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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 4 (2. Novemberheft 1892)
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Rundschau
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0065

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noch keine Sünde, wenn man strebend irrt, und selbst wer die
Kräfte überspannt, um aus der Natur zu holeu, was immer
aus ihr zu schöpfen ist, verdieut Anerkenuung. Gewiß ver-
sührt den Künstler seine Absicht manchmal zur kiudischen
Schrulle, wo er das in der Vision oder in der äußeren Be-
leuchtung Geschaute festhalten kann. Er schildert bespielsweise
aus zwei Farbenstudien »Spielende in Monte Carlo«. Nicht
aus die Charakterstudie, aus die Farbenwirkung eines Augen-
blicks kommt.es ihm dabei an. Die Gruppen verwischen sich
ihm, die Köpfe sließen in einander. So kann wohl der momen-
tane Eindruck sür den sein, der in den Spielsaal tritt, ehe das
Ganze sich sür ihn in Einzelheiten gegliedert hat; aber die
Wirkung bleibt für mich aus, denn das, was weseutlich ist sür
die Spieler in Monaco, erwarte ich vergebens. Wenn aber
der Maler mir einen Morgen aus der Promenade des Anglais

malt oder den Frühliug iu Christiania, so lasse ich mich von
Farbenstimmung wohl gefangen nehmeu. Wer im hellen
Sonnenschein eine Reihe Promenirender betrachtet, weiß, wie
die Gestalten nnd Gesichter in Flimmer nnd Glast zittern und
verschwimmen. Wenn er mir nur den Lichtzauber wiederbringen
kann! Die Dame in einer nordischen Sommernacht, ein
Mädchen, das aus dem Fenster sieht, indeß sie von der Be-
leuchtung in der Straße beschienen wird, das Jnnere einer
Pariser Arbeiterkneipe, das sind Studien, die, wie skizzenhast
sie auch hingeworfen sein mögen, anregen, von malerischer
Empfindung beseelt sind. Neben Mißratenem, neben Skizzen,
die wie aus kindischem Trotz entstanden sind, um dem Kunst-
philisterium ins Gesicht zu schlagen, finden sich also Skizzen,
die, so exzentrisch sie anfangs anmuten, doch bei näherem Ber-
weilen wie kühne Jmprovisationen sesseln."

Lprecksaal.

Gotik und moderne Architektur.

Jn der „Deutschen Bauzeitung" (XXVI, 82) veröfsent-
licht ein Herr K., ein oberster Baubeamter Mecklenburgs,
einen klirrenden Artikel gegen die Gotik, benannt: „Die
Gotik im Dienste der modernen Anforderungen
an die Architektur". Er legt Zeugnis davon ab, wie
wenig objektiv und gerecht doch manche Größen nber Kunst-
frrgen urteilen; er verlangt eine Entgegnung, weil sein
Urteil unter dem Bolke schädlich wirken kann, da es von
so autoritativer Seite verkündet wird.

Wir fühlen die Pslicht, uns vor allem gegen den Haupt-
vorwurf des Verfassers zu wenden: Die moderne Gotik
wirke nicht monumental, woraus zu folgern: weg mit
der Gotik bei monnmentalen Bauten! Den Beweis, wes-
halb die moderne Gotik nicht monumental zu wirken ver-
möge, haben wir nicht gefunden. Was versteht der Ver-
fasser unter Monumentalität? Daß letztere die Eigen-
tümlichkeit eines Bauwerkes von ungeheuren Massen allein
sei, dessen Einzelformen fast verschwinden gegen die kolossale
Masse des Ganzen, wird nicht behauptet werden können.
Nennt man die Oertosa 6i Unvin unmonumental, da sie
horizontal und vertikal reich gegliedert und mit Skulptnren
überladen ist? Nennt man den Kölner, den Mailänder
Dom unmonumental? Die Monumcntalität eines Gebäudes
besteht doch nicht darin, daß es ein großer Kasten ist mit
wenig Relief; die Würde der Monumentalität verletzt es
doch nicht, wenn ein Ban zwar reich gegliedert, aber nach
eincm großen Gedanken anfgebaut nnd durchgeführt ist.
Ob ein Ban monumental ist, das hängt von der indivi-
duellen Durchführung ab, nicht vom Baustile. Und nur
von dieser. Der Stil des Bauwerkes thnt nichts zur
Sache, salls er nur überhaupt Monumentalität znläßt.
Und letztere hat Herr K. „unseren Domen" ja nicht ab-
gesprochen, der Gotik an sich spricht er also Monumentalität
nicht ab.

