weder zu Lelachen noch zu beweinen, sondern einfach zu
verstehen. Jn München in der Historikerversamnilung ist
sie noch süngst wieder auf den Schild gehoben worden.
Aber wic die Geschichte -— so wenig sie natürlich zur
Dressur für politische Zwecke zu verwenden ist — wieder
vom reinen Verstande zum Gefühle zurücktreten muß, so
die Kunstgeschichte zur Ästhetik, natürlich nicht znr alten
spekulativen Ästhetik, sondern zu einer Kunstlehre auf
psychologischer, technischer und geschichtlicher Grundlage.
„Die Ästhetik, die wir für berechtigt halten, sagt Lange,
fragt nicht nach dem Begriffe des »Schönen«, wie es sich
in den verschiedensten geistigen Gebieten ofsenbart. Mag
es immerhin für den Philosophen interessant sein, alle
diese verschiedenen Äußerungen des Schönen, in der Kunst,
in der Natur im Jnnern des Menschen unter einen ge-
meinsamen Gesichtspunkt zu bringen. Unser Ehrgeiz geht
so weit nicht. Wir sind der Überzeugung, daß das Schöne
im ethischen Sinne etwas prinzipiell Verschiedenes ist von
dem Schönen im ästhetischen Sinne, daß das Schöne in
der Natur und das Schöne in der Kunst nicht in einen
Topf geworfen werden darf. Und da wir dieser Über-
zeugung sind, fragen wir auch nicht nach dem Schönen über-
haupt, sondern nnr nach dem Schönen in der Kunst.
Wir suchen den Begrifs »Kunst« zu entwickeln — was viel
schwerer ist, als man gewöhnlich denkt. Wir finden als
das gemeinsame Kennzeichen der »höheren« Künste gegen-
über den »niederen« das Moment der künstlerischen Jllusion,
des ästhetischen Scheines und wir suchen dieses Moment
nun in den einzelnen Künsten systematisch nachznweisen".
Es gilt eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem
Kunsthistoriker vom reinsten Wasser, der das Schöne als
etwas Bedingtes, historisch Gewordenes auffaßt und dem
Ästhetiker der eptremen Richtung, dem das Schöne etwas
Absolutes ist. Der Ästhetiker wird seine Gesetze auf
solche beschränken müssen, deren allgemeine Gültigkeit wirk-
lich unabhängig ist vom Wechsel der Zeiten, von dem ver-
schiedenen Geschmack der Jahrhunderte, wie die Perspektive
in der Malerei und die Naturwahrheit in den nachahmen-
den Künsten. Die weitere Aufgabe einer wissenschaftlichen
Ästhetik aber wird sein, in jedem Falle, wie er sich aus
der planmäßigen Darstellung ergiebt, darauf hinzuweisen,
wie sich die verschiedenen Stufen der reis entwickelten Kunst
den allgemeinen Gesetzen gegenüber verhalten haben. So
wird man z. B. im allgemeinen wohl betonen können, daß
die Plastik ihrer Natnr nach, d. h. vermöge des zu ihren
Schöpfungen verwendeten Materials im Vergleiche mit der
Malerei eine gewisse Beschränkung in der Komposition er-
leidet. Man wird aber vom historischen Standpunkt scharf
betonen müssen, daß dieses plastische Kompositionsgesetz keines-
wegs zu allen Zeiten gleich streng beobachtet worden ist. So
stellen z. B. der Doryphoros des Polyklet und der Merkur
des Giovanni da Bologna zwei Extreme in dieser Beziehung
— selbst innerhalb der Grenzen der vollendeten Kunst —
dar, mit denen der Ästhetiker bei der Entwickelung des allge-
meinen Gesetzes zu rechnen hat. Und diese Erkenntnis wird
ihn dazu führen, das Gesetz von dem Einsluß des Materials
aus den Stil zn erweitern und zu ergänzen, indem er ihm
das zweite Gesetz der geschichtlichen Entwickelung hinzufügt,
welches dahin lautet, daß die natürliche Tendenz dieser
Entwickelung dazn sührt, die Grenzen des Stofses im
Jnteresse des ästhetischen Scheines zu überschreiten und zu
erweitern. So ergiebt sich aus den psychologischen, tech-
nischen und historischen Bedingungen der Kunst eine empirische
Ästhetik gegenüber der früheren spekulativen.
