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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 9 (1. Februarheft 1893)
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Lose Blätter
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Zeitungsschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0148

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Karikaturen von zwei oder dree Persönüchkeiten haben es
zu einiger Popularität gebracht. Sonst sind die soge-
nannten führenden Männer nur mnerhalb ihres Gaues
bekannt, fast hätte ich gesagt ihrer Dorfgenossenschaft. Es
giebt eine Dorfgenossenschast der Dichter, ihr benachbart
eine der Künstler, weit davon entsernt eine der Fabrikanten,
wieder anderswo die der Jnristein Wenn man Umfrage
hielte, welche Gestalten der Großstadt in allcn diesen
Gauen gleichmäßig bekannt sind, man würde anßer den
Spitzen des StaateS nnr noch ein halbes Dnüend Sckan
spieler und Schanspielerinnen nennen hörcn.

Eine gemeinsame Umgangsform fehlt gänzlich. Kaum
daß die Offiziere und ehemaligen Studenten in ihren
Kreisen einen bestimmten Ton sesthalten. Überall sonst
wird man leicht steif, wenn man formvoll werden will.
Ein Lustspieldichter, der den Ton der Weltstadt Berlin
seinen Personen in den Mund legen wollte, wäre wirklich
in Verlegenheit. Die Sprache hat keinen gemeinsamen
Schliff. Und waS für den Dichter ein Vorzug unserer
Sprache ist, waS nnsere Lyrik, wenn ein großer Lyriker
wieder käme, immer wieder an die Natur knüpfcn könnte,
das ist ein Fehler für die Umgangssorm. . .

In der Lebenshaltung fchlt die gemeinsame Sicher-
heit so sehr, daß innerhalb der einzelnen Gaue währ-
haftig wie auf dem Dorfe der eine dem andern in die
Töpfe gucken muß, wenn er erfahren will, wie er sich zu
kleiden, wie er zu essen und wie er Gäste aufznnehmen
habe. Das ist ein ewiges Nachahmen nnd Versuchen,
Tasten und Markten, bei dem die alte bescheidene Gemüt-
lichkeit sich verliert und die neue Welt sich nur sehr lang-
sam bildet. Sehr bezeichnend ist dafür eben das Fehlen
einer gemeinsamen Zeiteinteilung. . .

Diese Darstcllung wäre übertrieben oder ungerecht,
wenn man nicht sehen wollte, daß auf all diesen großen
nnd kleincn Gebieten eine lebhafte Bewegung herrscht,
dic gewiß mit der Zeit zu einer einheitlichen Berliner
Kultur führen wird, und wenn man leugnen wollte, daß
die hundert Dorfgenossenschaften inmitten einer ganz
großstädtischen Dekoration leben. Ganze Straßen bestehen
ans Palästen, die Architektur ist nicht kleinlich: Vereins-
paläste und Bierpaläste, Hotelpaläste und Konfektions-
paläste ziehen bei Tage und des Abends aller Augen auf
sich, und der Fremde, der Einkäufe zu machen hat, wird
sicherlich ein großes Bild von seiner Hauptstadt nach
Hause tragen. Die Dekoration ist gewaltig, wie sür ein
Ausstattungsstück. Und auch lebendig ist die Dekoration.
Es giebt Punkte in der innern Stadt, wo man glaubt,
der berittene Schutzmann müsse schwindlig werden, wenn
außer den unzähligen Droschken nnd Egnipagen auch noch
die fast ununterbrochene Kette von PstWebahnwagen
klingelnd vorüberrasselt, wenn drüben über den Viadukt
der Stadtbahn die Züge hin- und herbrausen, wenn

vurch die breiten Thüren der Spezialgeschäfte die Scharen
der Käufer hinein- nnd hinausströmen, wenn aus den
Expeditionen der Llusfuhrgeschäftc - hochbeladene Wagen
mit Paketen sorteilen, wenn anf dem nächsten Postamt
sich die Geschästsdiener drängen, als ob es einen Bäcker
laden zn stürmen gelte, wenn die Lentc den Bürgersteig
hinans- nnd hinunterrennen, als ob sie keinen Augenblick
zn verlieren hätten, und wenn drüben die großen Restan
rants dennoch von müßigen Menschen bis auf den letzten
Platz besetzt sind. Ilnd dann kommt ein Moment, wo
Berlin sich in seinem amerikanischen Glanzc zeigt: wenn
die elektrischen Lampen aus der Straße und m den
ösfentlichen Häusern aufleuchten, und dieses merkwürdigc
Licht, grell und nüchtern wie die Neuzeit und zugleich
mystisch wie eine Mondnacht, den Sieg der Menschen-
million nnd der Markmillion über die einzelne Kraft
verkündet. Da steht wohl inanch schreibender Jüngling
schwindelnd still und besinnt sich auf eine hübsche Skizze
aus dem Straßenleben der Weltstadt und beneidet den
reitenden Schutzmann um seinen freien Blick. Dem aber
wird gewiß nicht schwindlig. Der Schutzmann kennt sein
Berlin und überschätzt es nicht."

