haben, wenn nicht die langweilige geometrische Methode und
die durch sie Lewirkten negativen Ergebnisse die Freunde des
Zeichennnterrichts wieder irre gemacht und die ganze Agi-
tation in den Augen des Publikums diskreditirt hatten. Und
das ist vollständig in der Ordnung. Jch möchte das Kind
sehen, das nach einer zweijährigen Übnng dieser Art noch
Lust zum Zeichnen hätte. Jch möchte den dreizehnjährigen
Knaben kennen lernen, der, nachdem man ihn zwei Jahre
lang mit solchem Kram gelangweilt hat, noch wüßte, was
Kunst ist, noch Freude an der Natur, an dem Spiel der
künstlerischen Jllusion hätte. Nicht genug, daß man den
natürlichen Trieb des Kindes, seine hochentwickelte künst-
lerische Jllusionsfähigkeit, Jahre lang unbenutzt liegen läßt,
man giebt diesen Eigenschaften schließlich noch den Rest, indem
man dem Kinde sagt: Kunst ist nicht Kunst, sondern Mathe-
matik. Kunst besteht nicht in der Nachformung des Sichtbaren,
der Übertragung des Körperlichen in die Fläche, sondern
in der gesetzmäßigen Einteilung des Raumes, in dem
Regelmäßigen, Schematischen, Abstrakten."
Jn seinen eigenen Vorschlägen wahrt denn auch Lange
vor allem der Jllusion ihr Recht. Der große Jm-
perativ sür den Pädagogen: Jnteressire! ist doppelt wichtig
bei der Künst, und er wird auf das gröblichste vernach-
lässigt, raubt man dem Kinde ohne Not die Lust an der
Phantafiebethätigung. So soll denn der Zeichenunterricht
aus den Formen des Kunstspiels herauswachsen, anknüpfend
nnmittelbar an das Stäbchen- und Fadenlegen. Nach
einer kurzen Vorübung im raschen und slüchtigen Ausführen
verschiedener Striche (die nur den Zweck hat, die Hand
mit Papier und Bleistist vertrauter zu machen) und nur
zwei weiteren Stunden im Linienzeichnen (wobei mit den
leichteren krummen, nicht nüt den geraden, begonnen wird)
tritt sosort die „Methode der schematischen Lebens-
sormen" in Geltnng, deren Ausübung an die Legespiele
sich anschließt. Auf Wandtafeln sind Gegenstände in
bunten Bildern dargestellt, in Bildern, die nach den Er-
sahrungen der Kinderstnbe der Ausnahmefahigkeit dieses
Alters entsprechen. Aus ihnen entwickelt der Lehrer vor
den Augen der Schüler an der Tafel die schematische
Umrißzeichnung durch Vereinfachung, Hervorhebung des
Wesentlichen usw. Jhm zeichnen die Kinder nach. Ent-
wickelt er dann auch noch die geometrische Form, die dem
Schema zu Grnnde liegt, so behalte dies den Charakter
einer nachträglichen Abstraktion. Die Vorbilder liefern
allerlei Dinge, die dem Kinde bekannt sind. Die selbst-
gezeichneten Bilder kann der Schüler koloriren. Ein
solcher elementarer Lehrgang entspricht den Forderungen
des Flächenzeichnens, Lildet jedoch zugleich die Jllu-
sionsfähigkeit aus und wahrt den Zusammenhang mit der
Natur. Die Stelle des Flachornamentes aber, dem jetzt
noch für das Kind jeder Reiz der Jllusion fehlt, ersetzt
das Naturblatt, dnrch dessen vereinsachtes
Wiedergeben der dreifache Vorteil erreicht wird: „daß der
Knabe das Gefühl hat, eine Naturform vor sich zu haben,
die seinen Jllusionstrieb anregt, daß er auch hier schon
die Gesetze der Symmetrie, Proportion usw. kennen lernen
kann, die er ja doch einmal kennen lernen muß, und daß
er zur eigenen Prodnktion angeleitet wird."
Mit dem 10. oder 11. Jahre nimmt der Unterricht
schon einen sesteren Charakter an. Zs beginnt nun das
Zeichnen von Kö rp er f orm en, und auch hier ist der
Grundsatz zu wahren, daß die mathematischen Formen erst
ans den Lebensformen entwickelt werden müssen. Ein
Beispiel: das realistisch bemalte Modell eines genau
würfelförmigen Hauses mit abnehmbarem pyramidalen oder
sattelförmigen Dache wird sogleich zum Abzeichnen vorgelegt.
