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Volkes ist mit der Zeit daran erfroren. Akademiker aller
Berufe bilden sich noch heute standhaft ein, daß die ruhige
Schönheit klassizistischer Bildwerke ihr ganzes Entzücken
sei -— denn welches Selbstbetruges hätte eine hundert-
jährige Gymnasialherrschast unsere Gebildeten nicht fähig
gemacht, namentlich wenn Eitelkeit und Vornehmthuerei
ihre Lockungen hinzuthun? —, aber daß ihnen diese Bilder
ein innerliches Eigentum, eine Quelle der Wärme und
Traulichkeit geworden seien, werden wohl nur Wenige der
Wahrheit gemäß behaupten können. Für die ungelehrten
Schichten unsres Volkes sind sie natürlich noch weniger,
als dieses Wenige, sie nehmen nichts von ihnen und geben
auch nichts. Und in diesem trostlosen Zustande unsrer
Bildhauerei öffnen sich heute noch kaum die ersten Aus-
sichten auf eine Besserung.
Winter und Frühling stehen nahe bei einander; erlebten
wir es nicht alljährlich — wer möchte in der Erstarrung
der Eiszeit an das holde Wunder des Frühlings glauben?
So dürfen wir anch auf eine neue Blüte unserer Kunst
und Dichtung vertrauen, gerade weil sie jetzt so tief im
Winterschlafe liegen, denn für alle Menschheitsentwicklung
gilt der Satz, daß die Erkenntnis eines Übels bereits die
halbe Besserung ist. Die andere Hälfte giebt der leiden-
schaftliche Wunsch nach Erlösung, die Mittel bieten sich
von selbst, und die Befreiung ist dann zuletzt das Werk
eines Augenblicks. Ein Kind vollbringt dann lächelnd,
was vorher Rieseu nicht bewältigen konnten. Wenn die
Zeit zum Frühling reif geworden ist, dünkt uns das
Tiriliren der steigenden Lerche der würdigste Lobgesang
seiner Wunder und unsrer Seligkeit. So wird auch
die kommende Ofsenbarung des reinen Deutschtums in
der Kunst von kindlichen Seelen vollendet werden, und
die schlichtcsten Sänger werden ihre besten Berkündiger
sein.
So gewiß das ist, so gewiß werden es die meisten
Dichter und Künstler von heute nicht glauben, denn die
Wahrheit ist immer zum Erstaunen einfach, aber der
Weg zur Wahrheit ost verwirrend und voll Müdigkeit.
Die Heutigen finden es unerläßlich, nach Zolas glatten
Rezepten sich zu mürrischen Statistikern menschlicher
Jämmerlichkeit zu erniedrigen, allen Maulwurfsgängen
Jbsens nachzubohren, Tolstojs Juchtenmartyrium wenigstens
in der Phantasie mitzukosten und Nietzsche selbst bis ins
Jrrenhaus zu folgen — der Künstige wird einmal deutsch
d. h. gesund und kindlich auflachen, und alle jene »Geistes-
führer« werden mit einem Schlage Gespenster der ver-
gangenen Nacht sein. Spricht man den Heutigen von
reinem Deutschtum, so haben sie nur eiu überlegenes
Lächeln, denn ihr von allen ausländischen Spitzfindig-
keiten totgehetzter Verstand läßt sie vermuten, daß man
ihnen das hohle Pathos Wildenbruchscher Hohenzollern-
Fanfaren oder sonst irgendwelchen »patriotischen« Rede-
klang aufnötigen wolle. Sie sind noch der gröbsten
Mißverständnisse fähig und können nicht begreifen, daß es
sich nicht um »Patriotismus« (in Anführnngszeichen),
sondern um die Wiedergeburt der deutschen Volksseele
handelt, nächst Gott des einzigen Suveräns, von dem
wir Deutschen alle ohne Ausnahme das Richtmaß unserer
Thaten zu nehmen haben, des einzigen Suveräns, der zu
deutschen Dichtern und Künstlern sagen kann und wird:
Wenn's Euch nicht paßt, Euch nach mir zu schicken, so
schüttelt den Staub von Euren Füßen und geht — ich
habe Euch verworfen!
Dicbtung.
* Scböne Ltleratur. XX.