Wirkt so die Geschichte auf die Ästhetik, so hat auch
das umgekehrte zu geschehen. Die Zeiten, deren Kunst
durch die Nichtbeachtung der (vorhin erwähnten) allgemein
giltigen Gesetze der Kunst schlechthin auf einer tieferen
Stufe der künstlerischen Vollendung steht, muß — zumal
im Hinblick auf den pädagogischen Zweck der Vorlesungen,
in diesen zurücktreten gegen die Zeiten der vollendeten Kunst,
die mit dem und z s. Jahrhundert beginnt, und während
sich die italienische Kunst zur Zeit besonders zur Ein-
führung in das wissenschaftliche Studium der Kunstgeschichte,
Quellenkunde, Bilderkritik usw. eignet, sollte dort, wo es
sich uni allgemeine Anregung handelt, die deutsche und
niederländische Kunst sür uns Deutsche immer in erster
Linie stehen. „Das ist doch Fleisch von unserem Fleisch,
Blut von unserem Blut. An den Werken Dürers und
Holbeins und Rembrandts können wir doch erkennen, was
das Wesen des germanischen Kunstgeistes ist: schlichte und
naive Nachahmung der Natnr, Tiefe und Jnnigkeit des
Gefühls, Kraft und Bedeutsamkeit des Jnhalts. Auch
unsere Studenten sollen erfahren, daß dies die Jdeale sind,
denen unsere Kunst nachzustreben hat, nicht die Jdeale der
romanischen Kunst: Schwung und Begeisterung, sormale
Eleganz, rhetorisches Pathos. Lange genug sind wir den
fremden Kunstlehrern gefolgt. Erst jetzt, da die romanischen
Nationen selber, besonders die Franzosen, sich derjenigen
Jdeale bemächtigt h^ben, die eigentlich unsere sein sollten,
besinnen wir uns wieder auf uns selbst und kehren be-
wundernd zu Meistern wie Dürer nnd Rembrandt zurück,
indem wir grade das spezifisch deutsche, spezifisch germanische
in ihrer Knnst zu begreifen und nachzuahmen suchen.
Vor allen Dingen soll nun auch die Schilderung der
modernen Kunst nicht vor der neuesten Zeit Halt machen,
sondern diese mit umsassen. Jch weiß nicht, ob diese Vor-
lesungen über die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, die
an mehreren Universitäten angezeigt werden, der Regel
nach auch die zweite Hälfte des Jahrhunderts mit um-
fassen oder ob sie mit den Nachzüglern der idealistischen
Schule schließen. Jch würde das letztere sehr bedauern.
Mir scheint es, daß ein junger Mann, der sich den Jnhalt
der modernen Kunst zu eigen machen will, vor allen Dingen
ein Bedürfnis empfinden müßte, über die künstlerischen
Strömungen der unmittelbaren Gegenwart aufgeklärt zu
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verstehen. Jn München in der Historikerversamnilung ist
sie noch süngst wieder auf den Schild gehoben worden.
Aber wic die Geschichte -— so wenig sie natürlich zur
Dressur für politische Zwecke zu verwenden ist — wieder
vom reinen Verstande zum Gefühle zurücktreten muß, so
die Kunstgeschichte zur Ästhetik, natürlich nicht znr alten
spekulativen Ästhetik, sondern zu einer Kunstlehre auf
psychologischer, technischer und geschichtlicher Grundlage.
„Die Ästhetik, die wir für berechtigt halten, sagt Lange,
fragt nicht nach dem Begriffe des »Schönen«, wie es sich
in den verschiedensten geistigen Gebieten ofsenbart. Mag
es immerhin für den Philosophen interessant sein, alle
diese verschiedenen Äußerungen des Schönen, in der Kunst,
in der Natur im Jnnern des Menschen unter einen ge-
meinsamen Gesichtspunkt zu bringen. Unser Ehrgeiz geht
so weit nicht. Wir sind der Überzeugung, daß das Schöne
im ethischen Sinne etwas prinzipiell Verschiedenes ist von
dem Schönen im ästhetischen Sinne, daß das Schöne in
der Natur und das Schöne in der Kunst nicht in einen
Topf geworfen werden darf. Und da wir dieser Über-
zeugung sind, fragen wir auch nicht nach dem Schönen über-
haupt, sondern nnr nach dem Schönen in der Kunst.
Wir suchen den Begrifs »Kunst« zu entwickeln — was viel
schwerer ist, als man gewöhnlich denkt. Wir finden als
das gemeinsame Kennzeichen der »höheren« Künste gegen-
über den »niederen« das Moment der künstlerischen Jllusion,
des ästhetischen Scheines und wir suchen dieses Moment
nun in den einzelnen Künsten systematisch nachznweisen".
