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überall anerkennt, und deren Durchfuhrnng im Verlauf der
Jahre in den andern Ländern einen Aufschwung des Kunsll
handwerks hervorrufen wird, gegen den wir nur mühsam
werden ankämpfen können. Noch ist nicht viel versänmt,
aber die Zeit drängt. llnd wenn die Bewegung nicht bald
aus den Händen der Vereine und Privatleute in diefenige
des Staates oder der städtischen Behörden übergeht, so
werden wir auch in diesem Punkte wahrscheinlich wieder
das Nachsehen haben nnd von den konkurrirenden Nationen
überflügelt werden."
Ikundsckiau.
Tkeater.
* Micbtigere Lcbauspiel--AuMbrungeil. XDV.
„Dümmerung", ein Schauspiel von Fritz Elbogeu, einem
Wiener Rechtsanwalte und sozialdemokratischem Parteimauu,
zeigte sich bei seiner Nusführung im dortigen Volkstheater als
eine talentlose Arbeit. „Es wurden ellenlange Redeu gehalten
zu Gunsten der Arbeiter; es wurde getobt und gewettert gegen
die bösen Fabrikanten; ein Einarmiger wurde vorgestellt, der
in der Fabrik verunglückte und den der Fabrikant ganz ver-
hungern ließ; ein alter Arbeiter stirbt aus der Bühne in
Not und Elend, — kurz es wurden offene Thüren eingerannt,
denn in Wien, in der Stadt des Volkstheaters, besitzen wir
schon lange Unfallversicherungsgesetz und Altersversorgung.
Wahrscheinlich wurde das Stück schon vor Jahren geschrieben,
trotzdem aber doch jetzt losgelassen. Das ist nngerecht, und
ungerechte Deklamation gedeiht nicht. Ein sozialistisches Stück
muß eben auch ein Stück und ein gntes sein. Der Zweck
heiligt auch nicht Theatermittel".
Max Halbes dreiaktiges Liebesdrama „Jugend" erzielte
mit seiner Aufführung im Berliner Residenztheater einen echten
und tiefen Erfolg: des jungen Dichters Können ist seit seinem
„Eisgang" gewachsen und bringt hier in einer mehr idyllischen
Handlung auch, wie es scheint, die Eigenart des Verfassers
besser zur Geltung. Das Stück spielt in einem katholischen
Pfarrhofe des polnischen Preußens. Der Psarrer Hoppe hat
die Kinder seiner gefallenen Schwester zu sich genommen, einen
halbidiotischen Jungen und ein lebensdurstiges Mädchen, Anna.
Ein sanatischer junger Kaplan liebt diese, vielleicht ohne das
er's weiß, und wohl das, daß er sie in sremdem Besitze nicht
sehen könnte, es stachelt ihn immer- und immerwieder dazu, sie
zum Eintritt in ein Kloster zn bestimmen — wie er sie und sich
selber glauben macht: zur Sühne sür die Schuld ihrer Mutter.
Da kommt ein srischer Student aus den Pfarrhos, Hans Hartwig,
der Sohn von des Pfarrers Jugendsreundin, und seinem vollen
Leben fliegt Annas ganzes Wesen zu. Sie sinken in einen
Liebesransch, der von Halbe mit großer Poesie geschildert ist.
Anna hat sich Hans völlig hingegeben. Es kommt zu Austritten
zwischen dem Pfarrer und dem streitbaren Kaplan; der Pfarrer
verliert, wie sehr ihn das Geschehene bestürzt, nicht seinen
Glauben an das Gute im Menschen. Er tritt gegen den unbe-
rufenen Ankläger und Hetzer, der mit seinem unmenschlichen
Askeseverlangen der eigentliche Kuppler geworden ist, zornig
auf und milder gegen die Verirrten: werde was, sagt er dem
Hans, und komme dann wieder und mache gut, was du gethan
hast, wosern dn ein Mann bist. Vielleicht wäre es besser, wenn
die Dichtung hier mit einem Fragezeichen über der Zukunft
abschlösse. Aber Halbe wollte einen „Schluß" haben, und so
zerhieb er seinen Knoten: jener Halbkretin, der Alles eifer-
süchtig bewacht, zielt, als Hans und Anna Abschied nehmen,
auf den Eindringling, Anna tritt dazwischen, und der Schuß
trifst sie. Die Müngel des Stücks treten weit zurück hinter
seine Vorzüge: überaus lebensvolle Darstellungen, die von echt
dichterischen Stimmungen übersponnen sind.
