drastischen Nachtwächterhornigen O, das immer unversehens
das merkwürdig fasrige huschelige Rvndo Thema zum Still-
stehen blast. Durch und durch Humvrist im Sinne seines
Neblings Jean Paul, und vielleicht Beethvven in dieser
Beziehung am nächsten verwandt, ist Robert Schumann,
am meisten in seiner ersten Schaffenszeit, wv die Klavier
kvmpvsitionen entstanden, die in vieler Beziehung ja sein
Ursprünglichstes, sein Genialstes sind, nnd wv er in seinem
Schafsen noch nicht unter dem unseligen Einslnsse Mendel-
sohns stand. Man vergegenwärtige sich seine Davids-
bündler-Schrullen mit seinem in Flvrestan und Eusebius
verkörperteu Dvppelweseu, entsprechend den Faustischen
„Zwei Seeleu", was alles in den Klavierkvmpositivnen
wie den Davidsbündlertänzen, der Kreisleriana, der Ui8-
moIl-Svnate, dem Karneval usw. als echter Hnmvr sich
prächtig wiederspiegelt.
Wenig Heimstätten hat der Humor bei den Tvnsetzern
der Gegenwart, einer aber ist nnter ihnen, dem er gelegentlich
seine goldenen Gaben mit vvllen Händen schenkt: Brahms.
Wer die herbe Tvnsprache dieses Nleisters erst verstehen
gelernt hat, der hört aus ihr Offenbarungen auch des
Humvrs oft genug deutlich reden. Die köstliche Stelle in
der akademischen Festvnvertüre, wo die Fagvtten das
Fuchsenlied anstimmen, wvllen wir zwar nicht als Beispiel
ansühren, denn hier handelt sich's doch nur um Komik,
nicht um Humvr. Die Serenade in ^.-Uur sür kleines
Orchester (ohne Bivlinen) u. a. ist aber mit Goldfäden
kvstbarsten Humors durchwirkt.
Wir haben es alsv gesehen: auch in der Musik hat
der Hnmor ein Königreich. Aber es wird gerade so selten
vvn Reisenden besncht, wie seine andern Königreiche eben
auch: der musikalische Humvr ist sv wenig eine Sache für
Jedermann, wie der Humvr anderswv. Was i st Humor,
und was gilt nicht alles für Humvr in dieser wunder-
lichen Zeit mit ihren „humvristischen" Büchern und Zeit-
schriften und Beilagen, in die Jahrzehnte lang kein einziger
Strahl wirklichen Humvrs hineinleuchtet! Die blinde
Berinengung der Begrisse Kvmik, Witz, Satire, Spvtt,
Neckerei, lnstige Laune mit dem Begrifs Humvr wird noch
lange nicht aus der Welt geschafst werden. Auch auf
dem Gebiet der Musik gilt ja Gott weiß was nicht alles
für hunlvristisch: das Hahaquartett für Männerstimmen,
der Kupletsänger, der Katzen und Eselgeschreiimitatvr.
Berständnis für wirklichen Humor ist sehr, sehr selten, ist
die höchste Stufe im Kunstverständnisse überhaupt — eine
Wahrheit, die längst allgemein anerkannt wäre, wenn sie
nicht in sich selbst den Grund dafür enthielte, daß sie der
Mehrzahl der Leute nnverständlich bleiben muß. Selbst
die besseren unserer Orchesterdirigenten verstehen den Humvr
z. B. gerade bei Beethvven nur selten, und unbegreislich
scheint es, daß ein Hans von Bülvw, der ihn immer ver
steht und trefflich zuni Ausdruck bringt, unter seinen Kunst-
genvssen in dieser Beziehung sv wenig erzieherisch gewirkt hat.
Nicht nur auf Berständnislvsigkeit treffen wir den Gaben
des musikalischen Hulnvrs gegenüber selbst bei gefeierten
Dirigenten, svndern sie stellen vft genug den Sinn der
betreffenden Stellen geradezu auf den Kopf, weil sie gar
nicht merken, daß sich's überhaupt um Humvr handelt.
Sie verstehen, ja sie beachten sogar, Gott sei's geklagt,
vst überhanpt nnr das Technische, nicht den seelischen Jnhalt
des musikalischen Knnstwerkes, das ihre Hände verarbeiten.
Ikarl Söble.
Ikundscbau.
Dicktung.
x Scböne Lireratur. XVI.
Stärker als die Liebe. Roman von Salvatore
Farina. (Berlin, Janke, z Mk.)
Der Kassirer Jnnozenz hat eine Briestasche mit so ooo
Franken verloren. Serasino, ein selbständiger Kaufmann, hat
sie gefunden und unter dem Druck von Verhältnissen der Ver-
suchung nicht widerstehen kvnnen, sie als „Darlehen" zurück-
znbehalten und zu verwenden. Aber sein ganzes weiteres
Leben widmet er dem Bemühen, den Jnnozenz glücklich zu
machen, und am Schluß der Geschichte sagen wir uns: wenn
irgend ein Mensch durch treue und liebende Sorge den Fehl-
tritt eines Tages sühnen kann, so hat Serafino den seinen
gesühnt. Jnnozenz denkt anders: als der sterbende Freund
und Schwiegervater ihm seine Schuld beichtet und um seine
Vergebung sleht, da sagt er: „nein, ich kann dir nicht vergeben".
