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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1892)
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Wohnung und Heim
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0090

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langen Zweck und Al'nterial teine Kennzeickinnng
wie bei kunstgewerblichen Sachen: die niöglichst vall-
kommene Übermittelung einer kunstlerischcn Anschau-
ung ist beim reinen Kunstwerk allein das Wescntliche,
nicht die Charakterisirung der Bronze, des Steins, des
Gipses. Andenken, die liebe Erinnerungen wachrufen,
verbanue man anch nicht unter allen Umständen in
die Küsten: ein findiger Kops wird leicht ein Mittel
finden, manches davon unaufdringlich vor dem Blick
zu behalten. Warum soll aus dem „Makartstrauß"
nicht auch dies oder jenes Zweiglein lugcn, das ein
^retiura Jlleciioni8 hat? Es giebt sehr Ivenig, was
cine knnstlerische Natur nicht so im Zimmer einordnen
oder umgeben könnte, das; es auch das Auge eher
crsrcut als stört. Freilich, wenn bei der Ausstattung
ans den Wert als Schmuck an e r ste r Stelle geschen
tvird, wird das Gesamte in weit lautcren Tönen
singen. Aber ein feinercs Piano dcs Gesamtklangs
ivollen wir eben haben: um so eher können wip dann
dnrch cinzclne richtige Schmuckstiicke stärker wirken,
ohne schreien zu müssen.

Mit wenigen Bcispielen hab ich einige wenige
der vielen Wege angedcntet, anf denen wir von der

Wohnnng zum Heim gclangen könucn. Jede Pcr-
sönlichkeit wird eigeue gehen, nnd was ihr selbec
wahrhaft wohl thnt, was sie bernlpgt und befriedct
in ihrem Heim, das ist an diescr Stelle bcrechtigt.
Schnlen w,r unsere Sinne sür Schönheiten unö Fein-
heiten von Farbe und Fvrm, damit wir anch deren
fcine Neize geniehen nnd mit Geschmack vcrwcnden
könncn sür unsre Zwecke. Machcn wir uns sichcr
in unscrm Stilgcsühl, will sagcn. in unsrcr Empsindnng
fürdas Charakteristische, daH „Sprcchcnde" derFormcn,
damit wir bei dcr Wahl der Möbel nnd Gerätc gewih
sein dürfen, statt bald matt werdender Blendcr daucrnde
Leuchten. die inneres Leben ausstrahlen, nm unS zu
versammeln. Dann aber: lassen wir nns nicht beirren
in dem Bewußtsein, daß cs auch sür die Wohnung
ncben einer Schönheit bloß für'S Ange eine see-
lische Schönheit giebt, und daß diese allein mit ihreni
stillen Weben von Anregungen, Erinuernngcn, liebcn
Gedanken. bedentenden Eindrücken uns das Fcsttäg-
liche selbst in den Alltag. uns das Heimgesühl in
die Wohnung bringt. Da sogar, wo Wcib und Kind
nicht dasür sorgen, die das ja freilich noch besscr
vermögen, als alle Knnst.

DLcbtung.

Scböne Lileratur. X.

Illundscbau

Gottsried Kellers nachgelassene Schristen nnd
Dichtungen. (Berlin, Wilhelm Hertz.)

Der von Baechtold herausgegebene Band vereinigt „eine
Auswahl desjenigen. was von Gottfried Kellers vermischten
Nussntzen und Dichtungen in verschiedenen älteren Zeitschristen.
Almanachen und Tagesblättern, znmeist ohne den Namen des
Urhebers gedrnckt worden ist. Sodann enthält er einige wenige,
im Nachlaß vorhandene Stücke, welche hier zum ersten Mal vor
die Öfsentlichkeit treten." Der Herausgeber weist darauf hin,
daß der schristliche Nachlaß Kellers bis etwa auf ein Trauer-
spielsragment „sogenannte literarische Überraschungen" nicht
dargeboten habe, sie seien ja auch nicht erwartet worden.
„Außer wenigen Andentungen über eine Fortsetznng des
Martin Salander« und einigen Rohstoffen zu Novellen und
dramatischen Projekten ist nichts Poetisches vorhanden."

