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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

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Heft 16 (2. Maiheft 1893)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0253

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Lange spricht dann davon, daß der größte Teil unsrer
Literatur und Kunst bearbeitet oder beeinslußt werde von
Juden, die als solche doch niemals geben könnten, was
im innersten Wesen deutsch ist. Unser Alexandrinertnm,
unsre Lust zur Aneignung und unsre Fähigkeit dazu haben
mit ihnen zusammengearbeitet auf den gegenwärtigen Zustand
hin. Dann sucht der Verfasser das zu zeichnen, was
gerade unsern nationalen Jdealen am höchsten stehe. „Der
deutsche Dichter oder Mnstler wird im Grunde immer
ernst und keusch und tüchtig sein, niemals leichtfertig. Sein
Ausdruck sei schlicht und anspruchslos, aber voll Kraft;
nichts unerträglicher, als hohles Pathos oder in den

Spiegel schielende Selbstgefälligkeit. Jronie oder Welt-
schmerzelei sind deutscher Kunst immer ein zersetzendes Salz
gewesen, Humor dagegen war immer ein willkommener
Schmuck ihrer echten Kraft, denn Humor giebt sinnige

Lebenssreude, wonach sie zumeist verlangt, und ist zugleich
die beste Verhüllung deutscher Keuschheit, die immer von
ihrem Jnnersten nur eine Ahnung geben mag. Gegen

romantische Empfindsamkeit, die jedem Deutschen im Blute
liegt, wehre sich der Künstler nicht allznscharf, denn sie ist
eine Neigung, von der wir selbst die krankhafte Ausartung
leichter ertragen, als den volligen Mangel. Die herbe

und kühle Größe, die aus den Denkmälern der germanischeu
Vorzeit spricht, haben wir Nachgeborenen allzu sehr in
Kültur verwässert, doch sühlen wir, daß wir sie wieder
gewinnen könnten, wenn wir die kriegerische Tüchtigkeit
wieder mehr als bewußte Tugend gelten ließen. Das etwa
wären die Elemente, aber nun bleibt das Lebendige daraus
zu schaffen. Verschiedenste Mischungen sind möglich, mannich-
sache Strahlungen, aber nur das Lebendige hat Wert, zu
dem das deutsche Volk spricht: Du bist Fleisch von meinem
Fleische und Bein von meinem Bein."

Das deutsche Volk, das nicht dasselbe sei wie das
deutsche Publikum: „Das Publikum liebt immer das
kürzeste Verfahren, dem Volke ist das langste noch nicht
lang genug; wer seinen Spruch vernehmen will, der muß
weit in die Jahrhunderte zurückschauen. Da wird er
manches Urteil gesprochen sinden und manche Entscheidung,
daran er stch halten kann, aber wer ganz sicher gehen
will, der lasse auch der Zukunft noch ihre Möglichkeiten
und bedenke, daß jedes Lebendige wie ein Fluß ift, in den
nach dem Worte des griechischen Sophisten Niemand auch
nur einmal den Finger tauchen kann und sagen: Dies ist
er — so ist er! Ünd dennoch giebt es den Fluß wie
eine richtende Volksseele, und beide haben ihre bestimmte
Art." „Niemals, so lange ein Volk mit Bewußtsein als
ein Volksganzes lebt, kann Einer ihm sagen: so bist Du,
und dieses ist Dir möglich, jenes nicht, denn länger dauert
das Leben eines Volkes, als des Einzelnen, und unendlich
vielfältiger ist die Fülle seiner Umstände, seiner inneren
Regungen und äußeren Einflüsse. Aber dennoch hat auch
das Volk sein vorbestimmtes Wesen, und die Geschichte,
die einst auf das Grab dieses Volkes schauen wird, kann
alle Einzelzüge seines Charakters überschauen und die
wesentlichen von den zufälligen scheiden. Wir Lebenden
aber können dem Lebenden nur nach Wahrscheinlichkeit die
Geheimnisse seiner innersten Neigungen ablauschen, und
dabei müssen die Geschichte und nnser Gewissen, das doch
ein Teil des Volksgewisfens ist, uns Führerinnen sein.
Auf diesem Wege allein, also nur zaghaft und mit viel
Bescheidung können wir enträtseln, was der richterliche
Wille und das Urteil der Volksseele auch unserer Kunst
bedeuten." Was hätten wir Deutschen in der Kunst nicht

