deshalb in den Reim stellte. Auch in den Reimen »Thal«
— »einmal«, »Flnß« und »Kuß« ergiebt sich ein Ausruhen
der Empsindungsbewegung auf dem Rcimlaut; die Em-
pfindung macht einen Absatz, der mit einem Atemholen des
Redners zusammenfallen würde; und dieses körperliche
Atemholen, das je nach unsrer Leidenschaft bald hastiger,
bald ruhiger ist, scheint hier den rnhig-regelmäßigen Atem-
zügen eines Mannes zu entsprechen, der entlastet nnd fried-
lich im Mondschein wandelt und mit leiser Wehmut des
Vergangenen gedenkt. Es ist gar keine Frage, daß lyrischer
Bersrhythmus, Rhetorik der rein körperlichen Atemver-
teilung nnd die physiologische Thatsache, daß unsre Gemüts-
bewcgungen, Erregungen, Leidenschaften den Atmungsvor-
gang bald beschleunigen, bald stocken machen, in einer ganz
bestimmten Bezichung zu einander stehen. Wir werden den
jenigen Versrhythmus als den schönsten, einpsindnngsreichsten
ansehen, der uns unbewußt den körperlichen Atemzügen einer
lyrischen Stimmung oder Leidenschaft am besten entspricht.
Wenn der Schauspieler uns eine Leidenschaft schildert, bei
der sein Atem stockt, so stvckt uns, zufolge einer Reflexer-
scheinung, fast selbst der Atem; wenn der Dichter nns einen be-
stimmten Rhythmus einprägt, der seiner Stimmung entspricht,
so wird diese Stimmung in uns selbst erzeugt nicht zum
wcnigsten unter Beihilse des Rhythmus der Atmung. Wenn
wir das Goethesche Gedicht mit rechter innerer Empfindung
lesen oder gar sprechen, so können wir ein jeder an uns
beobachten, wie auch unsere Lunge jenen ruhigen Rhythmus
der Atmung, der in den Strophenteilen des Gedichtes
herrscht, mitmacht.
Jn diesen Strophenteilen eines Gedichtes versieht nun
der Reim rein äußerlich den Zweck der Zäsur, wie man es
in der Verstechnik der Alten bezeichnet. Aber der deutsche
Genius begnügt sich nicht mit diesem Zwecke, auss feinste
empfindet das gcistige Ohr, wie die äußere Zäsur gleich-
zeitig einem geistigen Nachdruck entspricht. Man beobachtet
aber, daß verschiedene Strophengebilde auch verschiedene Reim-
stelten aufweisen, an denen man besonders empsindlich ist
dafür, daß die gereimten Worte mit ihren Zusammenhängen
in einen sinnigen Bezug ansladen. Andere Stellen des
Strophengefüges können leichtsinniger gereimt werden; es
genügt oft ein zufälliger Reim der Worte, der nnr einem
Ausruhen und Atemschöpfen des Redners entspricht. Freilich
gänzlich bezuglos wird auch ein solcher Reim selten sein,
weil der Redner den Atem eben nicht leicht auf einer geistig
unterwertigen Stelle ruhen läßt. Das Talent, gute Reime
zu bilden, hängt daher vor allem auch mit der ganzen
Feinheit der Empsindung zusammen, die ein Dichter für
das ganze rhetorische Gefüge der gesamten Strophe besitzt"
Der Verfasser bringt dann ein Reihe von Beispielen
leerer, seelenloser und darum künstlerisch schlechter Reime.
So druckt er Verse von Leuthold ab, der gleich den meisten
Plateniden nur selteu die seelische Bedeutung des Reimes
empsindet:
Hoch oben schwebt mit schrillem Pfiff
Ein Adler über mir im Blauen,
Am Strande liegt ein leckes Schiff,
Wie eine Leiche anzuschauen.
