ihrem ausbreitenden, verweilenden Grundwesen nach nicht !
damit Schritt halten kann. Man denke nur an Goethes
„Mondlied", von dem wir keine einzige bedeutsame Kom-
position Lesitzen. Es gilt die Grnndstimmung der Dich-
tung in den Rhythmen, Harmoniefolgen und Melodiephrasen
auszudrncken; auf bloße formelle ÜLereinstimmung, auf
rein musikalische Verbrämung des Wort- nnd Versrhythmus
sällt keineswegs das Hauptgewicht.
Jn der That, man kann garnicht ost genug zur Vor-
sicht bei der Teptwahl mahnen; 'denn immer Legegnet man
hier einer naiven Kritiklosigkeit. Machen sich doch nicht
selten die Musiker blindlings darüber her, selbst rhetorische
Dichtungen und wohl gar solche, bei denen aus dein Wege
abstrakter Neslexion lehrhafte Absichten klargestellt werden,
in ihr Prokrustesbett zu zwängen. Ganz sündenfrei in
Betresf der Textwahl dürfte schwerlich ein Liederkomponist
gesprochen werden nnd wär er sonst der berusenstc. Ohne
Kompromisse geht es ja allerdings übcrhaupt nicht ab, wo
zwei an sich verschiedene Künste verbunden sind. So muß
man denn ost genug ein Auge zudrücken.
Der Liederkomponist hat alsv für jede Gefühlswendung
im Gedichte den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu
ersinden, und dabei fest im Auge zu behalten, daß es
darauf ankommt, wirklichen Gesang, durch sich selbst ver-
ständliche, zusammenhängende Tonphrasen zu erfinden.
Ein leitmotivisches Spielen mit kurzatmigen musivischen
Tonfloskeln und jenen so beliebten „ahnenmachenden"
Akkorden, oder womöglich ein einziger molluskenhaster
Modulationsteig mit anfgesetzten Gesangsrosinen, was die
Anhänger des sogenannten „deklamatorischen" Liedes als
endgiltige Lösung, als die „Zukunft des Liedes" ausrufen,
— sie thun es doch nicht. Daß, wie gesagt, in erster
Reihe ein m u sikalisches Kunstwerk zu Stande komme
und den Jnhalt aus sich heraus in klar übersichtlicher
Form gliedere, darauf kommt es in erster Reihe an. Selbst
Textwiederholungen, die durch Wagner doch so verpönt
sind, können aus formalen Gründen nicht immer umgangen
werden, ja sind oft geradezu notwendig, um die musikalische
Wirkung zu steigern. Gar zu genau darf man es selbst
mit der Deklamation nicht immer nehmen. Man wird da hin
und wieder auf Gewaltsamkeiten stoßen, aus Stellen, wo
der Musiker geradezu gezwungen ist, despotisch zu sein,
um überhaupt nicht an seiner Aufgabe zu scheitern. So
hat sich Brahms einmal bequemt, in der Nänie Schillers,
dem musikalischen Prinzipe gehorchend, zu deklamiren:
„Und an der Schwelle noch streng — Rief er zurück
sein Geschenk." Freilich der beste Rat wäre auch hier:
die Liederkomponisten möchten nach Wagners Beispiel sich
zugleich die Texte selbst dichten. Wie der treffliche Peter
Cornelius in Anlehnung an Wagner. Aber derartige
zukunstsmusikalische Forderungen zum Prinzipe erheben, hieße
Ausnahmen zu Regeln machen und verlangen, daß ein
Musiker künftig immer als ein kleiner Normal-Wagner
auf die Welt kommen müsse.