Jm Berliner Thomastheater gab man ein „Volksdrama"
von Karl Mallachow, „Der Herzogsmüller", dessen Stoff
teilweise der Meißnerschen Novelle „Der Müller vom Höft"
entnommen ist. Der Jnhalt dieser Erzühlung ist der: Der
Müller Reinbacher ist Gegner der Todesstrafe und bekundet
das kräftig aus Anlaß der Hinrichtung des Kornergeorg. Als
er sich später der Richtstätte nähert, sieht er, daß der Gehenkte
noch lebt, und er rettet ihn in seine Mühle. Aber der Korner-
georg, den er für unschuldig gehalten, entpuppt sich als ein
Elender, der mit den Pferden des Müllers durchgehen will.
Der Müller, eisriger Gegner der Todesstrafe — erschlägt ihn.
Nun solgen Verwicklnngen, die an Kohlhaas denken lassen;
schließlich soll der Müller begnadigt werden, verhindert das
aber durch Trotz, der im Bewußtsein von der Entsetzlichkeit
seiner eigenen Sünden wurzelt. Mallachow hat seinem Helden
eine Tochter gegeben, an der sich der Galgenvogel vergreist —
das macht zwar die That des Herzogsmüllers verständlicher,
aber die Reue über seine That, die er sortwährend zeigt, nm
so unverständlicher. Ein Berichterstatter meint, das Stnck habe
ein neues Genre geschasfen, die Galgentragik, die dem Galgen-
humor entspricht. Ernst genommen wurde das „Bolksdrama"
von der besseren Kritik nicht.
Jn Berlin hat sich znr Vertretung des Antisemitismus
eine „Germanische Volksbühne" anfgethan — und ihre
erste Vorstellung in des Juden Samst „Nationaltheater" ge-
geben. Sie hatte aber mit Karl Walds Schauspiel „Sieg
der Christen" bei ansprnchsvolleren Leuten wenig Glück, was
auch die vornehmern Blätter antisemitischer Richtung bestätigen.
Schönhoff, der sür die „Franksurter Zeitung" schreibt, beurteilt
das Stück, trotzdem er das thut, noch lange nicht am strengsten:
„Ein Schauspiel aus Schlagworten hat Wald geschrieben, nnd
wie eine Jronie erschien es mir an dieser Stätte, in dieser
Umgebung, daß sein Schauspiel, im künstlerischen Sinne
alexandrinisch gehalten, die Verkündiger neuer Jdeen, die
Propheten weltumfassender Liebe und Versöhnlichkeit ver-
herrlicht. Was hilft alle Macht hoher Knltur, was alle geistige
Schärfe, was alle Herrschaft über die Erde, wo die Liebe
sehlt? das ist der Grundgedanke in Walds Jambendrama.
Das heidnische Rom Diokletians mnßte sallen, denn keine
lebendige Liebe hielt es aufrecht; seine Weltanschauung ging
zu nichte, die jüdisch-chriftliche, die erbarmnngsvolle schuf neues,
sieghastes Leben. Aber wie ist der Begriff beseelter Liebe bei
Wald gesaßt? Wie kraus und wirr fließt da Alles durch-
einander! Wie muß das hohle Schlagwort die sehlenden Be-
griffe ersetzen! Wie flink werden uralte geistige Erfahrungen
eskamotirt! Nur weil die heidnisch-römische Kultur brüchig
und morsch geworden, konnten die jüdisch-christlichen Eroberer
sie zertrümmern. Nur weil ihr Wissen totes Stückwerk, ihre
Kunft Glanz ohne Seele geworden, darnm gewann die Macht
glüubiger Empfindnng, die von nenen, kommenden Jdealen
getragen war, Gewalt über sie. Wald hat übrigens in seinem
Schanspiel durch eine geschickt verwendete Paraphrase über
eine der poetischesten Stellen des Evangeliums eine Stimmung
hervorzurusen verstanden, die seine Hörer wirklich tief ergriff,
so sehr sie durch äußerliche Mittel erzielt worden war." Viel-
leicht entwickelt sich Wald doch noch zu einem tüchtigen Dichter.
