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Dtcbtung.
* Scböne Lttcrstur. XIV.
Uhlands gesammelte IVcrke. Jn sechs Bändeu. Mit ^
einer biograPhisch-literarhistorischen Einleitung von Hermann
Fischer. (Stuttgart, I. G. Cotta, Leinenbde. 6 Mk., Halb-
franzb. 9 Mk.)
Wer zu Uhlands Gedichten mit gereifterem Urteil zurüä-
kehrt, nachdem er sich längere Zeit mit diesen Freunden seiner
! Jünglingszeit nicht beschäftigt hat, wird ihnen anders gegen-
überstehen, als ehedem. Er wird nicht mehr so oft, wie er
wohl früher gethan, auch in Uhlands rein lyrischen Gedichten
Schöpfungen höchster Art erblicken: er wird finden, daß etwa
Mörike, den er doch früher wohl niedriger eingeschätzt, aus
diesem Gebiete größer sei als Uhland. Das halb mystische
Offenbaren von Seelentiefen durch das Wort, oft gar nicht
durch das leichtfließende sondern das schier stammelnde Wort,
die Lyrik als ursprünglicher Reflexlaut, als „Ausdruck", diese
feinste Kunst dichterischer Charakteristik des Jnnenlebens hat
Uhland selten erreicht. Nicht etwa, weil er sie, wie das z. B.
Platen und die Plateniden gethan, nicht verstanden und also
auch nicht erstrebt hätte — seine Werke beweisen oft das Gegen-
teil —, sondern weil seine Phantasie zu langsam arbeitete, als
daß sie die immer nur flüchtigen Einblicke in die letzten Kammern
des eigenen Jchs wie mit einem Blitzbild hätte festhalten können.
Wo es nicht Beobachtungen am Jnnenleben gleichsam im Fluge
zu erhaschen, wo es galt, einen ruhig Stand haltenden Stofs,
aus Sage oder Geschichte vielleicht, gemächlich zu pflegen, bis
er Früchte trüge, da aber war Uhland wahrhaft groß. Seine
Romanzen und Balladen bleiben auch sür den anspruchsvollsten
Kennergeschmack ost bewundernswert schon rein in technischer
Beziehung, wegen der Klarheit und Sicherheit ihres Aus- und
Abbaus, wegen der knappen Anschaulichkeit, mit der sie das
Wesentliche als Wesentliches geben, wegen des Feingefühls in
der Verwendung von Rhythmus und Reim.
Aber es sind nicht in erster Reihe diese eigentlich ästhe-
tischen Vorzüge, die Uhland volkstümlich gemacht habeu.
Zunächst hat ja ein großes Teil zu seiner Popularität die
Achtung vor dem Politiker beigetragen, vor dem Manne, der
in den Kämpfen der Zeit mit so maßvoller und doch so be-
geisterter Sprache priesterlich mitwirkend ftand. Dadurch ist
Uhland schnell allbekannt geworden. Daß er aber so volks-
tümlich bleibt, das verdankt er dem echt nationalen Gehalt
in seinem Blute und seiner prächtigen dichterischen Wahrhaftig-
keit. Wie weit sind seine „altdeutschen" Gestalten von dem
Maskeradenkram der Baumbach-Wolffschen Singerei unserer
Tage entfernt. Und doch findet der Deutsche der Gegenwart
sein Fühlen wieder in ihnen, seine besondere Stammes-
eigenart des Empfindens. Er findet es hier wieder, weil
dieses von Ahnen über Ahnen her festgewurzelte uud somit
so Vielen von uns gemeinsame Empfinden gerade iu Uhlaud
wie durch einen „Atavismus" außerordentlich kräftig war.
Und wie kernhast wahrhaftig war dieser Schwabe in seiner
mätzchenlosen Poesie. Wer ihn daraufhin lieben lernen will,
der braucht ihn noch gar nicht eiumal mit Heine, der kann
ihn mit einem Dutzend Hochgeachteter auf dem Parnaß ver-
gleichen: er wird bei Gedichten nur Weniger so fest wie bei
den späteren Uhlands davon überzeugt sein können, daß alles
poetische Kokettiren vom Berfasser zehn Meilen weit fern lag.
