Mit derselben Berechtigung könnten wir uber nnsere Novellen
hinter den Titel setzen: L andschaftsverzeichnis: Ein
Eichwald mit Kiefern gemischt, Eine Villa in Rokokostil,
Ein Dorf, Ein Eisenbahnwagen, oder noch empfehlens-
werter: T o il e tt e n v erz e i ch nis: Eine Spitzenmantille,
eine Peluchejacke, ein Perlenhalsband, ein Zylinderhut uswr
Dieses Berzeichnis hätte doch wenigstens den Vorzug, die
Leserinnen zu sesseln. Aber ja sorgsältig darauf Acht geben,
dasz die seidenen Kleider vor den wollenen aufmarschiren!
„Aber die Charaktere haben ja doch im Drama eine
ganz andere Bedentung, als—Einverstanden. Aber einc
Person ist noch kein Charakter und ein König im Krönungs-
mantel, ein Ritter unter dem Helmbusch, der nur sechs
Worte spricht, noch keine Person. Und dann, bei dieser
Gelegenheit, beiläufig eine leise Vermutnng nnd eine be-
scheidene Frage. Jst nicht vielleicht das Personenverzeichnis
mit Schuld an dem ansschließlichen Nachspüren nach den
Charakteren in einem Drama? Und ist man so sicher, daß
das gänzliche Aufgehen der dramatischen Empfänglichkeit in
dem anthropologischen Jnteresse einen Netto-Gewinn be-
deutet?
ikurl Spltteler.
Dicdtung.
* Scböne Lireratur. XXIV.
Die 5onntagskinder. Roman von Hans Werder.
(Berlin, Otto Janke, 3 Bände, Z2 M.)
Was versteht sie unter ihrem Lieblingsausdruck „Sonntags-
kinder", die Frau Fürstin? Mit dem Volksmund solche, die
nnter dem Glockengeläute geboren siud und Anwartschast haben
auf besonderes Glück. „Nur verstehe ich uuter diesem Glücke
vielleicht eiu anderes. Etwa dasjenige, welches den Dichter
zu dem freudigen Bekenutnisse treibt: »und wenu der Mensch
in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was
ich leide«." Aber doch nicht etwa nur die ausübenden Künstler.
„Vielmehr sind es die Menschen, denen das »zweite Gesicht«
verliehen ist, mit dem sie in das erträumte Paradies hinein-
schauen, welches alltäglichen Augen verschlossen bleibt. Die,
mit diesem Himmelsvorrecht begabt, hinwegblickend über das
schattige Thal des Alltagsdaseins, auf sonniger Höhe des
Lebeus stehen." Der jnnge Fürst Waldemar und sein Freund,
der Naturforscher, kommen am Schluß der Geschichte sreilich
zu einer andern Begriffsbestimmung: „das siud die rechten
Sonntagskinder, die, wenn das Leben es vermocht hat, selbst
ihre Jdeale zu zerbrechen, — dennoch den Blick aufwürts
gerichtet behalten, — einer ewigen Heimat zu."
Frau von Bonin, die talentvolle und ehrliche Schrift-
stellerin, die ihre Romane als „Hans Werder" herausgiebt,
hat sich bei der Gestaltung ihres, Buchs glücklicherweise vom
Titel nicht als von einer Zwangsvorstellung beherrschen lassen.
Jm Mittelpunkt ihrer Schöpfung steht eigentlich doch nicht so
sehr eine Schilderung dieser oder jener Art von „Sonutags-
kindern", als eine des Kampfes zwischen Leidenschaften und
dem, was den betreffenden Leuten als Pflicht erscheint.
Zu den Gegenständen, welche die allerseinsühligste Be-
handlung vom Dichter sordern, gehören die Konflikte zwischen
Liebe aus beiden Seiten und auf nur einer Seite einem jener
praktischen Hindernisse, die durch einen thatkrüftigen Entschluß
doch eben überbrückt werden könnten. Zögert hier der Nach-
geborene aus einem Majoratshause trotz seiner Liebe, einem
minder bemittelten Mädchen die Ehe anzubieten, weil er nicht
weiß, wovon sie beide dann standesgemüß leben sollen, zögert
dort der Majoratsherr selber, eine von ihrn leidenschaftlich
geseierte Künstlerin zu seinem Weibe zu machen, weil er dann
die Majoratsrechte ausgeben und die entsprechenden Folgen
tragen müßte, so giebt dies zwei Beispiele sür jenen Konflikt.
