Man fühlt, SchuLerts Schaffen überblickend, daß dieser ^
Meister durch all das feinfühlige, den Sinn der Dichtung
möglichst treu wiederspiegelnde musikalische Einzelwerk
gewissermaßen die Grenzen des musikalischen Ausdrucks im
Liede absteckt — wie Beethoven, dem er in allem nach-
eiferte, im Jnstrumentalen. Die sechshundert Lieder von
ihm durchblätternd, stoßen wir hin und wieder allerdings
noch auf ganz frei gestaltete, wie z. B. den bekannten
„Doppelgänger". Diese find als ganz selbständige szenisch-
rezitativische Gesänge anzusehen. Jm Klavier wird da
die Stimmung einheitlich zusammengefaßt, während der
Gesang darüber wie aufgesetzte Lichter und charakteristische
Farbenpunkte sich ausnimmt. Die Romanzen, die sich
ziemlich zahlreich vorfinden, fallen unter das Strophenlied.
Das deutsche Kunstlied hat nach Schubert in Schu-
mann und Brahms noch zwei große, an allgemeiner
musikalischer Kraft Schuberten ebenbürtige Meister gefunden.
Auch des bescheideneren, in seiner Art aber gewiß vor-
trefflichen Robert Franz sei gedacht. Sie alle haben die
überlieferte Form im Wesentlichen beibehalten. Besonders
Brahms hält ausfallend hartnäckig am Strophischen fest.
Hat er doch mit Vorliebe ausgesucht schlichte volkstümliche
Texte, u. a. auch eine Reihe aus dem „Wunderhorn" und
aus Herders „Stimmen der Völker" komponirt. Schumann
that eine Fülle innerer musikalischer Feinheiten hinzu, ohne
an der Form selbst zu verändern. Während bei Schubert
und auch gewöhnlich bei Brahms Gesang und Klavier-
begleitung fein aneinander abgewogen sind und in einem
möglichst ausgeglichenen Verhältuis zu einander stehen,
sucht Schumann den lyrischen Ausdruck des Gedichtes, so
weit es ihm irgend möglich ist, rein instrumental
wieder zu geben. Seine Begleitung ist darin dem Wag-
nerschen Orchester nicht unähnlich. Sie kann oft genug
selbständig, ohne Gesang, als Musikstück für fich genossen
werden — man denke an Lieder wie: „2m Rhein, im
heiligen Strome", „Das ist ein Flöten und Geigen",
„Die alten bösen Lieder". Durchweg vortresflich, mit
feinstem Verständnis hat er die Deklamation chehandelt,
ganz musterhaft z. B. in der „Dichterliebe". Alle charak-
teristischen Wortakzente weiß er hier melodisch abzuschatten.
Noch als eine Schumann ganz besonders kennzeichnende
Eigentümlichkeit heben wir hervor, daß er den Vers in
möglichst lockere Melismen einzukleiden liebt, gewöhnlich
kurze sinnige Motivchen benutzend, die so erfunden find,
daß sie erweiterungs- und umbildungsfähig sind, wenn die
Reimschlüsse es erheischen. Am Ausmalen der Stimmung,
die das Gedicht anregt, läßt Schumann den Gesang ver-
hältnismäßig selten teilnehmen. Das ist ihm zunächst Sache
des Vorspiels. Wie ungemein charakteristisch versteht er
es zu gestalten! Man sehe stch nur u. v. a. das Lied
„Zwielicht" im Eichendorff-Zyklus darauf hin an. Jn
eben so feiner Weise läßt er die Stimmung ausklingen in
den oft sehr ausgedehnten Nachspielen; wie z. B. in dem
schon genannten „Jm Rhein, im heiligen Strome", dann
in „Frauen-Liebe und Leben", besonders in dem letzten
Liede daraus.
Da wie gesagt, die Begleitung bei Schumann meist
das Wichtigste zu sagen hat, so dürfte es wohl angebracht
sein, sie hier überhaupt aus ihr Wesen hin einmal genauer
zu betrachten.
Schumann, das behalte man im Auge, schrieb erst
Lieder, nachdem er zuvor Jahre lang ausschließlich sür
das Klavier komponirt hatte. Seine bedeutendsten Klavier-
werke, die bm-raoII-Sonate, die symphonischen Etüden,
die Kreisleriana, die L-clur-Phantasie, die Novelletten
waren bereits geschaffen. Schumanns harmonische Eigen-
art, die wunderbar reiche Vielstimmigkeit seines Klaviersatzes
war vollständig ausgebildet, als Meister eines selbsteigenen
Klavierstils staud er da. Fußte er doch überhaupt
in seinem gesamten Schafsen auf dem Klavier wie nur
einer. Das Leweisen, nebenbei bemerkt, seine Orchesterwerke,
die vier Symphonien voran, in denen alles klaviermäßig
gedacht und empsunden ist. So ausgerüstet wandte er
sich der Liedkomposition zu, gleich in seinem ersten Lieder-
heft, den „Myrten", nun Meisterwerke bietend.
