ob Liederdichter und Lieder-
komponist mit einander asfoziirt wären, einander in die
Hände arbeitend, wie Müller und Bäcker. Schwerlich dürste
noch irgend ein solcher Tonsetzer etwa im Gebiet einer
Quadratmeile auszuspüren sein, der nicht mit Entschieden-
heit behauptete — besonders wenn ihm das „Schafsen"
in anderen Formen nicht so recht von der Hand gehen
will — daß ihm Apoll doch immerhin „der Lieder süßen
Mund" verliehen habe. Wer kennte sie nicht, die typischen,
gewöhnlich ebenso fruchtbaren wie „gemütvollen" Stadt-
liederkomponisten, die den Stolz der Liedertafeln bilden?

Schon sene vielgeplagten Kapellmeister-Komponisten der
dreißiger und vierziger Jahre, die Marschner, Spohr,
Reißiger, Konradin Kreutzer, Feska, Lindpaintner wußten
nichts lieberes zu thun, als Liedlein zu setzen, eins nach
dem andern, mit möglichst vielen Strophen, die dann, noch
warm auf den Markt gebracht, von aller Welt konsumirt
wurden. Man erholte sich beim Liedermachen vom
fleißigen Arbeiten an der neuesten Oper, von all der
Mühe an den sanften Kavatinen, den frischbewegten Ter-
zetten, den „großen Szenen und Arien" mit stürmischen
Abgängen, den aufgeregten, verwickelten Finalen — jenen

„romantischen" Opern, worin gewöhnlich allerhand männliche
und weibliche ritterliche Wesen, Hexen, Nixen, Dämonen,
Spanier und Portugiesen, Räuber, Eremiten, gemütliche
und ungemütliche abgeschiedene Geister usw. ihr Wesen
trieben.

Unsere Betrachtungen werden uns darauf führen, daß
das Künstlied immer in erster Reihe ein musikalisches
Kunstwerk sein sollte, ein mufikalisches Kunstwerk auf
Grund eines Liedertextes. Wir haben gelegentlich einer
früheren Besprechung über die Oper (Kw. VI, 5.) gesehen,
daß bei der Verbindung von Wort und Ton die Wirkung
des Tones schon aus physiologischen Gründen eindringlicher
sein muß. Die Gedanken und Gefühle, die das Gedicht
in ihm wachruft, fetzt der Komponist in entfprechende
Musik um. Nun hat er allerdings daaach zu streben,
daß Wort und Ton einander nicht beeinträchtigen. So
natürlich diese Forderung erscheint, so groß sind die
Schwierigkeiten, die sie in sich faßt. Ja, gewiß reichlich
so selten wie ein wirklich echtes lyrisches Gedicht ist eine
Liedkomposition, die dem Worte völlig gerecht wird, unter
der Menge desfen, was dafür ausgegeben wird. Bei
vielen Liedern, sei ihr Tonsatz als Musik noch so gut ge-
gelungen, sühlt man heraus, daß hier ein Komposition
sogar überhaupt nicht angebracht war. Wie viele Kom-
ponisten benutzen Gedichte lediglich als eine Art Gerüst, als
bloßen rythmisch-symmetrischen Wort-Unterbau, ohne sie zuvor
darauf zu prüfen, ob sie überhaupt irgend welche musika-
lische Ergänzung bedürfen. Sie fühlen nicht, daß oft
gerade die besten lyrischen Gedichte nicht ohne Verge-
waltigung komponirt werden können — Gedichte, in denen
die lyrische Stimmung so gedrängt ist, daß die Musik

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