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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 6.1892-1893

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1893)
DOI article:
Schumann, Paul: Die Künstlerische Erziehung der Jugend, [3]: die Universität
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https://doi.org/10.11588/diglit.11727#0250

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vermögen solche Universitätssammlungen durch kleinere ^
Sonderausstellungen und Vorträge auch auf weitere
Kreise höchst günstig einzuwirkeu. Das Publikum will
in künstlerischer Beziehung angeregt sein. Es verlangt
nicht vou sich aus nach Anschauung, aber es benutzt sie
gern, wenn man sie ihm bietet. Jn diesen kunsthistorischen
Universitätssammlungen aber brauchten nur die Meister
ersten Ranges möglichst vollstäudig vertreten zu sein, für
die übrigen genügen zunächst charakteristische Beispiele.
Selbst von diesem nicht zu hoch gesteckten Ziele sind wir
leidcr noch weit entfernt. Denn während für chemische
und physikalische Laboratorien, für naturwissenschaftliche
Sammlungen und Kliniken kolossale Summen bewilligt
werden, müssen sich die kunsthistorischen Sammlungen,
wenn überhaupt etwas bewilligt wird, mit erbärmlich ge-
ringen Mitteln behelfen. Sie stehen sogar weit zurück hinter
archäologischen Sammlungen, philologischen und mathe-
matischen Seminaren. Und dies entspricht durchaus der
allgemeinen Vernachlässigung, der sich die neuere Kunst in
unserer Erziehung erfreut. Das deutsche Reich bewilligt
alljährlich fünf Reisestipendien zu se 3000 Mark au
Archäologen, Philologen und Theologen, für Vertreter der
modernen Kunstgeschichte — nichts. Ferienkurse sür
Lehrer, offizielle Ausflüge nach Jtalien und Griechenland
werden bisher nur zu archäologischen Zwecken veranstaltet.
Ein archäologisches Jnstitut mit Abzweigungen iu Rom
und Athen besitzen wir, nicht aber ein kunsthistorifches usw.
Das sind unhaltbare Verhältnisse, die von dem kläglichen
Unverstand gegenüber der Thatsache zeugen, wie wichtig iu
ethischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht die künstlerische
Erziehung eines Volkes ist.

Wie steht es nun mit dem Betriebe des kunst-
geschichtlichen Unterrichts an den Univerfitäten?
Zunächst muß da leider festgestellt werden, daß der Besuch
der kunstgeschichtlichen Vorlesungen von Jahr zu Jahr
abnimmt. Warum? Einmal weil der Kunstunterricht
an deu Gymnasien immer mehr vernachlässigt, das Zeichnen
in unpraktischer, die Teilnahme ertötender Weise erteilt
wird; ferner weil die Mehrzahl der Studenten Banauseu
sind uud nur bei den Examinatoren hören (die Zahl der
Zuhörer des berühmten Lotze in Göttingen sauk von 60
auf 16, als er sein Amt als Epaminator niederlegte!).
Wir möchten hinzu fügen, daß die Fachkollegien an sich
teuer genug sind; sehr viele Studenten sind zu arm,
um sich noch mehr Ausgaben zu machen, als unbedingt
nötig sind. Lange sieht aber endlich den Hauptgrund der
mangelnden Teilnahme am kunstgeschichtlichen Unterricht in
seinem Betriebe. Dieser ist zu sehr darauf gerichtet,
Spezialisten für Kunstgeschichte zu erziehen. Dies ist aber
um so überflüssiger als es in Deutschland an Universitäten,
technischen Hochschulen und Museen höchstens 30 besoldete
Stellen giebt, für welche Kunsthistoriker gebraucht werden.
Es ist deshalb geradezu die Pflicht der Universitätspro-

fesforen vor dem besonderen Studium der Kunstgeschichte
als Brotfach zu warnen. Mit Recht schlägt Lange zugleich
vor, die wissenschaftliche Einführung in die Kunstgefchichte,
die Heranbildung geschulter Kunsthistoriker allein auf Berlin
(oder höchsteus noch München) zu beschränkeu. An allen anderen
Universitäten sollte die Kunstgeschichte nicht als ge-
lehrtes, sondern als allgemein bildendes Fach
betrieben werden. Das ist uin so notwendiger, als der Lehrer
der Kunstgeschichte bei seinen Zuhörern so gut wie nichts
voraussetzen kann. Jch erinnere mich noch der ungeheuren
Schwierigkeiten, die ich im ersten Kolleg bei Anton Springer
über die Kunst der Reuaisfance zu Äberwinden hatte. Auf
dem Gymnasium hatte ich thatsächlich nicht eiumal das
Wort Renaissance, geschweige denn die allergeringste An-
deutung von irgend welcher Kunst gehört. Der Zeichen-
lehrer galt als komische Person, die drei von t30 Schülern,
die in den wenigen Freistunden zeichnen lernten, galten
als Narren, Zeichnen wurde allgemein — von Schülern
wie vou Lehrern — noch geringer geachtet als Schreiben.
Auschauuugsbilder gab es überhaupt uicht, einem großen
Taselwerke über Pompefi, das eines Tages für die Schul-
bibliothek eintras, standen Lehrer und Schüler ratlos
gegenüber. Nun denke man, daß Springer mit den
elementaren, wie mit den höheren Begrifsen der Techuik
und der Ästhetik als mit dem gewöhnlichsten, selbstver-
ständlichen Handwerkszeug operirte. Es gehörte wahrlich
eine große Thatkraft dazu, Lei der Stange zu bleiben.
Sehr dankenswert war es, daß Springer uns in seinen
Vorlesungen für die Kunstakademiker teilnehmen ließ, bei
denen er in der That gar nichts von Kenntuissen voraus-
setzte, während er uns sonderbarer Weise alles Mögliche
zutraute. Dazu las Overbeck glücklicherweise eiu sehr
lehrreiches Kolleg über Technik und Ästhetik der alten
Kuust, welches — mir wenigstens — so wenig auch die
Phautasiekunst zu ihrem Rechte kam, auch das Verständnis
der Springerschen Vorlesungen erleichterte. Mit vollem
Recht erklärt Lange solche einführenden Vorlesungen über
Technik und Ästhetik der Kunst als Vorbereitung für die
moderne Kunst für ganz unerläßlich. Es gilt, so lange
das Gymnasium seine Schüler in dieser Hinsicht in voller
Dummheit aufwachsen läßt, ein besonderes Kolleg zu geben,
in welchem dem Lernenden die elementarsten Begrisfe und
Wörter, wie Säule, Fries, Pfeiler, Gesims, Giebel,
Kupferstich, Holzschnitt, Ölbild, Aquarell, Stil, Naturalis-
mus, Realismus, Phantafiekunst usw. erktärt werden, das
Wesen der Künste in ganz elementarster Weise erläutert wird.

Gegen die Ästhetik besteht in deu Kreisen der Künst-
historiker allerdings eine ausgesprochene Abneigung. Sehr
mit Unrecht, denn so berechtigt es war, daß die Kunstge-
schichte sich aus deu Banden Hegelscher Philosophie losriß,
so unberechtigt ist es, sie einseitig historisch aufzufafsen.
Bei deu Historikern gilt es setzt als vornehme und wissen-
schaftliche Auffassung, die Geschichte habe die Ereignisse

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