Es gilt den schweren Schritt, zum ersten Mal ein plastisches
Vorbild zu kopiren; man läßt mit der einfachsten Ansicht,
der Vorderseite, beginnen. Dann wird das Haus schief
gestellt, und nun kommen Verkürzungen. Das Draht-
modell des Würsels kann zur Hilfe geholt werden, um
deutlicher zu zrigen, wie stch die Sache auch da gestaltet,
wo die Linien beim Hausmodelle verdeckt sind. Aber alles
kann noch ohne starke Betonung des Mathematischen,
alles nur unter Beziehung auf die unmittelbare Anschauung
geschehen. Solches Modellzeichnen bildet die Hauptsache
des Zeichenunterrichts für Sexta, Quinta und Quarta.
Zur Weiterbildung des Farbensinns tritt, immerhin durch-
aus als Nebensache, das Koloriren von Flächenornamenten
ein, bei dem es auf das Treffen kräftig vorgemalter
Farben ankommt. Lange rät, manche Flächenornamente
überhaupt nicht eher zeichnen zu lassen, als Lis sie auch
kolorirt werden können.
Mit der Untertertia beginnt der Schüler zu schattiren,
d. h. wieder die Jllusion des Flächenbildes vollkommener
zu machen. „Er soll angeleitet werden, an der Natur
selbst das Wesen des Schattens zu beobachten und das
Beobachtete auf der Fläche nachzuahmen." Nach einer
kurzen vorläufigen Belehrung über die Arten des Schattens
geht es ans Abbilden weißer Vollmodelle geonietrischer
Körper, vor denen jetzt der große Reiz des Schattens dem
Schüler über die Langeweile weghilft. Nur um über die
besten Ausdrucksmittel der Technik, die Tönung mit dem
Wischer, die verschiedenen Weisen des Schraffirens nsw.
den Schüler sich selber belehren zu lassen, gebe man ihm
hier auch mannigfaltige Vorlagen in die Hand, nicht
zum Köpiren.
Jn der Obertertia beginnt das Abzeichnen plastischer
Ornamente, die den Knaben zum vollen Verständnis der
plastischen Jllusion in der Fläche erziehen nnd seinen
Sinn für das Wesen des Ornaments überhaupt weiter-
bilden sollen. Zn kunstgeschichtli chen Ansblicken
bietet sich nun die erste Gelegenheit. Eine Bevorzugung
des antiken Ornaments ist nicht zu billigen. Natur-
blätter, von denen wir ja Abgüsse auch in Metall haben
und die man auch in ihrer Naturform jetzt konserviren kann,
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die durch sie Lewirkten negativen Ergebnisse die Freunde des
Zeichennnterrichts wieder irre gemacht und die ganze Agi-
tation in den Augen des Publikums diskreditirt hatten. Und
das ist vollständig in der Ordnung. Jch möchte das Kind
sehen, das nach einer zweijährigen Übnng dieser Art noch
Lust zum Zeichnen hätte. Jch möchte den dreizehnjährigen
Knaben kennen lernen, der, nachdem man ihn zwei Jahre
lang mit solchem Kram gelangweilt hat, noch wüßte, was
Kunst ist, noch Freude an der Natur, an dem Spiel der
künstlerischen Jllusion hätte. Nicht genug, daß man den
natürlichen Trieb des Kindes, seine hochentwickelte künst-
lerische Jllusionsfähigkeit, Jahre lang unbenutzt liegen läßt,
man giebt diesen Eigenschaften schließlich noch den Rest, indem
man dem Kinde sagt: Kunst ist nicht Kunst, sondern Mathe-
matik. Kunst besteht nicht in der Nachformung des Sichtbaren,
der Übertragung des Körperlichen in die Fläche, sondern
in der gesetzmäßigen Einteilung des Raumes, in dem
Regelmäßigen, Schematischen, Abstrakten."