Für die Nicht-Berliner im Reich ist es immer gnt,
sich Dinge, wie die hier behandelten, wieder vors Auge
zn führen. Die s. Z. von Frenzel geleitete Strömnng,
die Berlin zn einem deutschen Paris machen wollte, hat
immer noch genug Wasser, um diesen nnd jenen guten
Acker zn bedrohen. Borläufig aber bedentete in der That
der Sieg der berliner Kunst und Literatur über die
große deutsche nicht- mehr als eben eine Uberschwemmung.
Und verlicfe sie dann anch wieder: was von dieser Hoch-
slut aus den deutschen Wiescn bliebe, wäre nicbt Hnmus,
sondern Sand.

Kerlcbtlgung. Tie Aufführung von Zudermanns
„H eim at" hat nicht im Dcutschcn sondcrn im Lessing-Theater
stattgefunden; es liegt hier ein Versehen der Redaktion vor,
die in dcm Worte „deutschcs Theater" dcr Handschrift cin
D statt eines d gelcscn hat. Ferncr mnß es in der gleichen
Besprechung heißen: „gegen Dünkel und Beschimpfung zu
wahren" (nicht: zu wehren) und „der humanistische
Pastor"; er ist vom Korrektor zu einem hnmoristischen ver-
wandelt worden. Um das Unglück voll zn machen, das über
diesem Aufsatze gewaltet hat, ist auch noch eine Zeile daraus
weggefallen; es muß an der betreffenden Stelle heißen: „um
die Ausgleichsbcstrebungen des Vaters durch die tokotten-
hafte Frage dcr Künstlerin zn becnden."

NnonV.mer „Illunstkreund" in D. Wenn einem Un-
tersuchungsrichter anonyme Verdächtignngcn vorgelegt werden,
so fragt er: wessen Vorteil könnten sie fördern, nnd zieht ans
der Antwort unter Umständen Schlüsse. Handle ich entsprechend,
so wird der Schleier um den Verfasser der Einsendnngen gegen
K. S. beträchtlich durchsichtiger. Da zudem bei dem namen-
losen „Kunstfreunde" die Gottheit zur Gesinnnngserbärmlichkeit
Dnmmheit gesellt hat, so wird wenigstens meine Zeitschrist auf
seine Bemühungen schon gar nicht hineinfallen. Jch bitte also
den Herrn, seine gelegentliche freiwillige Mitarbeit ans die
andern Blätter, sür die K. S. etwa schreibt, zu beschränken. A.

Leitungsscbau.

Dtcbtung. (Adolf Förneros) H. Raiser, Beil. z. Leipziger
Z. 6. — (Hoesie und Humor) L. U)eißenborn, Iung-
Deutschland, z ff. —

Tbeater. (Das Rrontraktwesen) Dtsches wochenbl. z4-z8 ff.

— (Lleonore Duse> p. Schlenther, Dtsch. Rdsch. 8. —
/Ildustk. (Iung-Deutschland und Iung-Italien auf der Gpern- !

bühne) Ls Reimanu, Magazin 52. — (Die Interpretatwu
einer Sonate) F. Horn, N. Berl. UI. Z. 2. — lSpohr und
die deutschc ;E>eigenschule) N. I. f M. s. — (Grillparzer
und die Tonkunst) La INara, V. Fels z. Meer 5. — (Liniges
über Artikulation) O. Fichtner, Sängerh. ) ff. — (Das
Hartiturenstudium L. Rrausc, N. Z. f. M. ( ff.

Der Mll (Gegas. IKundscbau. Dichtung. Schöne Literatur XIII. — Tbcater. Wichtigere
Schauspielaufsührungen XXXIX. — Musik. Wichtigere Musitaufführungeu IX. Gesangsmeister an
Opernbühneu. — Bilbende Künste. Die^Pflege der modernen Richtungen iu der bildenden Knnst. Vermischtes.

Schriften über Ästhetik i. Lose Zölälter. Leitungssebau.

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