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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 21 (1. Augustheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0330

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Ungleichmäßigkeit des Tempos, welches in der Mitte des Werks
am richtigsten genommen ist. Es muß auch gesagt werden,
daß uns der dritte Band, da schon der zweite die Peripetie
enthält, einen überflüssig langen „vierten Akt" giebt — die
Bekanntschaft der neuauftauchenden kleinen Hofdame, die den
Grafen Egon noch schnell unter die Haube bringen soll, machen
wir an dieser Stelle entschieden zu spät. Und so ist an der
1 Komposition manches ausznsetzen. Desto mehr erfreut uns
die Motivirung, die nie oberflächlich und nie pedantisch, die
technisch geschickt und mit künstlerischer Ehrlichkeit durchgeführt
! ist. Das Ganze ist von einem entschieden vornehmen, zurück-
- haltenden aber nach vielen Seiten hin reichen Geiste belebt,
und von den bekannten typischen Mängeln der Frauenschrist-
stellerei bemerken wir darin wenig. Jm Allgemeinen in Nach-
folgerschaft der Goethischen Romandichterschule, zeigt das
erfreuliche Werk in vielem Einzelnen, auch im Wie der Technik,
neuere Einflüsse.

* Jn einem steirischen Kurorte ist ZfrüNZ Oissel ge-
storben im Alter von 62 Jahren, — jener dramatischer Dichter,
von dem man sich nach Krönung seiner „Agnes von Meran"
mit dem Schillerpreise viel für unsre Bühnen versprach. Die
Erwartungen erfüllten sich nicht, Nissel war ein hochstrebendes
und ernst arbeitendes, aber doch nur ein Epigonentalent, das
aus der Nachfolgerschaft Schillers nicht weiterkam bis zur
Aufstellung einer künstlerischen Eigenpersönlichkeit.

* Über Dumor und Latire tu der Gegeinvart bringt
Hans Nord einen Aufsatz in den „Grenzboten". Was
er darin über die Abgrenzung dcr Begrifse Humor und
Witz sagt und über das Verhältnis dieser beiden Verwandten
zu einander, ist auch im „Kunstwart" schon ähnlich gesagt
worden. Auch die Klage, daß wir wohl häufig noch witzige
Leute, sehr selten aber noch Humoristen haben, ist den Lesern
unsrer Blätter wohl am wenigsten neu. Wie aber Nord
diese Bemerkung ausführt, das dürfte auch ihneu des Lesens
wert sein:

Es kann nicht Wunder nehmen, sagt er, daß gerade
in unserm kritiklustigen Zeitalter, wo man die scharfen
Worte liebt, der Witz eine Ausbildung erhalten hat, wie
kaum se zuvor. Auszulachen, zu verspotten, zu tadeln und
zu kritisiren, versteht sa niemand so gut als der Vertreter
des tin cle mecle, da niemand so gut wie er „den Splitter
in seines Bruders Auge sieht." Die Vertreter echten Humors
dagegen (nicht die sogenannten „Humoristen", von denen es
ja noch immer wimmelt) sind leider heutzutage ebenso wie
einst, zur Zeit des Diogenes, die wahren Menschen, „mit
der Laterne zu suchen." Denn zum wirklichen Humoristen
gehört eben nicht nur ein scharses Auge für die Fehler der
Zeitgenossen, sondern vor allem ein Helles, sonniges Gemüt,
ein warmes Herz, ein edler Gerechtigkeitssinn, eine feine
Harmonie der ganzen innern Persönlichkeit und erst zuletzt
ein sprudelnder Witz, ohne den es sreilich nicht abgeht. Wo
sind aber heutzutage die Dichter, die all diese kostbaren
Eigenschaften in sich vereinigten? Die Witzblätter schießen
auf wie die Pilze nach dem Sommerregen, aber die echten
Humoristen sterben aus; Reuter und Schefsel* stnd dahin;
ein paar andre wandeln noch unter uns, aber wie lange
noch? tönt die bekümmerte Frage. Schon kommen sie uns
vor wie hochragende Säulen, umleuchtet von dem Morgen-
rot einer neuen, andern Zeit. Der junge Nachwuchs, und
damit die zuversichtliche Zukunftshofsnung, fehlt. Zwar wird

*) Der war auch nur selten wirklicher Humorist; er war
es z. B. im „Ekkehard"; in seinem „humoristischsten" Buche
aber, dem „OLuckeLmus", nnr ganz ausnahmsweise einmal.