Unser gegenwärtiges Kunstlied ist nach und nach ge-
schichtlich aus dem strophischen Volkslied des fünfzehnten
Jahrhunderts herausgewachsen. Dieses ist sein Grund-
typus geblieben. Als um die Mitte des vorigen Jahr-
hnnderts unsre Literatur so prächtig anfzublühen begann
und besonders auch in Liedern schon vor Goethe zumal
die Hainbündler miteinander wetteiserten, da war auch
die Rückwirkung auf die Musik bald zu spüren. Eine
ganze Anzahl hente fast verschollener Liederkomponisten,
wir nennen nnr den ehrlichen A. P. Schulz, den Freund
Joh. H. Vossens, waren eisrig beflissen, alles mögliche zu
setzen. Aber erst mit Schubert kani ein entscheidender
Wendepunkt in der Entwickelung. Nun spalten sich
Strophenlied und durchkomponirtes Lied in zwei streng
gesonderte Gattungen. Vorher wurde die Melodie unter
knechtischer Herrschast der Sprachmelodie ersunden. Die
melodische Fassung der ersten Strophe galt für alle übrigen,
während die Begleitung nur mehr im Sinne äußerlicher
Spielfreudigkeit verändert — etwa reicher figurirt oder
mit vollgriffigeren Akkorden versehen wurde. Daß ein
annähernd richtiges Verhältnis zwischen Text, Gesang und
Begleitung da höchstens in der ersten Strophe bestehen
konnte, liegt klar. Die Musik mußte, in dieses Schema
eingezwängt, mager genug ausfallen. Aber schon seit
Beethoven, der, obgleich kein eigentlicher Liederkomponist,
gelegentlich, wie in allen Gattnngen, auch hier herrliche
Gaben Leisteuerte, hat sich der Schwerpunkt schnell ver-
schoben. Heute haben wir ein völlig umgekehrtes Ver-
hältnis: der instrumentalen Ausstattung sind alle Schleusen
weit geöffnet, ja nicht selten wird durch einen gar zu
stark ftutenden Überschuß von Musik der Text schier er-
tränkt. Da schallen Einem anspruchsvolle, wie Opern-
szenen gefaßte Gesangsstücke mit auf- und niederrasselnder
Klavieretüdenbegleitung an den Kopf und behaupten, sie
wären Lieder.
Wenden wir uns schnell von dieser Ausartung ab
und betrachten wir das Schubertsche Lied einmal etwas
genauer auf seine Elemente hin. Hier sehen wir die
überlieferte strophische Forni gesanglich und instrumental
beträchtlich erweitert, unbeschadet der durch den Reim
geforderten knappen Gliederung. Schubert fügt, wenn die
Jdee der Dichtung ihn dazu auffordert, sreie szenische
Erweiterungen und knapp gefaßte rezitativische Episoden ein.
Die hiermit von ihm gegebene Form, die wohl immer
mustergiltig bleiben wird, gewinnt dadurch oft eine gewisse
Ähnlichkeit mit cher instrumentalen Rondosorm. Aus
diesem festen formellen Boden wagt Schubert — abge-
sehen von allen selbstverständlichen Modisikationen in den
verschiedenen Strophen — allerhand Erweiterungen. So
rückt er z. B. durch die farbenfreudigsten Modulationen
sein motivisches Material fortwährend in neue Beleuchtung.
— 2SS —
damit Schritt halten kann. Man denke nur an Goethes
„Mondlied", von dem wir keine einzige bedeutsame Kom-
position Lesitzen. Es gilt die Grnndstimmung der Dich-
tung in den Rhythmen, Harmoniefolgen und Melodiephrasen
auszudrncken; auf bloße formelle ÜLereinstimmung, auf
rein musikalische Verbrämung des Wort- nnd Versrhythmus
sällt keineswegs das Hauptgewicht.
Jn der That, man kann garnicht ost genug zur Vor-
sicht bei der Teptwahl mahnen; 'denn immer Legegnet man
hier einer naiven Kritiklosigkeit. Machen sich doch nicht
selten die Musiker blindlings darüber her, selbst rhetorische
Dichtungen und wohl gar solche, bei denen aus dein Wege
abstrakter Neslexion lehrhafte Absichten klargestellt werden,
in ihr Prokrustesbett zu zwängen. Ganz sündenfrei in
Betresf der Textwahl dürfte schwerlich ein Liederkomponist
gesprochen werden nnd wär er sonst der berusenstc. Ohne
Kompromisse geht es ja allerdings übcrhaupt nicht ab, wo
zwei an sich verschiedene Künste verbunden sind. So muß
man denn ost genug ein Auge zudrücken.
Der Liederkomponist hat alsv für jede Gefühlswendung
im Gedichte den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu
ersinden, und dabei fest im Auge zu behalten, daß es
darauf ankommt, wirklichen Gesang, durch sich selbst ver-
ständliche, zusammenhängende Tonphrasen zu erfinden.