Wir begrüßen die vorliegende Ausgabe mit Freude. Sie
ist sauber gedruckt und ausgestattet, sie ist billig, und die Aus-
wahl des Gebotenen ist gut. Nach einer recht gelungenen Ein-
leitung über Leben und Wirken Uhlauds eröffnen die „Gedichte"
die Sammlung, dann folgen die beiden Dramen „Ernst. Herzog
! von Schwaben" und „Ludwig Üer Baier" sowie vierzehn drama-
! tische Entwürse. Der dritte bis sünstc Band sind meist Sagen-
forschnngen gewidmet: wir begegnen dem „Ntythus von Thor
nach nordischen Ouellen", Teilcn aus der hinterlassenen Ab-
handlung über Odin, Stücken aus den Vorlesungen über
Sagengeschichte der germanischen und romanischen Pölker, der
Abhandlnng über das altfranzösische Epos und einigen der
Vorlesungen über Geschichte der deutschen Poesie im Mittel-
alter, von denen auch der sünfte Band neben Sagenstudien noch
einiges bringt. Der sechste giebt die Schrift über Walther von
der Vogelwcide nnd drei der Vorlesungen über Geschichte
der Leutschen Dichtkunst im l ö. und 16. Iahrhundert. Daß
Ler Herausgcber von den politischen Reden Uhlands nichts
wiedergegeben hat, bedauern wir doch. „Der Leser würden
jetzt nach mehr als vierzig Jahren nur noch wenige sein", so
sagt er, „welchc, wo nicht Sympathie, so doch wenigstens
historische Gerechtigkeit für diese Erzeugnisse einer völlig
anders gearteten Zeit haben möchten." Aber nicht ihres Jn-
halts wegen hätten wir einiges davon hierher gewünscht, son-
dern ihrer Form wegen: dcnn eine Vorstellnng vom Redner
Uhland würde gewißlich jeder gern gewinnen, der einmal seine
Werke sich anschasst.
Mögen derer, die das thun, recht viele sein! Denn unsere
Gegenwart bestütigt das Urteil der Zeitgenossenschaft Uhlands:
pflegt und liebt ihn, er verdient's.
Aus den Vorbergen. Novellen von Paul Heyse.
lBerlin, Bessersche Buchhandlung.t
Paul Heyse gehört zu den Dichtern, deren nene Werte
wir meist mit sehr gemischten Empfindungen aus der Hand
legen. Wir schätzen so vieles an diesem Dichter, daß uns
das jüngst-deutsche Verspotten seiner Bücher widerwärtig
sein würde, auch wenn es in anständigerm Tone geschähe,
aber wir sind wedcr im Stande, gegen das immer deutlichere
Hervortreten der Schwächen und Mängel seines Schaffens
die Augen zu verschließen, noch in seiner Polemik gegen die
Kunst der Gegenwart die große Oberflächlichkeit des Stand
punktes als große Höhe des Standpunktes gelten zu lassen.
Diesmal wissen wir uns nicht besser zu belfen, als dadurch,
daß wir auch an dieser Stelle ausnahmsweise einmal einen
fremden Kritiker seine Meinungsaussprache wiederholen lassen.
Die folgende Beurteilung giebt in der „Kölnischen Zeitung"
Perfall, ein Mann also, der durch seinen Kampf gegen die Aus
wüchse der „Moderne" wohl voc dem Verdachte des „Jüngster
tums" gefeit sein wird. „Der Titel bezeichnet als Hand
lungsort der vier Erzählungen jene Gegend Baierns, die,
reich an anmutigen Landschasten, sich dicht vor der langen
Alpenkette hinzieht und in ihren Bewohnern und deren Art
schon nähere Verwaudtschaft mit dem eigentlichen Hochländer
als nnt dem Flachlaudsbewohner zeigt. Paul Heyse, der
bekanntlich seit langen Jahren in München lebt, kennt die
Gegend sehr gut und bekundet dies in mancherlei Schilderungen
und Hinweisen auf typische Sitten. Es liegt aber in seinem
Wesen, daß er in einen Volkscharakter nicht so tief eindringt,
das besondere Empfinden und dessen Ausdruckssormen nichr
so scharf wiedergiebt, wie man es von den bekannten Schilderern
solchen dörflichen Volkslebens gewohnt ist. Seine weiblichen
Figuren, um die es sich vor allem handelt, sind trotz mancher
sogar sehr realistischen Züge doch mit Empfindungsweisen
ausgestattet, die sich mit der wirklichen Bolksart nicht genan
decken. Aussallend ist der vorwiegend düstere Jnhalt dieser
neuen Heyseschen Novellen. Eine Geschichte, wie »Xaverl«,
! würde, rührte sie von einem neuerer Richtung verdächtigen
Dtcbtung.