„Jeder fühlt wohl ohne weiteres, wie hart und unschön
die Reime »Psiff« und »Schifs« wirken. Dadurch, daß
das Wort »Schifs« im Reim besonders betont ist, während
es nur einer mittleren Anschauungsbetonnng rednerisch unter-
liegen würde, entsteht ein geistiges Misverhältnis in der
ganzen Strophe. Der Reim scheint mechauisch, ausdruckslos.
Man würde aber den Fehler des Dichters sehr leicht ver-
bessern können, in dem man Strophenteile umstellt. Also:
Am Strande liegt ein leckes Schiff
Wie eine Leiche anzuschauen,
Hoch oben.schwebt mit schrillem Pfiff
Ein Adler über mir im Blauen.
Durch diese Umstellung erhält das Wort »Pfiff« einen
scharfen Ton, weil es zum ausschlaggebeuden Neimvers
wird, und man könnte in diesem Tone mit Recht eine ge-
wisse Lautmalerei sehen, welche die Schrillheit des Pfisfes
noch besonders hervorhebt. Besonders schön wird die Sache
freilich auch nicht, denn der Grundfehler der Strophe' liegt
in der Disparatheit der Anschauungen, die durch die Reiim
und Strophentechnik einander angepaßt werden, während
weder eine änßere noch innere Anpassung herzustellen ist.
Welch schöne Anpassung herrscht in der Strophe:
Fließe, fließe, lieber Fluß . . .
So verrauschte Scherz und Kuß.
Der Reim »Fluß« und »Kuß« erscheint deshalb so
warm und voll, weil die Betonungen einer Analogie ent-
sprechen, weil ein sinniger Bezug der gereimten Strophen-
teile herrscht; wie der Fluß vorüberfließt, so verrauschte
Scherz und Kuß. Das reimt sich wirklich zusammen,
während das Schiff, das als Leiche liegt, und der Adler
unter andern Gesichtspunkten der Reimkunst und Strophen
bildung zusammengestellt werden müßten, wenn jene leise,
oft nnr entfernte Nachahmung zu Stande kommen sollte,
die wir äußerlich durch das nachgeahmte Lautgefüge be-
zeichnen."
Nach weiteren Beispielen schlechter Reime bespricht der
Verfasser wieder gute. „Man betrachte sich Goethes »Erll
könig«. Wie musterhaft fällt hier stets der Leidenschasts-
ton, der Anschauungston, der Ton jeder verschiedenartigen
Seelenstimmung harmonisch mit dem Reim zusammen.
»Wer reitet so spüt durch Nacht und Wind?! (Frageton.)
Es ist der Vater mit seinem Kind. (Antwortton.)
Er hat den Knaben wohl in dem Arm, s Empfindungston der
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.« l Sicherheit, des Schutzes.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?! l
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?! ? Fragetöne.
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? !
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. (Gegensatzton.)
Wunderbar ist hier der Reim »Schweif« und »Nebel-
streif«, indem die gereimten Worte Dinge bezeichnen, die
auch in Wirklichkeit sich so ähnlich sind, wie ein Reimwort
dem anderen. Man kann es für einen Schweif halten,
während es nur ein Nebelstreif ist. Die plastische Nach-
ahmung der Begriffe, die Mimesis der Begriffe, ihre An-
passung wird zur geheimnisvollen Plastik der Kunstwirkung
durch das Reimmittel. Die größten Schönheiten der Reim
kunst pflegen gerade in dieser Verwandtschaft der gereimten
Begrifse zu liegen, einer Verwandtschaft, die sich sehr oft
als Gegensatz darstellen wird und gerade darin einem
künstlerischen Vergnügen leidenschaftlicher oder anschaulicher
Dialektik entspricht. So werden die Worte »Scherz« und
»Schmerz« stets reizvolle Reime ausmachen, weil sie zwar