Nur eine ganz objektive, nur eine ganz realistische Behandlung
wird hier angebracht sein, bei der der Versasser sich klug vou
jeder Parteinahme sern hült. Denn die Macht lange weiter-
vererbter Vorurteile und eines Reichtums, der die Erfüllung
schier aller sonstigen und auch der edelsten Wünsche gestattet,
ist zu groß, als daß wir dem Schilderer leichthin glauben
sollten, wenn er sie uns bei seinen Geisteskindern als bald
überwunden beschreibt. Anderseits: die sittliche Pflicht, trotz
ällem jene Macht zu brechen, ist zu einleuchtend, als daß wir
nicht auch trotz alledem verlangten, daß ihr von Menschen
genügt werde, die wir lieben sollen.
Die Verfasserin hat im vorliegenden Werke den ersten der
obenerwühuten Fülle nur gestreift, den zweiten aber zur eigent-
lichen Axe der Bewegung gemacht. Und sie hat geglaubt, uns
die liebevolle Teilnahme sür ihren Helden, den Fürsten
Waldemar, dadurch bewahren zu sollen, daß sie ihn zur Ehe
mit der Sängerin Jsolde bereit zeigt, uns aber sagt: mit dem
Verzicht aus sein Majorat müßte der Fürst auch seiu stolzes
Verhültnis zu seiner Kunst ausgeben, das würde er aus die
Dauer nicht ertragen — und deshalb muß Jsolde sich opfern.
Wenn uns nur nicht die nüchterne Frage im Kopfe rumohrte:
warum trifft denn der Fürst nicht mit seinem jüngeren Bruder
ein Abkommen, das ihm doch so leicht helsen könnte? Graf
Egon ist ja ein ebenso vorurteilsloser und ebenso braver
Mensch wie Fürst Waldemar! Und wenn nur diese nächsten
Verwandten des Fürsten, die wir doch als ganz herrliche Ver-
treter des Menschentums achten sollen, sich um eine sreundlichere
Lösung der Wirren ein wenig mehr bemühten! Bedeutete sie
doch die Errettung zweier trefflicher und auch von ihnen ge-
liebter Menschen von Schuld, Elend und Tod. Die Verfasserin
hätte dem Wirklichkeits- und dem Wahrheitssinn besser genügt,
wenn sie unser Urteil über die fürstliche Familie nicht so ost
durch die Begeisterung der Freunde der Fürstin und ihrer
Tochter bedrängt hätte. Es mag rein wegen der Opposition
dagegen sein, daß uns diese nun trotz allen ihnen gespendeten
Lobes als etwas besangene Leute erscheinen.
Die Haupthandlung des Romans ist durch das Gesagte
schon angedeutet, au Nebenhandlungen ist auch keiu Mangel,
ebensowenig an Betrachtungen zumal über das Verhältnis von
Sittlichkeit und Religion zu Wagnerischer Kunst, oder besser
gesagt: von Beleuchtuugen dieses Verhältnisses, denn sie er-
gebeu sich ungezwuugen aus dem Handeln und Empfinden der
einzelnen Personen, zu deren Charakteristik ihre Stellung zu
Wagner ost benutzt wird. Auch das Leben in dem sürstlichen
Wagnerianerhause der Hohenstein wie in der unerfreulich aber
sehr glaublich zusammengesetzten Familie der Sängerin in
Berlin, dann das sonstige Treiben in Bayreuth und in „Jlm-
hausen" und in Jtalien, ein Müzenatenleben, das uns mit
mit trefflicher Sachkenntnis und ost mit unverkennbarer Be-
nutzung unter den Musikleuten sehr bekannter Modelle geschildert
wird, — es sorgt dasür, daß wir des Jnteressanten manches zu
lesen bekommen. Das Entwickeln der Handlung leidet an
Ikundscliau
- 322 -
hinter den Titel setzen: L andschaftsverzeichnis: Ein
Eichwald mit Kiefern gemischt, Eine Villa in Rokokostil,
Ein Dorf, Ein Eisenbahnwagen, oder noch empfehlens-
werter: T o il e tt e n v erz e i ch nis: Eine Spitzenmantille,
eine Peluchejacke, ein Perlenhalsband, ein Zylinderhut uswr
Dieses Berzeichnis hätte doch wenigstens den Vorzug, die
Leserinnen zu sesseln. Aber ja sorgsältig darauf Acht geben,
dasz die seidenen Kleider vor den wollenen aufmarschiren!