„Damals klagte er nicht — aber später wiederholte er noch
ost, daß jener Gerechtigkeitsakt des Himmels ein tieses Weh in
seinem Jnnern znrückgelassen. Wer weiß? Stärker, als die
Gerechtigkeit, weil menschlicher, ist vielleicht das Mitleid, das
ja auch die Liebe ist".
Jnnozenz ist in dem ganzen Buche als ein (man ver-
zeihe das burschikose Wort) Gerechtigkeits-Fex gezeichnet und
zwar mit jener diskreten nnd doch so sicheren Linienführung,
von der keine noch so krause Eingebung seines Humors den
Farina jemals abweichen lüßt. Es ist eine meisterhafte
Charakterstndie das. Aber ich kann von dem Jnnozenz doch
nicht glanben, daß er, selbst in seiner nervösen Überreiztheit
durch die schlimmen Früchte, die jene schlimme Saat anch auf
dem Gebiete seines Liebeslebens gezeitigt hat, seine Gerechtig-
keitsidee auch unter solchen Umständen noch und als so grau-
same Herrin walten laßt. Er ist doch nicht bloß ein „Ge-
rechter", er ist doch auch ein gnter Mensch. Und so scheint es
mir, daß sich in diesem Roman zu den übrigen germanischen
Eigenschaften des „italienischen Dickens", zu seinem gemütvollen
Humor und seinem behaglichen Verweilen bei der Schilderung
von Zustündlichem, anch noch die nicht weniger germanische
einer etwas doktrinären „Grundidee" gesellt. Nur beim Schlusse
tritt das hervor; am ganzen Werke sonst kann man ungemischte
Freude haben.
Das zweite Buch von Farina, das uns heute zur Be-
sprechung vorliegt,
Für Leben und Tod (Berlin, ebenda. 2 Mk.),
ist sür Feinschmecker an psychologischen Beobachtungen schon
stofflich ungewöhnlich interessant. Der junge Lebemann Hippolyt
Nulli hat nicht nur sein, sondern auch seiner Schwester Ver-
mögen mit Weibern und Schmarotzern durchgebracht, ohne
- rso —
das merkwürdig fasrige huschelige Rvndo Thema zum Still-
stehen blast. Durch und durch Humvrist im Sinne seines
Neblings Jean Paul, und vielleicht Beethvven in dieser
Beziehung am nächsten verwandt, ist Robert Schumann,
am meisten in seiner ersten Schaffenszeit, wv die Klavier
kvmpvsitionen entstanden, die in vieler Beziehung ja sein
Ursprünglichstes, sein Genialstes sind, nnd wv er in seinem
Schafsen noch nicht unter dem unseligen Einslnsse Mendel-
sohns stand. Man vergegenwärtige sich seine Davids-
bündler-Schrullen mit seinem in Flvrestan und Eusebius
verkörperteu Dvppelweseu, entsprechend den Faustischen
„Zwei Seeleu", was alles in den Klavierkvmpositivnen
wie den Davidsbündlertänzen, der Kreisleriana, der Ui8-
moIl-Svnate, dem Karneval usw. als echter Hnmvr sich
prächtig wiederspiegelt.
Wenig Heimstätten hat der Humor bei den Tvnsetzern
der Gegenwart, einer aber ist nnter ihnen, dem er gelegentlich
seine goldenen Gaben mit vvllen Händen schenkt: Brahms.
Wer die herbe Tvnsprache dieses Nleisters erst verstehen
gelernt hat, der hört aus ihr Offenbarungen auch des
Humvrs oft genug deutlich reden. Die köstliche Stelle in
der akademischen Festvnvertüre, wo die Fagvtten das
Fuchsenlied anstimmen, wvllen wir zwar nicht als Beispiel
ansühren, denn hier handelt sich's doch nur um Komik,
nicht um Humvr. Die Serenade in ^.-Uur sür kleines
Orchester (ohne Bivlinen) u. a. ist aber mit Goldfäden
kvstbarsten Humors durchwirkt.
Wir haben es alsv gesehen: auch in der Musik hat
der Hnmor ein Königreich. Aber es wird gerade so selten
vvn Reisenden besncht, wie seine andern Königreiche eben
auch: der musikalische Humvr ist sv wenig eine Sache für
Jedermann, wie der Humvr anderswv. Was i st Humor,
und was gilt nicht alles für Humvr in dieser wunder-
lichen Zeit mit ihren „humvristischen" Büchern und Zeit-
schriften und Beilagen, in die Jahrzehnte lang kein einziger
Strahl wirklichen Humvrs hineinleuchtet! Die blinde
Berinengung der Begrisse Kvmik, Witz, Satire, Spvtt,
Neckerei, lnstige Laune mit dem Begrifs Humvr wird noch
lange nicht aus der Welt geschafst werden. Auch auf
dem Gebiet der Musik gilt ja Gott weiß was nicht alles
für hunlvristisch: das Hahaquartett für Männerstimmen,
der Kupletsänger, der Katzen und Eselgeschreiimitatvr.