das vollständige Gegenteil bezeichncn, aber doch auch wieder
unter einem nahen Oberbegriff zusammenfallen und sich
verwandt sind dnrch den Umstand, Worte sür Seelenzu-
stände zu sein. Sehr gefährlich sind dagegen Reime aus
verschiedenen Wortgattungeu, in denen dann auch keine
— 350 —
— »einmal«, »Flnß« und »Kuß« ergiebt sich ein Ausruhen
der Empsindungsbewegung auf dem Rcimlaut; die Em-
pfindung macht einen Absatz, der mit einem Atemholen des
Redners zusammenfallen würde; und dieses körperliche
Atemholen, das je nach unsrer Leidenschaft bald hastiger,
bald ruhiger ist, scheint hier den rnhig-regelmäßigen Atem-
zügen eines Mannes zu entsprechen, der entlastet nnd fried-
lich im Mondschein wandelt und mit leiser Wehmut des
Vergangenen gedenkt. Es ist gar keine Frage, daß lyrischer
Bersrhythmus, Rhetorik der rein körperlichen Atemver-
teilung nnd die physiologische Thatsache, daß unsre Gemüts-
bewcgungen, Erregungen, Leidenschaften den Atmungsvor-
gang bald beschleunigen, bald stocken machen, in einer ganz
bestimmten Bezichung zu einander stehen. Wir werden den
jenigen Versrhythmus als den schönsten, einpsindnngsreichsten
ansehen, der uns unbewußt den körperlichen Atemzügen einer
lyrischen Stimmung oder Leidenschaft am besten entspricht.
Wenn der Schauspieler uns eine Leidenschaft schildert, bei
der sein Atem stockt, so stvckt uns, zufolge einer Reflexer-
scheinung, fast selbst der Atem; wenn der Dichter nns einen be-
stimmten Rhythmus einprägt, der seiner Stimmung entspricht,
so wird diese Stimmung in uns selbst erzeugt nicht zum
wcnigsten unter Beihilse des Rhythmus der Atmung. Wenn
wir das Goethesche Gedicht mit rechter innerer Empfindung
lesen oder gar sprechen, so können wir ein jeder an uns
beobachten, wie auch unsere Lunge jenen ruhigen Rhythmus
der Atmung, der in den Strophenteilen des Gedichtes
herrscht, mitmacht.
Jn diesen Strophenteilen eines Gedichtes versieht nun
der Reim rein äußerlich den Zweck der Zäsur, wie man es
in der Verstechnik der Alten bezeichnet. Aber der deutsche
Genius begnügt sich nicht mit diesem Zwecke, auss feinste
empfindet das gcistige Ohr, wie die äußere Zäsur gleich-
zeitig einem geistigen Nachdruck entspricht. Man beobachtet
aber, daß verschiedene Strophengebilde auch verschiedene Reim-
stelten aufweisen, an denen man besonders empsindlich ist
dafür, daß die gereimten Worte mit ihren Zusammenhängen
in einen sinnigen Bezug ansladen. Andere Stellen des
Strophengefüges können leichtsinniger gereimt werden; es
genügt oft ein zufälliger Reim der Worte, der nnr einem
Ausruhen und Atemschöpfen des Redners entspricht. Freilich
gänzlich bezuglos wird auch ein solcher Reim selten sein,
weil der Redner den Atem eben nicht leicht auf einer geistig
unterwertigen Stelle ruhen läßt. Das Talent, gute Reime
zu bilden, hängt daher vor allem auch mit der ganzen
Feinheit der Empsindung zusammen, die ein Dichter für
das ganze rhetorische Gefüge der gesamten Strophe besitzt"
Der Verfasser bringt dann ein Reihe von Beispielen
leerer, seelenloser und darum künstlerisch schlechter Reime.
So druckt er Verse von Leuthold ab, der gleich den meisten
Plateniden nur selteu die seelische Bedeutung des Reimes
empsindet:
Hoch oben schwebt mit schrillem Pfiff
Ein Adler über mir im Blauen,
Am Strande liegt ein leckes Schiff,
Wie eine Leiche anzuschauen.