Wenn wir die Klavi erbegleitung überhaupt,
etwa mit den Liedern van Neefes, Reichhardts, Zelters,
Zumsteegs beginnend, bis zu Schumann hin betrachten,
so gewahren wir, wie ihr ansänglich nur die Aufgabe zu-
fiel, unter der gegebenen Gesangsmelodie die Harmonie zu
vervollständigen in gehaltenen oder gebrochenen Akkorden,
einfachen akkordischen Figuren usw., wobei im Diskant
uicht selten die Melodie unisono oder in Oktaven mitge-
spielt wurde. Dies blieb lauge festes Schema. Der
nächste Schritt in der Entwickelung war, das Klavier
selbständig an der Themenbildung teilnehmen zu lassen,
was wir bei Beethoven so oft finden, z. B. in der be-
kannten „Adelaide". Endlich fing man an, auf dem Klavier
möglichst selbständig den Sinn des Gedichtes auszumalen.
Da galt es z. B. mit einer festgehaltenen charakteristischen
Figur die Grundstimmung des Gedichtes zu malen. Mit
gleichmäßig bewegten Triolen vielleicht das Rieseln des
Baches. Nachahmungen des Waldhorns versuchte man in
Wald- und Jägerliedern, Naturmotive wie Vogelstimmen
(besonders reichlich den Wachtelschlag) suchte man anzu-
bringen usw. Diesen Weg weiter verfolgend, giug man
bald kühner und freier daran, alle feinen Züge des
Gedichtes selbständig zu malen, und schließlich sogar bei
einzelnen vielsagenden Worten tonmalerisch zu verweilen.
So brauchte denn Schumann nur die letzten Schritte zu
thun, indem er, auf dem Klaviere jede dichterische Wendung
nachzeichnend, mehr hier, als im Gesange, sich musikalisch
aussprach. Wenn ihm da auch wohl hin und wieder
Übertreibungen unterlaufen — in den meisten Fällen
gelingt es ihm vortrefflich, auf dem Klavier gerade die
intimsten Gedanken, Bilder und Beziehungen des Textes
— 2SS —
Meister durch all das feinfühlige, den Sinn der Dichtung
möglichst treu wiederspiegelnde musikalische Einzelwerk
gewissermaßen die Grenzen des musikalischen Ausdrucks im
Liede absteckt — wie Beethoven, dem er in allem nach-
eiferte, im Jnstrumentalen. Die sechshundert Lieder von
ihm durchblätternd, stoßen wir hin und wieder allerdings
noch auf ganz frei gestaltete, wie z. B. den bekannten
„Doppelgänger". Diese find als ganz selbständige szenisch-
rezitativische Gesänge anzusehen. Jm Klavier wird da
die Stimmung einheitlich zusammengefaßt, während der
Gesang darüber wie aufgesetzte Lichter und charakteristische
Farbenpunkte sich ausnimmt. Die Romanzen, die sich
ziemlich zahlreich vorfinden, fallen unter das Strophenlied.
Das deutsche Kunstlied hat nach Schubert in Schu-
mann und Brahms noch zwei große, an allgemeiner
musikalischer Kraft Schuberten ebenbürtige Meister gefunden.
Auch des bescheideneren, in seiner Art aber gewiß vor-
trefflichen Robert Franz sei gedacht. Sie alle haben die
überlieferte Form im Wesentlichen beibehalten. Besonders
Brahms hält ausfallend hartnäckig am Strophischen fest.
Hat er doch mit Vorliebe ausgesucht schlichte volkstümliche
Texte, u. a. auch eine Reihe aus dem „Wunderhorn" und
aus Herders „Stimmen der Völker" komponirt. Schumann
that eine Fülle innerer musikalischer Feinheiten hinzu, ohne
an der Form selbst zu verändern. Während bei Schubert
und auch gewöhnlich bei Brahms Gesang und Klavier-
begleitung fein aneinander abgewogen sind und in einem
möglichst ausgeglichenen Verhältuis zu einander stehen,
sucht Schumann den lyrischen Ausdruck des Gedichtes, so
weit es ihm irgend möglich ist, rein instrumental
wieder zu geben. Seine Begleitung ist darin dem Wag-
nerschen Orchester nicht unähnlich. Sie kann oft genug
selbständig, ohne Gesang, als Musikstück für fich genossen
werden — man denke an Lieder wie: „2m Rhein, im
heiligen Strome", „Das ist ein Flöten und Geigen",
„Die alten bösen Lieder". Durchweg vortresflich, mit
feinstem Verständnis hat er die Deklamation chehandelt,
ganz musterhaft z. B. in der „Dichterliebe". Alle charak-
teristischen Wortakzente weiß er hier melodisch abzuschatten.
