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21. Stück.
Lrscbeint
am Anfang und in der Milte
Derausgeber:
zferdinand Avenarins.
Kcstcllpreis:
vierteljährlich 2 r/z Mark.
Ltvvas vom Tkeaterzettel.
^zIL^on jeher ist mir folgendes kleine Kuriosmn in
unserer dramatischen Literatur anfgefallen.
Während auf der Bühne und leider auch im
Tezt der Titelheld sich die haarsträubendsten
Vorrechte herausnimmt, als armer Ritter vor versammeltem
Hofe sich in die Brust wirft, Könige anschreit und den
vornehmsten Damen mit stolzer Gebärde den Rücken kehrt,
beliebt den Verfassern gleichzeitig das harmlose gothaische
Domino-Spiel, im Personenverzeichnis die Menschen nach
feudalen Grundsätzen aufmarschiren zu lassen; hoch oben
den König (oder Scheich oder Häuptling), selbst wenn er
auch nur zwei Worte im Stück zu sagen hat, dann seine
Gemahlin, hiernach ein paar halbstumme Herzöge oder
Generäle, während der Held und die Heldin, die sich gleich
darauf so unleidlich machen werden, irgendwo in der Mitte
Versteckens spielen.
Es scheint, daß es unsern Poeten im stillen Kämmer-
lein Vergnügen macht, zur Abwechslung Zeremvnienmeister
zu spielen. Oder handelt es sich vielleicht um ein Rätsel?
Will das Personenverzeichnis sagen: eine silberne Taschenuhr
demjenigen, der die wichtigen Personen aus den Figuranten
herausfindet? —
Nun hatte ja diese Anordnung einen Sinn bei dem
aristotratischen Shatespeare, der einen Herrn von Frank-
reich und ein Fräulein von England kennt, sie war ferner
vollständig am Platze bei den „Staatsattionen", heutzutage
jedoch muß diese antiquarische Kasteneinrichtung, diese Rang-
und Standes-Etikette einfach kindisch heißen. Wen in aller
Welt tümmert es denn, ob in einem angekündigten Drama
hofsähige Leute aufmarschiren werden oder nicht, und wie
viele? Wer fühlt sich verletzt, wenn man einen Apotheker,
der die Hauptrolle hat, vor einem Hofapotheker anführt,
der bloß sechs Worte spricht? Was den Leser oder Zu-
schauer allenfalls interessirt, ist, zu wissen, welche von den
Personen er znm Voraus besonders ins Gedächtnis fassen
soll, mit andern Worten, welchen von ihnen vom Verfasser
die Hauptrollen zugedacht sind. Eine vernünftige Ordnung
des Personenverzeichnisses müßte demnach lauten:
I. Hauptpersonen:
X. X.
X. X.
Je nach ihrer dramatischen Bedeutung über und
untereinandergestellt, aber Held und Heldin oben an.
II. Nebenperson en:
ebenso.
III. Beiläufige Figuren (und Volk.)
Jch sagte: „was den Leser und Zuschauer allenfalls
interessirt". Llämlich, es ist mir nvch gar nicht ausge-
macht, daß das Publikum überhaupt mathematisch genau zn
wissen begehrt, wie viele und was für Personen in dem
folgenden Stücke auftreten werden. Das erstere geht doch
bloß den Regisseur und das letztere bloß die Schauspieler
an, die sich natürlich im Theaterzettel namentlich aufgeführt
sehen wollen. Allein der Theaterzettel ist eins, das Drama
ein anderes uist) zwar, wie ich denke, ein hoheres. Der
Dichter aber hat sich nicht der Eitelkeit von Fräulein Müller-
Schröter anzubeqnemen. Der Branch, jedem Drama einen
Personenpolizeizettel beizugeben, stammt aus einem bereits
etwas sernliegeuden Jahrzehnt, nämlich aus der Zeit des
Aristides, und hatte damals vortrefsliche Gründe, religiöse
und finanzielle. Was haben hingegen wir für Gründe?
Jch sehe nur einen einzigen, nämlich Gedankenlosigkeit.
Lrsres Nugust-Dekt 1SS3.