— ?2S —
überall anerkennt, und deren Durchfuhrnng im Verlauf der
Jahre in den andern Ländern einen Aufschwung des Kunsll
handwerks hervorrufen wird, gegen den wir nur mühsam
werden ankämpfen können. Noch ist nicht viel versänmt,
aber die Zeit drängt. llnd wenn die Bewegung nicht bald
aus den Händen der Vereine und Privatleute in diefenige
des Staates oder der städtischen Behörden übergeht, so
werden wir auch in diesem Punkte wahrscheinlich wieder
das Nachsehen haben nnd von den konkurrirenden Nationen
überflügelt werden."
Ikundsckiau.
Tkeater.
* Micbtigere Lcbauspiel--AuMbrungeil. XDV.
„Dümmerung", ein Schauspiel von Fritz Elbogeu, einem
Wiener Rechtsanwalte und sozialdemokratischem Parteimauu,
zeigte sich bei seiner Nusführung im dortigen Volkstheater als
eine talentlose Arbeit. „Es wurden ellenlange Redeu gehalten
zu Gunsten der Arbeiter; es wurde getobt und gewettert gegen
die bösen Fabrikanten; ein Einarmiger wurde vorgestellt, der
in der Fabrik verunglückte und den der Fabrikant ganz ver-
hungern ließ; ein alter Arbeiter stirbt aus der Bühne in
Not und Elend, — kurz es wurden offene Thüren eingerannt,
denn in Wien, in der Stadt des Volkstheaters, besitzen wir
schon lange Unfallversicherungsgesetz und Altersversorgung.
Wahrscheinlich wurde das Stück schon vor Jahren geschrieben,
trotzdem aber doch jetzt losgelassen. Das ist nngerecht, und
ungerechte Deklamation gedeiht nicht. Ein sozialistisches Stück
muß eben auch ein Stück und ein gntes sein. Der Zweck
heiligt auch nicht Theatermittel".
Max Halbes dreiaktiges Liebesdrama „Jugend" erzielte
mit seiner Aufführung im Berliner Residenztheater einen echten
und tiefen Erfolg: des jungen Dichters Können ist seit seinem
„Eisgang" gewachsen und bringt hier in einer mehr idyllischen
Handlung auch, wie es scheint, die Eigenart des Verfassers
besser zur Geltung. Das Stück spielt in einem katholischen
Pfarrhofe des polnischen Preußens. Der Psarrer Hoppe hat
die Kinder seiner gefallenen Schwester zu sich genommen, einen
halbidiotischen Jungen und ein lebensdurstiges Mädchen, Anna.
Ein sanatischer junger Kaplan liebt diese, vielleicht ohne das
er's weiß, und wohl das, daß er sie in sremdem Besitze nicht
sehen könnte, es stachelt ihn immer- und immerwieder dazu, sie
zum Eintritt in ein Kloster zn bestimmen — wie er sie und sich
selber glauben macht: zur Sühne sür die Schuld ihrer Mutter.
Da kommt ein srischer Student aus den Pfarrhos, Hans Hartwig,
der Sohn von des Pfarrers Jugendsreundin, und seinem vollen
Leben fliegt Annas ganzes Wesen zu. Sie sinken in einen
Liebesransch, der von Halbe mit großer Poesie geschildert ist.
Anna hat sich Hans völlig hingegeben. Es kommt zu Austritten
zwischen dem Pfarrer und dem streitbaren Kaplan; der Pfarrer
verliert, wie sehr ihn das Geschehene bestürzt, nicht seinen
Glauben an das Gute im Menschen. Er tritt gegen den unbe-
rufenen Ankläger und Hetzer, der mit seinem unmenschlichen
Askeseverlangen der eigentliche Kuppler geworden ist, zornig
auf und milder gegen die Verirrten: werde was, sagt er dem
Hans, und komme dann wieder und mache gut, was du gethan
hast, wosern dn ein Mann bist. Vielleicht wäre es besser, wenn
die Dichtung hier mit einem Fragezeichen über der Zukunft
abschlösse. Aber Halbe wollte einen „Schluß" haben, und so
zerhieb er seinen Knoten: jener Halbkretin, der Alles eifer-
süchtig bewacht, zielt, als Hans und Anna Abschied nehmen,
auf den Eindringling, Anna tritt dazwischen, und der Schuß
trifst sie. Die Müngel des Stücks treten weit zurück hinter
seine Vorzüge: überaus lebensvolle Darstellungen, die von echt
dichterischen Stimmungen übersponnen sind.