„Aber die Charaktere haben ja doch im Drama eine
ganz andere Bedentung, als—Einverstanden. Aber einc
Person ist noch kein Charakter und ein König im Krönungs-
mantel, ein Ritter unter dem Helmbusch, der nur sechs
Worte spricht, noch keine Person. Und dann, bei dieser
Gelegenheit, beiläufig eine leise Vermutnng nnd eine be-
scheidene Frage. Jst nicht vielleicht das Personenverzeichnis
mit Schuld an dem ansschließlichen Nachspüren nach den
Charakteren in einem Drama? Und ist man so sicher, daß
das gänzliche Aufgehen der dramatischen Empfänglichkeit in
dem anthropologischen Jnteresse einen Netto-Gewinn be-
deutet?
ikurl Spltteler.
Dicdtung.
* Scböne Lireratur. XXIV.
Die 5onntagskinder. Roman von Hans Werder.
(Berlin, Otto Janke, 3 Bände, Z2 M.)
Was versteht sie unter ihrem Lieblingsausdruck „Sonntags-
kinder", die Frau Fürstin? Mit dem Volksmund solche, die
nnter dem Glockengeläute geboren siud und Anwartschast haben
auf besonderes Glück. „Nur verstehe ich uuter diesem Glücke
vielleicht eiu anderes. Etwa dasjenige, welches den Dichter
zu dem freudigen Bekenutnisse treibt: »und wenu der Mensch
in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was
ich leide«." Aber doch nicht etwa nur die ausübenden Künstler.
„Vielmehr sind es die Menschen, denen das »zweite Gesicht«
verliehen ist, mit dem sie in das erträumte Paradies hinein-
schauen, welches alltäglichen Augen verschlossen bleibt. Die,
mit diesem Himmelsvorrecht begabt, hinwegblickend über das
schattige Thal des Alltagsdaseins, auf sonniger Höhe des
Lebeus stehen." Der jnnge Fürst Waldemar und sein Freund,
der Naturforscher, kommen am Schluß der Geschichte sreilich
zu einer andern Begriffsbestimmung: „das siud die rechten
Sonntagskinder, die, wenn das Leben es vermocht hat, selbst
ihre Jdeale zu zerbrechen, — dennoch den Blick aufwürts
gerichtet behalten, — einer ewigen Heimat zu."
Frau von Bonin, die talentvolle und ehrliche Schrift-
stellerin, die ihre Romane als „Hans Werder" herausgiebt,
hat sich bei der Gestaltung ihres, Buchs glücklicherweise vom
Titel nicht als von einer Zwangsvorstellung beherrschen lassen.
Jm Mittelpunkt ihrer Schöpfung steht eigentlich doch nicht so
sehr eine Schilderung dieser oder jener Art von „Sonutags-
kindern", als eine des Kampfes zwischen Leidenschaften und
dem, was den betreffenden Leuten als Pflicht erscheint.
Zu den Gegenständen, welche die allerseinsühligste Be-
handlung vom Dichter sordern, gehören die Konflikte zwischen
Liebe aus beiden Seiten und auf nur einer Seite einem jener
praktischen Hindernisse, die durch einen thatkrüftigen Entschluß
doch eben überbrückt werden könnten. Zögert hier der Nach-
geborene aus einem Majoratshause trotz seiner Liebe, einem
minder bemittelten Mädchen die Ehe anzubieten, weil er nicht
weiß, wovon sie beide dann standesgemüß leben sollen, zögert
dort der Majoratsherr selber, eine von ihrn leidenschaftlich
geseierte Künstlerin zu seinem Weibe zu machen, weil er dann
die Majoratsrechte ausgeben und die entsprechenden Folgen
tragen müßte, so giebt dies zwei Beispiele sür jenen Konflikt.