Wenn er bestreitet, daß „die Gotik" für Zentral-
bauten des protestantischen Kirchenbaues nnmöglich sei, so
scheint er sagen zu wollen, es seien nur Kirchenbauten gotisch
zu nennen, welche in Form des lateinischen Kreuzes erbaut
sind. Als ob nicht eine Reihe gotischer Zentralanlagen
des Mittelalters vorhanden wäre.

Daß wir nnn ein modernes Profan-Gebäude im Jnnern
nicht wie einen Dom erbauen, weil es ganz andere Zwecke
verfolgt, versteht sich von selbst. Aber wir nehmen sür
nneren und äußeren Ausbau Ziersormen und Konstruktions-

sormen der Gotik, wie z. B. die Renaissanee die Zierformen
der antiken Tempelbanten benutzt hat. Werden dann die
die Formen der Gotik, gehören sie einer früheren oder
späteren Epoche an, konstruktiv richtig, sormal und rhythmisch
konseqnent und schön verwendet, wcrden die Formen in den
richtigen Verhältnissen zu einander abgewogen, weshalb sollen
sie nicht im Ganzen den Eindruck des Würdigen und des
Monumentalen hervorrufen können? Nennt man etwa die
Drachenburg unmonumental oder das nene Rathaus in
Wien, das Parlamentsgebäude in Budapest? Nennt man
das neue Wiener Parlamentsgebäude unmonumental, da es
so strenge sich im Formkreis griechischer Tempelbauten be-
wegt? Wenn Herr K. wenig wirklich monumental ausge-
führte gotische Bauten gesehen haben sollte, so wäre er
nicht berechtigt, aus der Betrachtung einzelner weniger die
allgemeine Folgerung zu ziehen: „weg mit der Gotik bei
modernen Bauten!" Er hätte denn mit ästhetischen Gründen
die Unbrauchbarkeit der Gotik für uns oder ihre Unmonu
mentalität nachweisen müssen. Er hätte den Beweis führen
müssen, daß die Gotik als Stil der Konstruktion nicht für
nnsere modernen Zwecke der Profanbaukunst sich eigne.

Was im Besonderen die sormale Ausbildung der
Profanbauten in gotischem Stile anlangt, so wird sich
diese doch in den meisten Fallen strenge aus der inneren
Ban-Konstruktion und Zweckmäßigkeit heraus entwickeln.
Man wird keine Strebepfeiler anbringen, wo keine Ursache
vorhanden, keine Spitzbogenfenster, wo sie unkonstruktiv sind,
usw. Wie glücklich indeß die Gotik nnd wie monumental
sie anch bei Profanbauten wirken kann, zeigt geradc das
von Herrn K. ins Trefsen geführte Posthaus zu Lübcck.
Es wäre Niemand eingesallen, dasselbe an seinem Platze
und sür seinen Zweck so malerisch zu gestalten, wenn der
Platz, auf dem es steht, das nicht geradezu verlangt hätte.
Und bei aller Farbensreudigkcit, bei aller reichen Gliederung
dieses Backsteinbaues erweckt er entschieden den Eindruck
hoher Monumentalität und bildet einen würdigen Abschluß
des durch das Bild des alten Rathauses in Gotik nnd
deutscher Renaissance sowie der riesenmächtigen gotischen
Marienkirche nmgrenzten Marktplatzes.

Es gehört zu den Folgen von Unterlassungssünden der
Kunstkritik, daß man noch immer über farbige Be-
handlung von Architekturen wie über monumcntale
und malerische Wirknng von Banten so vielsach ganz
verschrobenen Ansichten begegnet.
 
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