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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 17 (1. Juniheft 1893)
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Tritonus: Lieder und Liederkomponisten
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0267

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wiederzugeben, während seine Gesangstimme, mit der
vielsagenden Tonsprache des Klaviers verglichen, nur einen
allerdings meist höchst charakteristischen Kontrapunkt dazu
bilded Man betrachte daranfhin etwa die solgenden Lieder:
den „Nnßbaum", „Jch hab in mich gesogen den Frühling,"
„Es zog eine Hochzeit den Berg entlang," „Am leuchtenden
Sommermorgen".

Blicken wir nun am Ende unserer Wanderung zurnck
auf die reiche Liederfülle, die in einem Zeitraum von
kanm hundert Jahren ausgeblüht ist, auf die verschiedenen
Gattungen, die sich abgezweigt haben, ja lassen wir selbst die
durch Zumsteeg und Löwe ausgebildete „Ballade" gelten,
die, beiläufig bemerkt, im Grunde kein eigentlich musikalisches
Kennzeichen für sich hat, denn durch das Zuthun von
Musik zu einer poetischen entsteht noch keine selbständig
mufikalische Gattung — in der That, so tritt eine Be-
sorgnis an uns heran. Haben wir uns nicht nachgerade
ausgesungen? Wie denn der Mensch sa schließlich mit
Allem fertig wird, selbst mit Lenz und Liebe.

Angesichts der zahllosen „Lieder für eine Singstimme mit
Begleitung des Pianoforte", die in Musikalienhandlungen
einen begehrten Artikel bilden, sollte man es beinahe
wünschen, angesichts jener schönen Hefte, auf deren Titel-
blatt wohl das gebrannte Lockenhaupt der Schöpfer zum
Beweise dafür angebracht ist, daß sie genial sind. Nein,

eine vollentwickelte künstlerische Kraft und Eigenart gehört
dazu, um auch im Liede, dieser anscheinend so einfachen,
anspruchslosen Gattung, Vollwichtiges zu leisten! Das
Lied ist gewiß eben so wenig ein Empfangssalon einer
sich „gemütvoll" gebenden musikalischen Nichtigkeit, wie
etwa das Streichquartett, das ja für die Beurteilung kom-
positorischer Leistungsfähigkeit für maßgebend gilt. Sehe
ich doch bei der Aufsorderung, einmal eines zu schreiben,
von too „jetztzeitlichen" Liederkomponisten 9 9 erschrocken
die Flucht ergreisen, selbst gefeierte. So gewahren wir
denn, das gegenwärtige Schaffen im Liede überblickend,
daß es fast immer gerade die begabtesten und leistungs-
fähigsten Komponisten im Allgemeinen sind, die eben auch
hier sich hervorthun. Nennt man die gewichtigsten Namen,
so sind damit unter den gegenwärtigen Komponisten zu-
gleich die bezeichnet, die auch im Liede an dcr Spitze stehen.
Wie Herrliches hat Brahms auch in anderen musikalischen
Gattungen geschaffen. Draesek'e ist keineswegs allein Lieder-
komponist, im Gegenteil, er giebt uns nur gelegentlich Lieder.
Von Tschaikowsky, von Grieg, auch vou Rubinstein gilt
ähnliches. Hugo Wolf allerdings, der hochbegabte und
noch lange nicht genügend bekannte junge Liederkomponist,
hat sich, soviel wir wissen, bisher wenigstens fast aus-
schließlich auf diesem einen Gebiete bethätigt.

Trltonus.

Mlgemeineres. IKundscKkM.

* Ikelnes Deutsebtum tn der Ikunst. (Schluß.)

Von dem Jammer der deutschen Architektur ist nicht
viel zu sprechen nötig. Ein Blick auf unsere Bauten aus
dem letzten Jahrhundert und die gegenwärtige Ratlosigkeit
zeigt klarer, als in vielen Bänden auseinandergesetzt werden
könnte, wie diese Kunst schlechterdings zum geistigen Hunger-
tode verdammt ist, wenn nicht ein einseitiges, aber leben-
diges Volksbewußtsein ihr den naturgemäßen Ausdruck
giebt, der dann ihr Stil und ihre charakteristische Schönheit
wird. Alle Anleihen von rechts unv links, aus Gegen-
wart und Vergangenheit haben der Architektur die lebendige
Volksseele nicht ersetzen können. Wem das noch nicht
einleuchtet, der überlege Folgendes. Auf der Weltaus-
stellung in Chieago war ein Gebäude zu errichten, welches
ohne Weiteres, gewissermaßen nüt einem einzigen Überblick
sür charakteristisch deutsch gelteu durfte, nicht nur bei den
fremden Völkern, die sich dort versammeln, sondern namentlich
vor unserem eigenen Gewissen. Dem Baumeister Radke
war die Ausgabe zugefallen, und er hat sie, wie ich glaube,
so gut gelöst, daß künftig vielleicht alle fremden Besucher
der Ausstellung mit dem deutschen Namen die Vorstellung
dieses Hauses verbinden werden. Wie aber geschah das?
Es ist ein Haus aus der Blütezeit unseres Städtewesens
— unten Stein und oben Fachwerk, in breiter Lagerung
mit einigen Türmchen auf dunklem Dache, nicht vhne
einigen Farbenschmuck, aber ohne Ziererei und Überladung,
denn der gute Geschmack des Baumeisters hat das Seinige
daran gethan. Aber ein Blick auf dieses Haus, und wir
^mpfinden nichts von Kunst und Absicht, sondern fühlen
einfach alle unsere natürlichen Jnstinkte sür Traulichkeit

und wohnliches Behagen gesättigt. Dieselbe Empsindung,
die uns erwärmt, wenn wir die alten niedersächsischen
Städte, namentlich das traute Hildesheim oder Goslar,
oder wenn wir Nürnberg durchschreiten. Das w ar deutsche
Architektur, als ein starkes Deutschbewußtsein sich unge-
zwungen nach seiner Art auslebte, und wir sühlen deutlich
genug, daß eine eben aufs Neue erstarkende Volksseele
keinen wesentlich andern, höchstens einen nach dem Bau-
material veränderten Ausdruck suchen und finden würde.
Aber ohne eine stärkere deutsche Volksseele wird keine
deutsche Baukunst sein, und vorher müssen wir deutscher
sein, ehe wir deutscher bauen können — über diese un-
erbittliche Notwendigkeit hilft kein Kopfzermartern der
genialsten Baumeister hinweg.

Und nun endlich die Bildhauerei — trostloser Gedanke!
Sie ist mit ihrer Nacktheit ein frierender Fremdling in
deutschen Landen, das deutsche Volk geht srostig an ihr
vorüber, und ihre Jünger müssen unter allen deutschen
Künstlern das Hungern am besten verstehen. An ihr wird
der Bankerott der Antike vollendet, an ihr vor Allem
haben sich Winkelmann und Lessing die Rute verdient, mit
der man sie dereinst als deutsche Volksverderber züchtigen
wird. Wußten diese Herren nichts von Peter Vischer,
Beit Stoß und den andern Meistern deutscher Bildhauerei?
O sicherlich, so gut unsere gelehrten Humanisten heutzutage
davon wissen. Aber wie hätten sie sich denn bei der
deutschen »Barbarei« aufhalten sollen, da ihre philologisch
verdorrten Herzen von dem kalten Rausche der Antike
ergriffen waren! Wirklich ein kalter Rausch, man kann
es nicht anders bezeichnen; der Kunstsinn eines ganzen

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