„Jeder fühlt wohl ohne weiteres, wie hart und unschön
die Reime »Psiff« und »Schifs« wirken. Dadurch, daß
das Wort »Schifs« im Reim besonders betont ist, während
es nur einer mittleren Anschauungsbetonnng rednerisch unter-
liegen würde, entsteht ein geistiges Misverhältnis in der
ganzen Strophe. Der Reim scheint mechauisch, ausdruckslos.
Man würde aber den Fehler des Dichters sehr leicht ver-
bessern können, in dem man Strophenteile umstellt. Also:
Am Strande liegt ein leckes Schiff
Wie eine Leiche anzuschauen,
Hoch oben.schwebt mit schrillem Pfiff
Ein Adler über mir im Blauen.
Durch diese Umstellung erhält das Wort »Pfiff« einen
scharfen Ton, weil es zum ausschlaggebeuden Neimvers
wird, und man könnte in diesem Tone mit Recht eine ge-
wisse Lautmalerei sehen, welche die Schrillheit des Pfisfes
noch besonders hervorhebt. Besonders schön wird die Sache
freilich auch nicht, denn der Grundfehler der Strophe' liegt
in der Disparatheit der Anschauungen, die durch die Reiim
und Strophentechnik einander angepaßt werden, während
weder eine änßere noch innere Anpassung herzustellen ist.
Welch schöne Anpassung herrscht in der Strophe:
Fließe, fließe, lieber Fluß . . .
So verrauschte Scherz und Kuß.
Der Reim »Fluß« und »Kuß« erscheint deshalb so
warm und voll, weil die Betonungen einer Analogie ent-
sprechen, weil ein sinniger Bezug der gereimten Strophen-
teile herrscht; wie der Fluß vorüberfließt, so verrauschte
Scherz und Kuß. Das reimt sich wirklich zusammen,
während das Schiff, das als Leiche liegt, und der Adler
unter andern Gesichtspunkten der Reimkunst und Strophen
bildung zusammengestellt werden müßten, wenn jene leise,
oft nnr entfernte Nachahmung zu Stande kommen sollte,
die wir äußerlich durch das nachgeahmte Lautgefüge be-
zeichnen."
Nach weiteren Beispielen schlechter Reime bespricht der
Verfasser wieder gute. „Man betrachte sich Goethes »Erll
könig«. Wie musterhaft fällt hier stets der Leidenschasts-
ton, der Anschauungston, der Ton jeder verschiedenartigen
Seelenstimmung harmonisch mit dem Reim zusammen.
»Wer reitet so spüt durch Nacht und Wind?! (Frageton.)
Es ist der Vater mit seinem Kind. (Antwortton.)
Er hat den Knaben wohl in dem Arm, s Empfindungston der
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.« l Sicherheit, des Schutzes.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?! l
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?! ? Fragetöne.
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? !
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. (Gegensatzton.)
Wunderbar ist hier der Reim »Schweif« und »Nebel-
streif«, indem die gereimten Worte Dinge bezeichnen, die
auch in Wirklichkeit sich so ähnlich sind, wie ein Reimwort
dem anderen. Man kann es für einen Schweif halten,
während es nur ein Nebelstreif ist. Die plastische Nach-
ahmung der Begriffe, die Mimesis der Begriffe, ihre An-
passung wird zur geheimnisvollen Plastik der Kunstwirkung
durch das Reimmittel. Die größten Schönheiten der Reim
kunst pflegen gerade in dieser Verwandtschaft der gereimten
Begrifse zu liegen, einer Verwandtschaft, die sich sehr oft
als Gegensatz darstellen wird und gerade darin einem
künstlerischen Vergnügen leidenschaftlicher oder anschaulicher
Dialektik entspricht. So werden die Worte »Scherz« und
»Schmerz« stets reizvolle Reime ausmachen, weil sie zwar
das vollständige Gegenteil bezeichncn, aber doch auch wieder
unter einem nahen Oberbegriff zusammenfallen und sich
verwandt sind dnrch den Umstand, Worte sür Seelenzu-
stände zu sein. Sehr gefährlich sind dagegen Reime aus
verschiedenen Wortgattungeu, in denen dann auch keine
— 350 —