Noch als eine Schumann ganz besonders kennzeichnende
Eigentümlichkeit heben wir hervor, daß er den Vers in
möglichst lockere Melismen einzukleiden liebt, gewöhnlich
kurze sinnige Motivchen benutzend, die so erfunden find,
daß sie erweiterungs- und umbildungsfähig sind, wenn die
Reimschlüsse es erheischen. Am Ausmalen der Stimmung,
die das Gedicht anregt, läßt Schumann den Gesang ver-
hältnismäßig selten teilnehmen. Das ist ihm zunächst Sache
des Vorspiels. Wie ungemein charakteristisch versteht er
es zu gestalten! Man sehe stch nur u. v. a. das Lied
„Zwielicht" im Eichendorff-Zyklus darauf hin an. Jn
eben so feiner Weise läßt er die Stimmung ausklingen in
den oft sehr ausgedehnten Nachspielen; wie z. B. in dem
schon genannten „Jm Rhein, im heiligen Strome", dann
in „Frauen-Liebe und Leben", besonders in dem letzten
Liede daraus.
Da wie gesagt, die Begleitung bei Schumann meist
das Wichtigste zu sagen hat, so dürfte es wohl angebracht
sein, sie hier überhaupt aus ihr Wesen hin einmal genauer
zu betrachten.
Schumann, das behalte man im Auge, schrieb erst
Lieder, nachdem er zuvor Jahre lang ausschließlich sür
das Klavier komponirt hatte. Seine bedeutendsten Klavier-
werke, die bm-raoII-Sonate, die symphonischen Etüden,
die Kreisleriana, die L-clur-Phantasie, die Novelletten
waren bereits geschaffen. Schumanns harmonische Eigen-
art, die wunderbar reiche Vielstimmigkeit seines Klaviersatzes
war vollständig ausgebildet, als Meister eines selbsteigenen
Klavierstils staud er da. Fußte er doch überhaupt
in seinem gesamten Schafsen auf dem Klavier wie nur
einer. Das Leweisen, nebenbei bemerkt, seine Orchesterwerke,
die vier Symphonien voran, in denen alles klaviermäßig
gedacht und empsunden ist. So ausgerüstet wandte er
sich der Liedkomposition zu, gleich in seinem ersten Lieder-
heft, den „Myrten", nun Meisterwerke bietend.
Wenn wir die Klavi erbegleitung überhaupt,
etwa mit den Liedern van Neefes, Reichhardts, Zelters,
Zumsteegs beginnend, bis zu Schumann hin betrachten,
so gewahren wir, wie ihr ansänglich nur die Aufgabe zu-
fiel, unter der gegebenen Gesangsmelodie die Harmonie zu
vervollständigen in gehaltenen oder gebrochenen Akkorden,
einfachen akkordischen Figuren usw., wobei im Diskant
uicht selten die Melodie unisono oder in Oktaven mitge-
spielt wurde. Dies blieb lauge festes Schema. Der
nächste Schritt in der Entwickelung war, das Klavier
selbständig an der Themenbildung teilnehmen zu lassen,
was wir bei Beethoven so oft finden, z. B. in der be-
kannten „Adelaide". Endlich fing man an, auf dem Klavier
möglichst selbständig den Sinn des Gedichtes auszumalen.
Da galt es z. B. mit einer festgehaltenen charakteristischen
Figur die Grundstimmung des Gedichtes zu malen. Mit
gleichmäßig bewegten Triolen vielleicht das Rieseln des
Baches. Nachahmungen des Waldhorns versuchte man in
Wald- und Jägerliedern, Naturmotive wie Vogelstimmen
(besonders reichlich den Wachtelschlag) suchte man anzu-
bringen usw. Diesen Weg weiter verfolgend, giug man
bald kühner und freier daran, alle feinen Züge des
Gedichtes selbständig zu malen, und schließlich sogar bei
einzelnen vielsagenden Worten tonmalerisch zu verweilen.
So brauchte denn Schumann nur die letzten Schritte zu
thun, indem er, auf dem Klaviere jede dichterische Wendung
nachzeichnend, mehr hier, als im Gesange, sich musikalisch
aussprach. Wenn ihm da auch wohl hin und wieder
Übertreibungen unterlaufen — in den meisten Fällen
gelingt es ihm vortrefflich, auf dem Klavier gerade die
intimsten Gedanken, Bilder und Beziehungen des Textes
— 2SS —