Jn seinen eigenen Vorschlägen wahrt denn auch Lange
vor allem der Jllusion ihr Recht. Der große Jm-
perativ sür den Pädagogen: Jnteressire! ist doppelt wichtig
bei der Künst, und er wird auf das gröblichste vernach-
lässigt, raubt man dem Kinde ohne Not die Lust an der
Phantafiebethätigung. So soll denn der Zeichenunterricht
aus den Formen des Kunstspiels herauswachsen, anknüpfend
nnmittelbar an das Stäbchen- und Fadenlegen. Nach
einer kurzen Vorübung im raschen und slüchtigen Ausführen
verschiedener Striche (die nur den Zweck hat, die Hand
mit Papier und Bleistist vertrauter zu machen) und nur
zwei weiteren Stunden im Linienzeichnen (wobei mit den
leichteren krummen, nicht nüt den geraden, begonnen wird)
tritt sosort die „Methode der schematischen Lebens-
sormen" in Geltnng, deren Ausübung an die Legespiele
sich anschließt. Auf Wandtafeln sind Gegenstände in
bunten Bildern dargestellt, in Bildern, die nach den Er-
sahrungen der Kinderstnbe der Ausnahmefahigkeit dieses
Alters entsprechen. Aus ihnen entwickelt der Lehrer vor
den Augen der Schüler an der Tafel die schematische
Umrißzeichnung durch Vereinfachung, Hervorhebung des
Wesentlichen usw. Jhm zeichnen die Kinder nach. Ent-
wickelt er dann auch noch die geometrische Form, die dem
Schema zu Grnnde liegt, so behalte dies den Charakter
einer nachträglichen Abstraktion. Die Vorbilder liefern
allerlei Dinge, die dem Kinde bekannt sind. Die selbst-
gezeichneten Bilder kann der Schüler koloriren. Ein
solcher elementarer Lehrgang entspricht den Forderungen
des Flächenzeichnens, Lildet jedoch zugleich die Jllu-
sionsfähigkeit aus und wahrt den Zusammenhang mit der
Natur. Die Stelle des Flachornamentes aber, dem jetzt
noch für das Kind jeder Reiz der Jllusion fehlt, ersetzt
das Naturblatt, dnrch dessen vereinsachtes
Wiedergeben der dreifache Vorteil erreicht wird: „daß der
Knabe das Gefühl hat, eine Naturform vor sich zu haben,
die seinen Jllusionstrieb anregt, daß er auch hier schon
die Gesetze der Symmetrie, Proportion usw. kennen lernen
kann, die er ja doch einmal kennen lernen muß, und daß
er zur eigenen Prodnktion angeleitet wird."
Mit dem 10. oder 11. Jahre nimmt der Unterricht
schon einen sesteren Charakter an. Zs beginnt nun das
Zeichnen von Kö rp er f orm en, und auch hier ist der
Grundsatz zu wahren, daß die mathematischen Formen erst
ans den Lebensformen entwickelt werden müssen. Ein
Beispiel: das realistisch bemalte Modell eines genau
würfelförmigen Hauses mit abnehmbarem pyramidalen oder
sattelförmigen Dache wird sogleich zum Abzeichnen vorgelegt.
Es gilt den schweren Schritt, zum ersten Mal ein plastisches
Vorbild zu kopiren; man läßt mit der einfachsten Ansicht,
der Vorderseite, beginnen. Dann wird das Haus schief
gestellt, und nun kommen Verkürzungen. Das Draht-
modell des Würsels kann zur Hilfe geholt werden, um
deutlicher zu zrigen, wie stch die Sache auch da gestaltet,
wo die Linien beim Hausmodelle verdeckt sind. Aber alles
kann noch ohne starke Betonung des Mathematischen,
alles nur unter Beziehung auf die unmittelbare Anschauung
geschehen. Solches Modellzeichnen bildet die Hauptsache
des Zeichenunterrichts für Sexta, Quinta und Quarta.
Zur Weiterbildung des Farbensinns tritt, immerhin durch-
aus als Nebensache, das Koloriren von Flächenornamenten
ein, bei dem es auf das Treffen kräftig vorgemalter
Farben ankommt. Lange rät, manche Flächenornamente
überhaupt nicht eher zeichnen zu lassen, als Lis sie auch
kolorirt werden können.
Mit der Untertertia beginnt der Schüler zu schattiren,
d. h. wieder die Jllusion des Flächenbildes vollkommener
zu machen. „Er soll angeleitet werden, an der Natur
selbst das Wesen des Schattens zu beobachten und das
Beobachtete auf der Fläche nachzuahmen." Nach einer
kurzen vorläufigen Belehrung über die Arten des Schattens
geht es ans Abbilden weißer Vollmodelle geonietrischer
Körper, vor denen jetzt der große Reiz des Schattens dem
Schüler über die Langeweile weghilft. Nur um über die
besten Ausdrucksmittel der Technik, die Tönung mit dem
Wischer, die verschiedenen Weisen des Schraffirens nsw.
den Schüler sich selber belehren zu lassen, gebe man ihm
hier auch mannigfaltige Vorlagen in die Hand, nicht
zum Köpiren.
Jn der Obertertia beginnt das Abzeichnen plastischer
Ornamente, die den Knaben zum vollen Verständnis der
plastischen Jllusion in der Fläche erziehen nnd seinen
Sinn für das Wesen des Ornaments überhaupt weiter-
bilden sollen. Zn kunstgeschichtli chen Ansblicken
bietet sich nun die erste Gelegenheit. Eine Bevorzugung
des antiken Ornaments ist nicht zu billigen. Natur-
blätter, von denen wir ja Abgüsse auch in Metall haben
und die man auch in ihrer Naturform jetzt konserviren kann,
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