erprobt, was wäre uns darin unmöglich gewesen? Auch
im Geistigen haben wir unsern Wandertrieb oft, nur allzu
oft bethätigt, meint Lange, „aber wer erfahren will, wer
wir nun eigentlich find, der forsche nicht, wie oft wir
ausgefahren sind, sondern wohin es nns zog, wenn wir
heimkehrten. Das ist unsres Volkes Herd- und Ruhe-
stätte in der Künst, und dorthin follen auch wir uns nach
all den Erschöpfungen der Epigonenzeit und den Jrrfahrten
des heutigen Naturalismus zurückwenden, damit wir wieder
auf dem Unsrigen stehen und das ganze Volk als lauschende
Gemeinde um uns versammeln. . .

Die leidenschaftliche Größe und herbe Treue des
Nibelungenliedes, die mit schlichten, fast ungelenken Worten
zu uns spricht, wird alle empfänglichen Herzen noch heute
ergreifen, wenn nur ein rechter Meister die Schlacken von
der Dichtung abstreift. Walthers von der Vogelweide
Jnnigkeit und edelgesinnte Gutmeinung träufelt noch heute
wie ein milder Frühlingsregen in nnsere Herzen, wenn
man die rechte Auswahl trifft. Heldensagen und Volks-
märchen, in denen die letzten Reste der alten germanischcn
Götterlehre sich vor dem Christentum verbergen, versagen
nie ihren Zauber an unsern Kindern. Hans Sachs, der
treuherzige Schalk, sieht freundlich noch in unsre Tage,
und wenn wir sür manchen seiner Fastnachtsscherze nicht
mehr harmlos und schlicht genug sind, so sinden wir doch
bis heute keine deutschere Verssprache, als seinen Knittel-
reim. Luthers Krast bleibt immer frisch; hörte die Bibel
einst auf, das Buch der Gottesoffenbarung im kirchlichen
Sinne zu sein, so würde es nach Luthers Übersetzung
immer doch das Buch deutscher Sprach-, Gemüts- und
Kraftoffenbarung bleiben. Schlichter und inbrünstiger
zugleich wird sich kaum jemals deutsche Gläubigkeit bekunden,
als in den Kirchenliedern Luthers und manches seiner
Nachfolger, und einfältiger und köstlicher, als der alte
Grimmelshauscn im Simplizissimus, kann Keiner der
Welt beweisen, was noch in einem deutschen Herzen kindlich
unverdorben und zuversichtlich bleibt, wenn auch unser
ganzes Volk durch ein Meer von Elend und Verwüstung
geschleist wird.

Je näher wir der Gegenwart kommen, desto unsicherer
läßt sich das wahrscheinliche Urteil des deutschen Bolkes
erkennen, weil bis jetzt fast nur das deutsche Publikum
spricht. Dies gilt besonders von der »klassischen« Periode,
die durch den systematischen Willen namentlich der preußischen
Schulpolitik künstlich zu einem Nationalheiligtum erhoben
wurde, und zwar zumeist in dem, was griechisch, also
undeutsch an ihr ist, weil sich auf diese Weise die deutsche
Klassizität so hübsch in die griechisch-römische Schul-Klassizität
einfügen ließ und Eins am Andern bequem seinen Hebel
fand. Aber das deutsche Volk hat diesen Anschlag preußischer
Kabinetsweisheit noch nicht genehmigt; es wird vielmehr
sein Verfahren erst beginnen, wenn die Dressur der Gym-
nasialherrschast Bankerott gemacht haben wird — ein
Ziel, dem wir uns jetzt ersichtlich nähern. Dann wird
in der frischen Lust des wiedergeborenen Deutschtums
manches beweihräucherte Heiligtum sich als schöne Leiche
erweisen, und sortleben werden auch vom großen Vorratc
nnsrer »klassischen Periode« nur diejenigen Werke, welche
Fleisch von unsrem Fleische und Geist von unsrem Geiste
sind. Lessing wird bei dem bevorstehenden Zusammen-
bruch des Klassizismus am meisten drangeben: sein ästhe-
tisches Lehrgebäude wird manchen wichtigen Teil verlieren,
von der dialektischen Sprache und dem Geiste seines
»Nathan« werden sich nur Wenige noch überreden lassen,

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