R-L.



unser literarischer Markt Jahr für Jahr von „Humoresken"
überslutet, aber meist sind diese gerühmten „Humoresken"
nicht einmal komische Geschichten, geschweige den „Geschichten
voll köstlichen Humors," wie sie so vft von freigebigen
Kritikern genannt werden.

Bezeichnend für die moderne Literatnr ist die Spezial
humoreske. Der eigentliche Humor ist uuiversal, er hat es
nicht nötig, sich auf ein für ihn besonders günstiges Gebiet
einzuschränken, nein, er gießt seine warmen Strahlen über
das Menschenleben aus. Um so eher sucht sich der Witz
ein besonderes Gebiet der Thätigkeit aus, er versteift sich mit
Vorliebe auf gewisse menschliche Verhältnisse, die von vorm
herein zum Komischen neigen, z. B. auf das Soldaten-,
das Bade-, das Krimiual- oder das Theaterleben. Greifen
wir nur eine Gattung aus den vielen heraus, die Gymnasial
humoreske, als deren glücklicher Vater sich Ernst Eckstein
rühmt. Schon bei dem »Meister« selbst ist von eigent
lichem Humor herzlich wenig zu verspüren. Meist ist es
ein schlechter Jugendstreich, der mit satirischer Bosheit und
allerdings manchmal recht witzig und geschickt erzahlt wird,
aber zuletzt bleibt bei dem ausrichtigen Leser doch ein wenig
befriedigender Eindruck zurück. Man hat das Gefühl: hier
ist ein Mißstand gegeißelt worden; wenn er auch freilich
sehr komischer Art ist, so ist er doch nicht ganz so harmlos,
wie es nach all den Scherzen scheint, nur lacht man stch
darüber hinweg. Dem Leser wird nicht etwa das sonnige,
wonnige Gymnasiastenglück in den erquickenden Farben des
Humors gemalt, sondern eine flüchtige Skizze geboten, die
der Witz des Autors in wenigen schnellen, aber um so
schärferu Strichen entworfen hat. Noch schlimmer geht es
bei den Nachtretern Ecksteins her. Und doch könnte gerade
das frohe Gymnasiastenleben mit seinen tausendsachen kleinen
Schulnöten, mit seinen unuötigen und doch so rvmantischen
Leiden heimlichen Liebeswehs, mit seinen stolzen Träumen
einer großen Zukunft so reichen Stofs bieten für wirklichen
Humor, wie er z. B. bei 5kügelgen und andern zu sindeu
ist. Aber bei ihnen sind eben die echten kleinen Humoresken
nur reizende Episoden in einem großen Ganzen, mit der
modernen »Spezialhumoreske« und ihren essektvolleu Lichtern
haben ste nichts gemein. Schon die ganze Art der Be-
handlung ist grundverschieden. Kügelgen erzählt uns naiv
treuherzig von seiner Jugend, vielleicht auch mit einem An
flug gutmütigen Spottes, völlig iu der harmloseu und un
befangnen Art der betreffenden Zeit, die er möglichst vbsektiv
zu schildern sncht. Eckstein dagegen will gewisse Zustände
im Gymnasialleben möglichst grell beleuchten, um sich über
den Helden seiner Humoreske und — zugleich über den
Leser lustig zu machen. Dort ruhige, objektive Darstellung,
hier Tendenz. Der einfache, wahre und dabei echt humori-
stische Kügelgen nötigt uns zu einem heitern, manchmal
vielleicht auch etwas wehmütigen Lächeln, der übertreibende,
sarkastische, witzige Eckstein bringt uns zu einem schaden-
frohen, manchmal auch verbitterten Gelächter. Wetche
Wirkung vorzuziehen ist, darüber kann man ja streiten,
doch mancher Leser der vielgerühmten GymnasialhumoreSken
Ecksteins hat wohl schon mit den Worten des Dichters
gesprochen: „Man merkt die Absicht, und man ist ver-
stimmt."

Die mvderne Humoristik, so paradox es klingen mag,
will von wirklichem Humor gar nichts wissen. An dieser
traurigen Thatsache sind aber nicht bloß die Dichter, sondern
ist zum großen Teile auch das Publikum schuld. Jn den
letzten Jahrzehnten ist nach und nach der Zeitgeschmack ein
anderer geworden: der moderne Leser will gar nicht vor

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