Nur eine ganz objektive, nur eine ganz realistische Behandlung
wird hier angebracht sein, bei der der Versasser sich klug vou
jeder Parteinahme sern hült. Denn die Macht lange weiter-
vererbter Vorurteile und eines Reichtums, der die Erfüllung
schier aller sonstigen und auch der edelsten Wünsche gestattet,
ist zu groß, als daß wir dem Schilderer leichthin glauben
sollten, wenn er sie uns bei seinen Geisteskindern als bald
überwunden beschreibt. Anderseits: die sittliche Pflicht, trotz
ällem jene Macht zu brechen, ist zu einleuchtend, als daß wir
nicht auch trotz alledem verlangten, daß ihr von Menschen
genügt werde, die wir lieben sollen.
Die Verfasserin hat im vorliegenden Werke den ersten der
obenerwühuten Fülle nur gestreift, den zweiten aber zur eigent-
lichen Axe der Bewegung gemacht. Und sie hat geglaubt, uns
die liebevolle Teilnahme sür ihren Helden, den Fürsten
Waldemar, dadurch bewahren zu sollen, daß sie ihn zur Ehe
mit der Sängerin Jsolde bereit zeigt, uns aber sagt: mit dem
Verzicht aus sein Majorat müßte der Fürst auch seiu stolzes
Verhültnis zu seiner Kunst ausgeben, das würde er aus die
Dauer nicht ertragen — und deshalb muß Jsolde sich opfern.
Wenn uns nur nicht die nüchterne Frage im Kopfe rumohrte:
warum trifft denn der Fürst nicht mit seinem jüngeren Bruder
ein Abkommen, das ihm doch so leicht helsen könnte? Graf
Egon ist ja ein ebenso vorurteilsloser und ebenso braver
Mensch wie Fürst Waldemar! Und wenn nur diese nächsten
Verwandten des Fürsten, die wir doch als ganz herrliche Ver-
treter des Menschentums achten sollen, sich um eine sreundlichere
Lösung der Wirren ein wenig mehr bemühten! Bedeutete sie
doch die Errettung zweier trefflicher und auch von ihnen ge-
liebter Menschen von Schuld, Elend und Tod. Die Verfasserin
hätte dem Wirklichkeits- und dem Wahrheitssinn besser genügt,
wenn sie unser Urteil über die fürstliche Familie nicht so ost
durch die Begeisterung der Freunde der Fürstin und ihrer
Tochter bedrängt hätte. Es mag rein wegen der Opposition
dagegen sein, daß uns diese nun trotz allen ihnen gespendeten
Lobes als etwas besangene Leute erscheinen.
Die Haupthandlung des Romans ist durch das Gesagte
schon angedeutet, au Nebenhandlungen ist auch keiu Mangel,
ebensowenig an Betrachtungen zumal über das Verhältnis von
Sittlichkeit und Religion zu Wagnerischer Kunst, oder besser
gesagt: von Beleuchtuugen dieses Verhältnisses, denn sie er-
gebeu sich ungezwuugen aus dem Handeln und Empfinden der
einzelnen Personen, zu deren Charakteristik ihre Stellung zu
Wagner ost benutzt wird. Auch das Leben in dem sürstlichen
Wagnerianerhause der Hohenstein wie in der unerfreulich aber
sehr glaublich zusammengesetzten Familie der Sängerin in
Berlin, dann das sonstige Treiben in Bayreuth und in „Jlm-
hausen" und in Jtalien, ein Müzenatenleben, das uns mit
mit trefflicher Sachkenntnis und ost mit unverkennbarer Be-
nutzung unter den Musikleuten sehr bekannter Modelle geschildert
wird, — es sorgt dasür, daß wir des Jnteressanten manches zu
lesen bekommen. Das Entwickeln der Handlung leidet an
Ikundscliau
- 322 -