Der Hsarrer von Breitendors. Roman in drei
Bänd en von Wilhelm von Polenz. (Berlin, F. Fontane
k Co., 9 M.)
Wieder einer jener Romane, mit denen nun endlich auch
die deutschen Schriftsteller wichtige Fragen der Gegenwart
literarisch zu bewültigen suchen. Die kirchlichen Verhältnisse
des Protestantismus stehen in der Mitte des Werks.
Jm Glauben und Vertrauen nach den ersten Kämpsen
seiner Stndienzeit gefestigt, tritt der Psarrer Gerland voll
ehrlicher Begeisterung für seinen Beruf in sein Amt als
Landpfarrer ein, und nun muß der Mann, der bisher nur ein
Stubengelehrter war, mit den Dingen der Wirklichkeit sich
auseinandersetzen. Und er blickt in eine Welt, die ihn wenig
erfreuen kann: Schein und Wesen, Ansehen und innerer Wert
decken sich nur selten bei den Gliedern seiner Gemeinde und
vielleicht seltener noch bei seinen Amtsbrüdern. Alte Zweifel
wachsen unter dem Einflusse neuer Menschen und Ersahrungen
wieder in Gerland heraus, nene Probleme des abstrakteren
Denkens wie des praktischen Lebens treten hinzu, Zwistigkeiten
mit Gliedern der Gemeinde und Vorgesetzten beginnen und
wirken fort: derselbe Gerland, der im Beginne der Handlung
die Bekehrung des atheistischen Doktors Haußner als seine
Hauptaufgabe betrachtet, taust am Schlusse des Buchs zwar
dessen Tochter, seine Braut, die aus innerem Drange die
Taufe begehrt, verläßt aber selber das Predigeramt. „Jn
wunderlichen Schlangenwindungen war er zu diesem Punkte
gelangt. Nun stand er, äußerlich betrachtet, wieder da, wo er
vor Jahren schon gewesen. Und doch ein ganz anderer!
Zwar ein abtrünniger Priester war er, und zum Fachtheologen
anf immer verdorben — geschieden sür alle Zeit von der
osfiziellen Kirche — aber im Jnnern war etwas herangewachsen
in den letzten Jahren, ein Ergebnis schwerer Kämpse: die
Frömmigkeit."
Was der Verfasser unter diesem Begriffe versteht, sagt er
an anderer Stelle: „Frömmigkeit war eben nicht ein Gut, das
man erwerben und besitzen konnte, wie er früher gewähnt; die
wahre Frömmigkeit lag im Suchen. Fromm waren nicht die,
welche in den Augen der Welt dasür galten, nicht die aus den
Resultaten fremden Ringens und Denkens bequem Ausruhenden,
nicht die, welche, von Orthodoxie umpanzert, in ihrer Recht-
gläubigkeit erstarrten. Nein! Die wahrhaft Frommen, das
waren die allzeit Zweifelnden und aus Zweifeln sich zu neuem
Glauben Emporringenden, die Ungenügsamen, Durstigen, die
Tiefbohrenden und Wühlenden, deren Glück im Suchen bestand."
Polenz selber läßt seinen Helden in diesem Suchen ungefähr
dort Halt machen, wo Egidy Halt gemacht hat, dem das Buch
gewidmet ist — da nicht das Wo des Standpunkts, sondern
das Wie, das zu irgend einem Standpunkte führt, so entschieden
als das Wesentliche der „Frömmigkeit" bezeichnet wird, dars
man ihm daraus kaum einen Vorwurf machen. Aber den
gedanklichen Wert des Buchs können wir trotzdem nicht
gar hoch anschlagen. Die Schärfe der logischen Folgerungen
ist dazu nicht schneidend genug. Auch werden uns die Fäden,
die in der Seele des Helden sich knüpfen und lösen, trotz
reichlicher Worte darüber nicht klar genug vorgelegt.
Das Schwergewicht der Erzählung liegt in der Schilderung
der protestantischen Geistlichkeit. Sie scheint von großer
Sachkenntnis zu zeugen —: leider, denn sie bietet uns so
überaus Unerquickliches, daß es diesmal ohne schwere Proteste
von Seiten der Theologen kaum abgehen dürste. Aber sie
nimmt sür sich ein dnrch das Mittel der Anschaulichkeit: es
8"
— 2ör —