* Scböne Lttcrstur. XIV.
Uhlands gesammelte IVcrke. Jn sechs Bändeu. Mit ^
einer biograPhisch-literarhistorischen Einleitung von Hermann
Fischer. (Stuttgart, I. G. Cotta, Leinenbde. 6 Mk., Halb-
franzb. 9 Mk.)
Wer zu Uhlands Gedichten mit gereifterem Urteil zurüä-
kehrt, nachdem er sich längere Zeit mit diesen Freunden seiner
! Jünglingszeit nicht beschäftigt hat, wird ihnen anders gegen-
überstehen, als ehedem. Er wird nicht mehr so oft, wie er
wohl früher gethan, auch in Uhlands rein lyrischen Gedichten
Schöpfungen höchster Art erblicken: er wird finden, daß etwa
Mörike, den er doch früher wohl niedriger eingeschätzt, aus
diesem Gebiete größer sei als Uhland. Das halb mystische
Offenbaren von Seelentiefen durch das Wort, oft gar nicht
durch das leichtfließende sondern das schier stammelnde Wort,
die Lyrik als ursprünglicher Reflexlaut, als „Ausdruck", diese
feinste Kunst dichterischer Charakteristik des Jnnenlebens hat
Uhland selten erreicht. Nicht etwa, weil er sie, wie das z. B.
Platen und die Plateniden gethan, nicht verstanden und also
auch nicht erstrebt hätte — seine Werke beweisen oft das Gegen-
teil —, sondern weil seine Phantasie zu langsam arbeitete, als
daß sie die immer nur flüchtigen Einblicke in die letzten Kammern
des eigenen Jchs wie mit einem Blitzbild hätte festhalten können.
Wo es nicht Beobachtungen am Jnnenleben gleichsam im Fluge
zu erhaschen, wo es galt, einen ruhig Stand haltenden Stofs,
aus Sage oder Geschichte vielleicht, gemächlich zu pflegen, bis
er Früchte trüge, da aber war Uhland wahrhaft groß. Seine
Romanzen und Balladen bleiben auch sür den anspruchsvollsten
Kennergeschmack ost bewundernswert schon rein in technischer
Beziehung, wegen der Klarheit und Sicherheit ihres Aus- und
Abbaus, wegen der knappen Anschaulichkeit, mit der sie das
Wesentliche als Wesentliches geben, wegen des Feingefühls in
der Verwendung von Rhythmus und Reim.
Aber es sind nicht in erster Reihe diese eigentlich ästhe-
tischen Vorzüge, die Uhland volkstümlich gemacht habeu.
Zunächst hat ja ein großes Teil zu seiner Popularität die
Achtung vor dem Politiker beigetragen, vor dem Manne, der
in den Kämpfen der Zeit mit so maßvoller und doch so be-
geisterter Sprache priesterlich mitwirkend ftand. Dadurch ist
Uhland schnell allbekannt geworden. Daß er aber so volks-
tümlich bleibt, das verdankt er dem echt nationalen Gehalt
in seinem Blute und seiner prächtigen dichterischen Wahrhaftig-
keit. Wie weit sind seine „altdeutschen" Gestalten von dem
Maskeradenkram der Baumbach-Wolffschen Singerei unserer
Tage entfernt. Und doch findet der Deutsche der Gegenwart
sein Fühlen wieder in ihnen, seine besondere Stammes-
eigenart des Empfindens. Er findet es hier wieder, weil
dieses von Ahnen über Ahnen her festgewurzelte uud somit
so Vielen von uns gemeinsame Empfinden gerade iu Uhlaud
wie durch einen „Atavismus" außerordentlich kräftig war.
Und wie kernhast wahrhaftig war dieser Schwabe in seiner
mätzchenlosen Poesie. Wer ihn daraufhin lieben lernen will,
der braucht ihn noch gar nicht eiumal mit Heine, der kann
ihn mit einem Dutzend Hochgeachteter auf dem Parnaß ver-
gleichen: er wird bei Gedichten nur Weniger so fest wie bei
den späteren Uhlands davon überzeugt sein können, daß alles
poetische Kokettiren vom Berfasser zehn Meilen weit fern lag.