Es gilt eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem
Kunsthistoriker vom reinsten Wasser, der das Schöne als
etwas Bedingtes, historisch Gewordenes auffaßt und dem
Ästhetiker der eptremen Richtung, dem das Schöne etwas
Absolutes ist. Der Ästhetiker wird seine Gesetze auf
solche beschränken müssen, deren allgemeine Gültigkeit wirk-
lich unabhängig ist vom Wechsel der Zeiten, von dem ver-
schiedenen Geschmack der Jahrhunderte, wie die Perspektive
in der Malerei und die Naturwahrheit in den nachahmen-
den Künsten. Die weitere Aufgabe einer wissenschaftlichen
Ästhetik aber wird sein, in jedem Falle, wie er sich aus
der planmäßigen Darstellung ergiebt, darauf hinzuweisen,
wie sich die verschiedenen Stufen der reis entwickelten Kunst
den allgemeinen Gesetzen gegenüber verhalten haben. So
wird man z. B. im allgemeinen wohl betonen können, daß
die Plastik ihrer Natnr nach, d. h. vermöge des zu ihren
Schöpfungen verwendeten Materials im Vergleiche mit der
Malerei eine gewisse Beschränkung in der Komposition er-
leidet. Man wird aber vom historischen Standpunkt scharf
betonen müssen, daß dieses plastische Kompositionsgesetz keines-
wegs zu allen Zeiten gleich streng beobachtet worden ist. So
stellen z. B. der Doryphoros des Polyklet und der Merkur
des Giovanni da Bologna zwei Extreme in dieser Beziehung
— selbst innerhalb der Grenzen der vollendeten Kunst —
dar, mit denen der Ästhetiker bei der Entwickelung des allge-
meinen Gesetzes zu rechnen hat. Und diese Erkenntnis wird
ihn dazu führen, das Gesetz von dem Einsluß des Materials
aus den Stil zn erweitern und zu ergänzen, indem er ihm
das zweite Gesetz der geschichtlichen Entwickelung hinzufügt,
welches dahin lautet, daß die natürliche Tendenz dieser
Entwickelung dazn sührt, die Grenzen des Stofses im
Jnteresse des ästhetischen Scheines zu überschreiten und zu
erweitern. So ergiebt sich aus den psychologischen, tech-
nischen und historischen Bedingungen der Kunst eine empirische
Ästhetik gegenüber der früheren spekulativen.
Wirkt so die Geschichte auf die Ästhetik, so hat auch
das umgekehrte zu geschehen. Die Zeiten, deren Kunst
durch die Nichtbeachtung der (vorhin erwähnten) allgemein
giltigen Gesetze der Kunst schlechthin auf einer tieferen
Stufe der künstlerischen Vollendung steht, muß — zumal
im Hinblick auf den pädagogischen Zweck der Vorlesungen,
in diesen zurücktreten gegen die Zeiten der vollendeten Kunst,
die mit dem und z s. Jahrhundert beginnt, und während
sich die italienische Kunst zur Zeit besonders zur Ein-
führung in das wissenschaftliche Studium der Kunstgeschichte,
Quellenkunde, Bilderkritik usw. eignet, sollte dort, wo es
sich uni allgemeine Anregung handelt, die deutsche und
niederländische Kunst sür uns Deutsche immer in erster
Linie stehen. „Das ist doch Fleisch von unserem Fleisch,
Blut von unserem Blut. An den Werken Dürers und
Holbeins und Rembrandts können wir doch erkennen, was
das Wesen des germanischen Kunstgeistes ist: schlichte und
naive Nachahmung der Natnr, Tiefe und Jnnigkeit des
Gefühls, Kraft und Bedeutsamkeit des Jnhalts. Auch
unsere Studenten sollen erfahren, daß dies die Jdeale sind,
denen unsere Kunst nachzustreben hat, nicht die Jdeale der
romanischen Kunst: Schwung und Begeisterung, sormale
Eleganz, rhetorisches Pathos. Lange genug sind wir den
fremden Kunstlehrern gefolgt. Erst jetzt, da die romanischen
Nationen selber, besonders die Franzosen, sich derjenigen
Jdeale bemächtigt h^ben, die eigentlich unsere sein sollten,
besinnen wir uns wieder auf uns selbst und kehren be-
wundernd zu Meistern wie Dürer nnd Rembrandt zurück,
indem wir grade das spezifisch deutsche, spezifisch germanische
in ihrer Knnst zu begreifen und nachzuahmen suchen.
Vor allen Dingen soll nun auch die Schilderung der
modernen Kunst nicht vor der neuesten Zeit Halt machen,
sondern diese mit umsassen. Jch weiß nicht, ob diese Vor-
lesungen über die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, die
an mehreren Universitäten angezeigt werden, der Regel
nach auch die zweite Hälfte des Jahrhunderts mit um-
fassen oder ob sie mit den Nachzüglern der idealistischen
Schule schließen. Jch würde das letztere sehr bedauern.
Mir scheint es, daß ein junger Mann, der sich den Jnhalt
der modernen Kunst zu eigen machen will, vor allen Dingen
ein Bedürfnis empfinden müßte, über die künstlerischen
Strömungen der unmittelbaren Gegenwart aufgeklärt zu
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