Jm Berliner Thomastheater gab man ein „Volksdrama"
von Karl Mallachow, „Der Herzogsmüller", dessen Stoff
teilweise der Meißnerschen Novelle „Der Müller vom Höft"
entnommen ist. Der Jnhalt dieser Erzühlung ist der: Der
Müller Reinbacher ist Gegner der Todesstrafe und bekundet
das kräftig aus Anlaß der Hinrichtung des Kornergeorg. Als
er sich später der Richtstätte nähert, sieht er, daß der Gehenkte
noch lebt, und er rettet ihn in seine Mühle. Aber der Korner-
georg, den er für unschuldig gehalten, entpuppt sich als ein
Elender, der mit den Pferden des Müllers durchgehen will.
Der Müller, eisriger Gegner der Todesstrafe — erschlägt ihn.
Nun solgen Verwicklnngen, die an Kohlhaas denken lassen;
schließlich soll der Müller begnadigt werden, verhindert das
aber durch Trotz, der im Bewußtsein von der Entsetzlichkeit
seiner eigenen Sünden wurzelt. Mallachow hat seinem Helden
eine Tochter gegeben, an der sich der Galgenvogel vergreist —
das macht zwar die That des Herzogsmüllers verständlicher,
aber die Reue über seine That, die er sortwährend zeigt, nm
so unverständlicher. Ein Berichterstatter meint, das Stnck habe
ein neues Genre geschasfen, die Galgentragik, die dem Galgen-
humor entspricht. Ernst genommen wurde das „Bolksdrama"
von der besseren Kritik nicht.
Jn Berlin hat sich znr Vertretung des Antisemitismus
eine „Germanische Volksbühne" anfgethan — und ihre
erste Vorstellung in des Juden Samst „Nationaltheater" ge-
geben. Sie hatte aber mit Karl Walds Schauspiel „Sieg
der Christen" bei ansprnchsvolleren Leuten wenig Glück, was
auch die vornehmern Blätter antisemitischer Richtung bestätigen.
Schönhoff, der sür die „Franksurter Zeitung" schreibt, beurteilt
das Stück, trotzdem er das thut, noch lange nicht am strengsten:
„Ein Schauspiel aus Schlagworten hat Wald geschrieben, nnd
wie eine Jronie erschien es mir an dieser Stätte, in dieser
Umgebung, daß sein Schauspiel, im künstlerischen Sinne
alexandrinisch gehalten, die Verkündiger neuer Jdeen, die
Propheten weltumfassender Liebe und Versöhnlichkeit ver-
herrlicht. Was hilft alle Macht hoher Knltur, was alle geistige
Schärfe, was alle Herrschaft über die Erde, wo die Liebe
sehlt? das ist der Grundgedanke in Walds Jambendrama.
Das heidnische Rom Diokletians mnßte sallen, denn keine
lebendige Liebe hielt es aufrecht; seine Weltanschauung ging
zu nichte, die jüdisch-chriftliche, die erbarmnngsvolle schuf neues,
sieghastes Leben. Aber wie ist der Begriff beseelter Liebe bei
Wald gesaßt? Wie kraus und wirr fließt da Alles durch-
einander! Wie muß das hohle Schlagwort die sehlenden Be-
griffe ersetzen! Wie flink werden uralte geistige Erfahrungen
eskamotirt! Nur weil die heidnisch-römische Kultur brüchig
und morsch geworden, konnten die jüdisch-christlichen Eroberer
sie zertrümmern. Nur weil ihr Wissen totes Stückwerk, ihre
Kunft Glanz ohne Seele geworden, darnm gewann die Macht
glüubiger Empfindnng, die von nenen, kommenden Jdealen
getragen war, Gewalt über sie. Wald hat übrigens in seinem
Schanspiel durch eine geschickt verwendete Paraphrase über
eine der poetischesten Stellen des Evangeliums eine Stimmung
hervorzurusen verstanden, die seine Hörer wirklich tief ergriff,
so sehr sie durch äußerliche Mittel erzielt worden war." Viel-
leicht entwickelt sich Wald doch noch zu einem tüchtigen Dichter.
— ?2S —