Berständnis für wirklichen Humor ist sehr, sehr selten, ist
die höchste Stufe im Kunstverständnisse überhaupt — eine
Wahrheit, die längst allgemein anerkannt wäre, wenn sie
nicht in sich selbst den Grund dafür enthielte, daß sie der
Mehrzahl der Leute nnverständlich bleiben muß. Selbst
die besseren unserer Orchesterdirigenten verstehen den Humvr
z. B. gerade bei Beethvven nur selten, und unbegreislich
scheint es, daß ein Hans von Bülvw, der ihn immer ver
steht und trefflich zuni Ausdruck bringt, unter seinen Kunst-
genvssen in dieser Beziehung sv wenig erzieherisch gewirkt hat.
Nicht nur auf Berständnislvsigkeit treffen wir den Gaben
des musikalischen Hulnvrs gegenüber selbst bei gefeierten
Dirigenten, svndern sie stellen vft genug den Sinn der
betreffenden Stellen geradezu auf den Kopf, weil sie gar
nicht merken, daß sich's überhaupt um Humvr handelt.
Sie verstehen, ja sie beachten sogar, Gott sei's geklagt,
vst überhanpt nnr das Technische, nicht den seelischen Jnhalt
des musikalischen Knnstwerkes, das ihre Hände verarbeiten.
Ikarl Söble.
Ikundscbau.
Dicktung.
x Scböne Lireratur. XVI.
Stärker als die Liebe. Roman von Salvatore
Farina. (Berlin, Janke, z Mk.)
Der Kassirer Jnnozenz hat eine Briestasche mit so ooo
Franken verloren. Serasino, ein selbständiger Kaufmann, hat
sie gefunden und unter dem Druck von Verhältnissen der Ver-
suchung nicht widerstehen kvnnen, sie als „Darlehen" zurück-
znbehalten und zu verwenden. Aber sein ganzes weiteres
Leben widmet er dem Bemühen, den Jnnozenz glücklich zu
machen, und am Schluß der Geschichte sagen wir uns: wenn
irgend ein Mensch durch treue und liebende Sorge den Fehl-
tritt eines Tages sühnen kann, so hat Serafino den seinen
gesühnt. Jnnozenz denkt anders: als der sterbende Freund
und Schwiegervater ihm seine Schuld beichtet und um seine
Vergebung sleht, da sagt er: „nein, ich kann dir nicht vergeben".
„Damals klagte er nicht — aber später wiederholte er noch
ost, daß jener Gerechtigkeitsakt des Himmels ein tieses Weh in
seinem Jnnern znrückgelassen. Wer weiß? Stärker, als die
Gerechtigkeit, weil menschlicher, ist vielleicht das Mitleid, das
ja auch die Liebe ist".
Jnnozenz ist in dem ganzen Buche als ein (man ver-
zeihe das burschikose Wort) Gerechtigkeits-Fex gezeichnet und
zwar mit jener diskreten nnd doch so sicheren Linienführung,
von der keine noch so krause Eingebung seines Humors den
Farina jemals abweichen lüßt. Es ist eine meisterhafte
Charakterstndie das. Aber ich kann von dem Jnnozenz doch
nicht glanben, daß er, selbst in seiner nervösen Überreiztheit
durch die schlimmen Früchte, die jene schlimme Saat anch auf
dem Gebiete seines Liebeslebens gezeitigt hat, seine Gerechtig-
keitsidee auch unter solchen Umständen noch und als so grau-
same Herrin walten laßt. Er ist doch nicht bloß ein „Ge-
rechter", er ist doch auch ein gnter Mensch. Und so scheint es
mir, daß sich in diesem Roman zu den übrigen germanischen
Eigenschaften des „italienischen Dickens", zu seinem gemütvollen
Humor und seinem behaglichen Verweilen bei der Schilderung
von Zustündlichem, anch noch die nicht weniger germanische
einer etwas doktrinären „Grundidee" gesellt. Nur beim Schlusse
tritt das hervor; am ganzen Werke sonst kann man ungemischte
Freude haben.
Das zweite Buch von Farina, das uns heute zur Be-
sprechung vorliegt,
Für Leben und Tod (Berlin, ebenda. 2 Mk.),
ist sür Feinschmecker an psychologischen Beobachtungen schon
stofflich ungewöhnlich interessant. Der junge Lebemann Hippolyt
Nulli hat nicht nur sein, sondern auch seiner Schwester Ver-
mögen mit Weibern und Schmarotzern durchgebracht, ohne
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