Ein leitmotivisches Spielen mit kurzatmigen musivischen
Tonfloskeln und jenen so beliebten „ahnenmachenden"
Akkorden, oder womöglich ein einziger molluskenhaster
Modulationsteig mit anfgesetzten Gesangsrosinen, was die
Anhänger des sogenannten „deklamatorischen" Liedes als
endgiltige Lösung, als die „Zukunft des Liedes" ausrufen,
— sie thun es doch nicht. Daß, wie gesagt, in erster
Reihe ein m u sikalisches Kunstwerk zu Stande komme
und den Jnhalt aus sich heraus in klar übersichtlicher
Form gliedere, darauf kommt es in erster Reihe an. Selbst
Textwiederholungen, die durch Wagner doch so verpönt
sind, können aus formalen Gründen nicht immer umgangen
werden, ja sind oft geradezu notwendig, um die musikalische
Wirkung zu steigern. Gar zu genau darf man es selbst
mit der Deklamation nicht immer nehmen. Man wird da hin
und wieder auf Gewaltsamkeiten stoßen, aus Stellen, wo
der Musiker geradezu gezwungen ist, despotisch zu sein,
um überhaupt nicht an seiner Aufgabe zu scheitern. So
hat sich Brahms einmal bequemt, in der Nänie Schillers,
dem musikalischen Prinzipe gehorchend, zu deklamiren:
„Und an der Schwelle noch streng — Rief er zurück
sein Geschenk." Freilich der beste Rat wäre auch hier:
die Liederkomponisten möchten nach Wagners Beispiel sich
zugleich die Texte selbst dichten. Wie der treffliche Peter
Cornelius in Anlehnung an Wagner. Aber derartige
zukunstsmusikalische Forderungen zum Prinzipe erheben, hieße
Ausnahmen zu Regeln machen und verlangen, daß ein
Musiker künftig immer als ein kleiner Normal-Wagner
auf die Welt kommen müsse.
Unser gegenwärtiges Kunstlied ist nach und nach ge-
schichtlich aus dem strophischen Volkslied des fünfzehnten
Jahrhunderts herausgewachsen. Dieses ist sein Grund-
typus geblieben. Als um die Mitte des vorigen Jahr-
hnnderts unsre Literatur so prächtig anfzublühen begann
und besonders auch in Liedern schon vor Goethe zumal
die Hainbündler miteinander wetteiserten, da war auch
die Rückwirkung auf die Musik bald zu spüren. Eine
ganze Anzahl hente fast verschollener Liederkomponisten,
wir nennen nnr den ehrlichen A. P. Schulz, den Freund
Joh. H. Vossens, waren eisrig beflissen, alles mögliche zu
setzen. Aber erst mit Schubert kani ein entscheidender
Wendepunkt in der Entwickelung. Nun spalten sich
Strophenlied und durchkomponirtes Lied in zwei streng
gesonderte Gattungen. Vorher wurde die Melodie unter
knechtischer Herrschast der Sprachmelodie ersunden. Die
melodische Fassung der ersten Strophe galt für alle übrigen,
während die Begleitung nur mehr im Sinne äußerlicher
Spielfreudigkeit verändert — etwa reicher figurirt oder
mit vollgriffigeren Akkorden versehen wurde. Daß ein
annähernd richtiges Verhältnis zwischen Text, Gesang und
Begleitung da höchstens in der ersten Strophe bestehen
konnte, liegt klar. Die Musik mußte, in dieses Schema
eingezwängt, mager genug ausfallen. Aber schon seit
Beethoven, der, obgleich kein eigentlicher Liederkomponist,
gelegentlich, wie in allen Gattnngen, auch hier herrliche
Gaben Leisteuerte, hat sich der Schwerpunkt schnell ver-
schoben. Heute haben wir ein völlig umgekehrtes Ver-
hältnis: der instrumentalen Ausstattung sind alle Schleusen
weit geöffnet, ja nicht selten wird durch einen gar zu
stark ftutenden Überschuß von Musik der Text schier er-
tränkt. Da schallen Einem anspruchsvolle, wie Opern-
szenen gefaßte Gesangsstücke mit auf- und niederrasselnder
Klavieretüdenbegleitung an den Kopf und behaupten, sie
wären Lieder.
Wenden wir uns schnell von dieser Ausartung ab
und betrachten wir das Schubertsche Lied einmal etwas
genauer auf seine Elemente hin. Hier sehen wir die
überlieferte strophische Forni gesanglich und instrumental
beträchtlich erweitert, unbeschadet der durch den Reim
geforderten knappen Gliederung. Schubert fügt, wenn die
Jdee der Dichtung ihn dazu auffordert, sreie szenische
Erweiterungen und knapp gefaßte rezitativische Episoden ein.
Die hiermit von ihm gegebene Form, die wohl immer
mustergiltig bleiben wird, gewinnt dadurch oft eine gewisse
Ähnlichkeit mit cher instrumentalen Rondosorm. Aus
diesem festen formellen Boden wagt Schubert — abge-
sehen von allen selbstverständlichen Modisikationen in den
verschiedenen Strophen — allerhand Erweiterungen. So
rückt er z. B. durch die farbenfreudigsten Modulationen
sein motivisches Material fortwährend in neue Beleuchtung.
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