Die größte Abteilung, „Vermischte Aussätze" umsassend,
zühlt achtzehn Nummern und wird durch zwei kleine Arbciten
eigener Lebensbeschreibung cingeleitet. Auf die „Eriuueruug
an Xaver Schuyder von Wartensee" solgt dann der längere
Aufsatz „Ani Mythenstein", cin ;860 geschriebenes hervor-
ragendes Stück, eiu Muster sür Versasser vou „Feuilletouo",
aber sreilich für solche, die etwas mehr, als „Geist", in ihren
Vorratskammern und nicht nur zn plaudcrn, sonderu auch etwao
zu sagen haben müßten. An die Schilderung eines Ausslugs
zur Enthüllung des Mythensteins knüpst Keller hier unge-
zwungen höchst anregcnde Bctrachtungen über allerhand vater-
ländische Erscheinungen und Wünschc, besonders abcr über die
Bedeutung und die Gestaltung von Volkssesten. tllun solgcn
eine Skizze, „Die Weihnachtsseier im Frrenhano", einc Stndie
über Niklaus Aianuel, schr interessante längere Kritiken über
Jeremias Gollhelf nebst einer vortresslichen zusammenfasscnden
Beurteilnng dieses Dichters, dic Besprechung eines Volksstückes
„Der Trank der Vergessenheit", eiue wieder sehr zu beachtende
Kritik über Vischers „Neue kritische Gäuge" und der Gruß zu
dieses Freundes achtzigstem Geburtstage, eine Anzeige der
Leutholdschen Gedichte, Kunstkritiken n. s. >v. Wer derlei Auf-

sütze von Keller jemals gelesen hat, der keunt ihren Werl: das
gemüchliche Hcrausbilden der Beurteilnngen aus reisstem Ver-
stäudnis und ruhigstem Erwägeu, die Benutzung jeder passende»,
aber auch wirklich nur jeder passeuden Gelegenheit zu Aus-
blicken in klare Gedankensernen, den sauberen Ausdruck des
Ganzen in einer wurzelechten, edel kraftvollen, anschaulichen
Sprache.

Mit gehobener Erwartung beginnt man das Lesen der
Abteilnng „Dichtungen". Und die zuerst 1863 in Auerbachs
Volkskalender gedruckte Erzähluug „Berschiedene Freiheits-
kämpfer" wird gewiß keiuen cnttäuschen. Es ist ein Kutlur-
bild vom Ende des vorigen Jahrhuuderts, da die sranzösische
„die neucn Republiken säete, wie Rettige", und also auch in
der Schweiz, wo aber das „grünschattige Nidwalden" sür seiu
altes Selbstbestimmuugsrecht in den Kamps gegen die ganze
übrige Schweiz und Frankreich mit heroischem Wahnsinu trat.
Wie uns Keller das Wirtschaften des „Freiheitsheeres" in
eineni eidgenössischen Städtchen malt uud das plumpe Ent-
gegenkommen der Landslente, das schon rcihte dieses Stück au
die besten Tbaten seiner Verkörperungskraft und seines Humors.
Dann aber die Gegenwelt zn Ler andern, die kleine Nidwaldncr
Welt mit ihren ehrenhaften keruigen Gesellen! Mit ihrer
dichterischen Kraft könnte sich diese Erzählung zwischen den „Leuten
von Seldwyla" halten. Jn der solgcndcu, die „Der Wahltag"
bcnauut ist, tritt die volkserzieherische Tendenz zu sehr hervor,
als daß wir sic reiu als Dichtuug betrachteu dürfteu.

Dann folgt das Trauerspielsragment „Therese". Bächtold
teilt mit, daß es sich uuter mehreren draniatischen Entwürsen
nm den einzigen handelt, der seste Gestalt angcnommcn hatte,
ja bereits zwei Akte wcit gediehen war. Die Komposition fällt
in das Fahr s8-py, die Ansführnng des mitgetcilten Brnchstücks
ist schou das Ergebuis mannigfaltiger Änderungen dcs Plans.
Entschieden bedeutend ist dieser Plau dcs Werkes, das sich auf
dem Hintergruudc eincs Kreises iu ihrcr Beschränkuug zusriedener
Pietistcn abspielen sollre, deu Keller übrigcns keineswegs mit
vordringlicher Satire zu behandeln gedachte. Eine sechsund-
dreißigjährige Wittwe, eine F-ran von Schöuheit, reichem

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