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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 15 (1. Maiheft 1893)
DOI Artikel:
Schumann, Paul: Die Künstlerische Erziehung der Jugend, [2]: die Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0234

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werden ebenfalls mit Schatten und Licht gezeichnet. Lange
empfiehlt für diese Stufe ferner einen Kursus des ge-
bundenen Zeichnens mit Reißschiene, Dreieck, Zirkel
und Reißfeder, der den Schüler auch zur Ausnahme ein-
facher Grundrisfe, Aufrisfe, Durchschnitte Lefähigen müßte.
Jmmer nebenher läuft die Bildung des Farbensinns.
Verließe nun ein Schüler das Gymnafium, fo hätte er
immerhin schon eine gewisfe künstlerische Bildung erreicht.

Jn die obere Stufe der Gymnasien gehört zunächst
eine strengere Unterweifung in Perfpektive und
Schatten lehre. Die Freude au Künstlerischem ist
nun befestigt genug, daß wir auf die Arbeit im Künstlerischen
kräftiger hinweisen dürfen. „Perspektivisches Zeichnen und
Schattiren architektonischer Glieder ist nach selbständiger
Konstruktion zu üben, die konstruirten Zeichnungen sind mit
dem Modelle zu vergleichen und danach auszuführen."
Gelegentliche ästhetische und kunsthistorische Be-
lehrungen, nicht aber lange akademische Vorträge, Be-
sichtigungen von Monumenten und Ausflüge schließen
sich an. Zeichnen nach Gipsköpfen usw. tritt hinzu;
seinen schädlichen Wirkungen wird durch das Besichtigen und
Kopiren von Handzeichnungen bedeutender Meister
entgegengearbeitet, da sich das Zeichnen nach dem lebenden
Modell aus schultechnischen Gründen nun einmal verbietet.
Ausgestopfte Tiere werden abgezeichnet, auch^ kolorirt.
Das hauptsächliche Niittel zur Bildung des Farbensinns
giebt aber für die Oberstufe das Zeichnen nach Blumen,
zumal das unmittelbare Studium nach der landschaft-
lichen Natur auf der Schule kaum angeht. Das Nach-
pinseln von Buntdruckvorlagen hat keinen erziehlichen Wert,
weil der Schüler dabei die Farben nicht in der Natur
beobachten kann. Für das farblose Zeichnen des Land-
schaftlichen aber empsiehlt Lange als Vorbilder Detail-
studien guter Meister, die über das Technische anregen
und belehren und so auf private Studien vor der Land-
schaft wenigstens vorbereiten.

Nur als ein Jdeal, das freilich wohl zu erreichen,
aber doch nicht im Handumdrehen zn erreichen ist, erscheint
vorläufig ein Zeichenunterricht wie der geschilderte, denn
er hat mannigfache Änderungen znr Voraussetzung. Eine
der wichtigsten ist: eine andre Vorbildung und öffentliche
Stellung des Zeichenlehrerstandes. Lange widmet
auch diesem Gegenstande ein eigenes Kapitel. Man hebe
nur den Zeichenlehrerstand auf eine höhere soziale Stufe
und mache den Zeichenunterricht wieder zum wirklichen
„Kunstunterricht", sagt er darin u. A., „und man wird
sofort sehen, daß an tüchtigen Aspiranten kein Mangel ist.
Gegenwärtig sind Künstler, die zugleich technische Schulung,
künstlerischen Sinn, theoretisches Jnteresse und Lehrtalent
haben, eine Seltenheit. Der Staat sollte sie darum auch,
wo er ihrer habhaft werden könnte, möglichst weich betten;
unsre Jugend würde dabei nur gut fahren. Aber mit der
Zeit wird auch dieser Mangel mehr und mehr verschwinden,

wenn solchen Künstlern nur als Ziel ihres Ehrgeizes eine
Rangstufe gezeigt wird, die mit derjenigen eines studirten
Lehrers oder Beamten ungefähr gleichsteht. Wie mancher
vorsichtige Vater mag sich gegenwärtig nicht entschließen,
selbst einen künstlerisch Legabten Sohn Maler werden zu
lassen, weil die Karriere zu unsicher, die Gefahr, dem Künstler-
proletariat anheimzufallen, zu groß ist. Wie anders wird
das werden, wenn erst ein Beamtenstand geschaffen ist, der
selbst einem gebildeten Menschen aus guter Familie ein er-
strebenswertes Ziel, ein fester Rückhalt sein kann. Es läßt
sich kanm absehen, wie zahlreich die Kräfte sein werden,
die sich dann mit Freuden dem Künstlerberufe widmen,
und, selbst wenn ihnen das höchste Ziel nicht erreichbar
sein sollte, doch eine volle Befriedigung in dem Bewußt-
sein finden würden, zur künstlerischen Erziehung der höheren
Kreise der Nation ihr Scherflein beizutragen."

Die Fortsetzung der Handbeschäftigungen der Kinder-
stube hat auf der Schule der Hand arbeitsunterricht
zu sein. Dem Zeichenuntericht, wie ihn Lange sich denkt,
wäre die Richtung auf Kunstgewerbliches und Ornamentales
genommen, um so mehr bedürfte er der Ergänzung durch
Handarbeiten. „Jndem der Knabe sich an die Handhabung
der Jnstrumente gewöhnt, die verschiedenen Stoffe selbst
zu bearbeiten, die Schwierigkeiten der Technik eigenhändig
zu überwinden lernt, gewinnt er auch ein Verständnis für
die künstlerische Formung des Stoffes, für den Einfluß
des Materials auf den Stil." Was auch für die Zukunft
zumal unsers Kunsthandwerks von unberechenbarem Nutzen
wäre. Der praktische Wert der Handarbeit am Gymnasium
bestände ferner in der Kostenersparnis gegenüber dem „Einzel-
betrieb" in den Familien, der hohe erziehliche Wert in der
sachverständigen Unterweisung und der Zucht dabei. „Es
liegt eine ganz besondere Stählung der Energie und des
Charakters in dem Zwange, den die Arbeitsschule dem
Knaben auferlegt, bestimmte manuelle Handlungen in einer
bestimmten Zeit, in bestimniter Weise und zu bestimmtem
Zwecke auszuführen". Die Freude am Handwerke, die
Achtung vor ihm würde gesteigert, auch das könnten
wir brauchen — aus mehr als einem Grunde. Und das
Harmonische der Menschenbildung würde dadurch ge-
fördert.

Mit der Einführung des Handarbeitunterrichts in die
Schulen hinken wir Deutschen unsern Nachbarn in wahr-
haft trauriger Weise nach. Die Stadt Paris allein giebt
jährlich für solche Zwecke H86 ooo Franken, Berlin giebt
dafür -— t800 Mark aus! Das ganze Deutsche Reich
läßt sich die Sache jährlich 97 000 Mk. kosten, Schweden
360 000 Mark, das machte bei einer zehnmal größeren
Einwohnerzahl, wie sie also der des Deutschen Reiches
entspräche, über vierthalb Millionen! „Es handelt sich
also hier durchaus nicht um ein beliebiges neues Prinzip,
das etwa nur in Deutschland aufgestellt worden wäre,
sondern um eine pädagogische Wahrheit, die man nachgrade
 
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