Wir begrüßen die vorliegende Ausgabe mit Freude. Sie
ist sauber gedruckt und ausgestattet, sie ist billig, und die Aus-
wahl des Gebotenen ist gut. Nach einer recht gelungenen Ein-
leitung über Leben und Wirken Uhlauds eröffnen die „Gedichte"
die Sammlung, dann folgen die beiden Dramen „Ernst. Herzog
! von Schwaben" und „Ludwig Üer Baier" sowie vierzehn drama-
! tische Entwürse. Der dritte bis sünstc Band sind meist Sagen-
forschnngen gewidmet: wir begegnen dem „Ntythus von Thor
nach nordischen Ouellen", Teilcn aus der hinterlassenen Ab-
handlung über Odin, Stücken aus den Vorlesungen über
Sagengeschichte der germanischen und romanischen Pölker, der
Abhandlnng über das altfranzösische Epos und einigen der
Vorlesungen über Geschichte der deutschen Poesie im Mittel-
alter, von denen auch der sünfte Band neben Sagenstudien noch
einiges bringt. Der sechste giebt die Schrift über Walther von
der Vogelwcide nnd drei der Vorlesungen über Geschichte
der Leutschen Dichtkunst im l ö. und 16. Iahrhundert. Daß
Ler Herausgcber von den politischen Reden Uhlands nichts
wiedergegeben hat, bedauern wir doch. „Der Leser würden
jetzt nach mehr als vierzig Jahren nur noch wenige sein", so
sagt er, „welchc, wo nicht Sympathie, so doch wenigstens
historische Gerechtigkeit für diese Erzeugnisse einer völlig
anders gearteten Zeit haben möchten." Aber nicht ihres Jn-
halts wegen hätten wir einiges davon hierher gewünscht, son-
dern ihrer Form wegen: dcnn eine Vorstellnng vom Redner
Uhland würde gewißlich jeder gern gewinnen, der einmal seine
Werke sich anschasst.
Mögen derer, die das thun, recht viele sein! Denn unsere
Gegenwart bestütigt das Urteil der Zeitgenossenschaft Uhlands:
pflegt und liebt ihn, er verdient's.
Aus den Vorbergen. Novellen von Paul Heyse.
lBerlin, Bessersche Buchhandlung.t
Paul Heyse gehört zu den Dichtern, deren nene Werte
wir meist mit sehr gemischten Empfindungen aus der Hand
legen. Wir schätzen so vieles an diesem Dichter, daß uns
das jüngst-deutsche Verspotten seiner Bücher widerwärtig
sein würde, auch wenn es in anständigerm Tone geschähe,
aber wir sind wedcr im Stande, gegen das immer deutlichere
Hervortreten der Schwächen und Mängel seines Schaffens
die Augen zu verschließen, noch in seiner Polemik gegen die
Kunst der Gegenwart die große Oberflächlichkeit des Stand
punktes als große Höhe des Standpunktes gelten zu lassen.
Diesmal wissen wir uns nicht besser zu belfen, als dadurch,
daß wir auch an dieser Stelle ausnahmsweise einmal einen
fremden Kritiker seine Meinungsaussprache wiederholen lassen.
Die folgende Beurteilung giebt in der „Kölnischen Zeitung"
Perfall, ein Mann also, der durch seinen Kampf gegen die Aus
wüchse der „Moderne" wohl voc dem Verdachte des „Jüngster
tums" gefeit sein wird. „Der Titel bezeichnet als Hand
lungsort der vier Erzählungen jene Gegend Baierns, die,
reich an anmutigen Landschasten, sich dicht vor der langen
Alpenkette hinzieht und in ihren Bewohnern und deren Art
schon nähere Verwaudtschaft mit dem eigentlichen Hochländer
als nnt dem Flachlaudsbewohner zeigt. Paul Heyse, der
bekanntlich seit langen Jahren in München lebt, kennt die
Gegend sehr gut und bekundet dies in mancherlei Schilderungen
und Hinweisen auf typische Sitten. Es liegt aber in seinem
Wesen, daß er in einen Volkscharakter nicht so tief eindringt,
das besondere Empfinden und dessen Ausdruckssormen nichr
so scharf wiedergiebt, wie man es von den bekannten Schilderern
solchen dörflichen Volkslebens gewohnt ist. Seine weiblichen
Figuren, um die es sich vor allem handelt, sind trotz mancher
sogar sehr realistischen Züge doch mit Empfindungsweisen
ausgestattet, die sich mit der wirklichen Bolksart nicht genan
decken. Aussallend ist der vorwiegend düstere Jnhalt dieser
neuen Heyseschen Novellen. Eine Geschichte, wie »Xaverl«,
! würde, rührte sie von einem neuerer Richtung verdächtigen