— 321 —
21. Stück.
Lrscbeint
am Anfang und in der Milte
Derausgeber:
zferdinand Avenarins.
Kcstcllpreis:
vierteljährlich 2 r/z Mark.
Ltvvas vom Tkeaterzettel.
^zIL^on jeher ist mir folgendes kleine Kuriosmn in
unserer dramatischen Literatur anfgefallen.
Während auf der Bühne und leider auch im
Tezt der Titelheld sich die haarsträubendsten
Vorrechte herausnimmt, als armer Ritter vor versammeltem
Hofe sich in die Brust wirft, Könige anschreit und den
vornehmsten Damen mit stolzer Gebärde den Rücken kehrt,
beliebt den Verfassern gleichzeitig das harmlose gothaische
Domino-Spiel, im Personenverzeichnis die Menschen nach
feudalen Grundsätzen aufmarschiren zu lassen; hoch oben
den König (oder Scheich oder Häuptling), selbst wenn er
auch nur zwei Worte im Stück zu sagen hat, dann seine
Gemahlin, hiernach ein paar halbstumme Herzöge oder
Generäle, während der Held und die Heldin, die sich gleich
darauf so unleidlich machen werden, irgendwo in der Mitte
Versteckens spielen.
Es scheint, daß es unsern Poeten im stillen Kämmer-
lein Vergnügen macht, zur Abwechslung Zeremvnienmeister
zu spielen. Oder handelt es sich vielleicht um ein Rätsel?
Will das Personenverzeichnis sagen: eine silberne Taschenuhr
demjenigen, der die wichtigen Personen aus den Figuranten
herausfindet? —
Nun hatte ja diese Anordnung einen Sinn bei dem
aristotratischen Shatespeare, der einen Herrn von Frank-
reich und ein Fräulein von England kennt, sie war ferner
vollständig am Platze bei den „Staatsattionen", heutzutage
jedoch muß diese antiquarische Kasteneinrichtung, diese Rang-
und Standes-Etikette einfach kindisch heißen. Wen in aller
Welt tümmert es denn, ob in einem angekündigten Drama
hofsähige Leute aufmarschiren werden oder nicht, und wie
viele? Wer fühlt sich verletzt, wenn man einen Apotheker,
der die Hauptrolle hat, vor einem Hofapotheker anführt,
der bloß sechs Worte spricht? Was den Leser oder Zu-
schauer allenfalls interessirt, ist, zu wissen, welche von den
Personen er znm Voraus besonders ins Gedächtnis fassen
soll, mit andern Worten, welchen von ihnen vom Verfasser
die Hauptrollen zugedacht sind. Eine vernünftige Ordnung
des Personenverzeichnisses müßte demnach lauten:
I. Hauptpersonen:
X. X.
X. X.
Je nach ihrer dramatischen Bedeutung über und
untereinandergestellt, aber Held und Heldin oben an.
II. Nebenperson en:
ebenso.
III. Beiläufige Figuren (und Volk.)
Jch sagte: „was den Leser und Zuschauer allenfalls
interessirt". Llämlich, es ist mir nvch gar nicht ausge-
macht, daß das Publikum überhaupt mathematisch genau zn
wissen begehrt, wie viele und was für Personen in dem
folgenden Stücke auftreten werden. Das erstere geht doch
bloß den Regisseur und das letztere bloß die Schauspieler
an, die sich natürlich im Theaterzettel namentlich aufgeführt
sehen wollen. Allein der Theaterzettel ist eins, das Drama
ein anderes uist) zwar, wie ich denke, ein hoheres. Der
Dichter aber hat sich nicht der Eitelkeit von Fräulein Müller-
Schröter anzubeqnemen. Der Branch, jedem Drama einen
Personenpolizeizettel beizugeben, stammt aus einem bereits
etwas sernliegeuden Jahrzehnt, nämlich aus der Zeit des
Aristides, und hatte damals vortrefsliche Gründe, religiöse
und finanzielle. Was haben hingegen wir für Gründe?
Jch sehe nur einen einzigen, nämlich Gedankenlosigkeit.
Lrsres Nugust-Dekt 1SS3.
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