Pracht und Pomp, Glanz und Schimmer durchs Auge
zu erschauen und zugleich die OffeuLarungeu der göttlicheu
Polyhymnia durchs Ohr aufzuuehmen, und doch kann
auch der moderuste Mensch immer noch nicht zugleich Gott
dieuen und dem Mammon. —-
Wie steht es nun mit dem „dramatischen Momente"
in der Oper?
Die neuesten Opernlieferanten thun sich ctwas zu gute
daraust daß ihre Musik dramatisch sei.
Was heißt denn dramatisch? Jst die Verbindung von
Musik und Drama uberhaupt möglich oder richtig?
Dramatisch sind starke Seelenbewegungen, welche sich
Lis zum Willen und Thun verhcirten; also die inneren Vor-
gänge, welche der Mensch vom Aufleuchten der Empfindung
bis zum leidenschaftlichen Begehren und Handeln durch-
macht; dramatisch ist das Ausströmen der Willens -
kraft aus dem Gemüte, nicht die Darstellung des
Gemütes selbst, auch nicht die Darstellnng der Leidenschaft
an sich. Dramatisch ist: zu sehen, wie aus
Gedankc und Gefühl dieHandlung wird und
welcheReflepe aus der gescheheneu Handlung
zurückfalleu auf das Denken und Fühlen.
Die dramatische Gestalt muß haben: ein großartig und
leidenschastlich bewegtes Jnnere, welches darnach ringt, sich
in That umzusetzen, Wesen und Thun anderer Menschen
umzugestalten. Das dramatische Kunstwerk muß vor allem
darstellen: Energie der Empfindung, Wucht der Willens-
kraft, stark bewegte Handlung und Fortschritt in den
Wirkuugen. Jst dazu Musik notwendig? Nein, denn
wir haben hochdramatische Kunstwerke ohnc Mustk. Eut-
sprechcu sich Weseu der Musik uud Wesen des Dramatischen?
Nein, durchaus nicht, fie widersprechen sich sogar. Wir
haben oben gesehen, was das Wesen des Dramatischen ist.
Das Wesen und die Eigentümlichkeit der Musik ist das
Verinnerlichen, das Fühlen, das Sinnen, das Romantische,
das Lyrische, das Ausklingen einer Stimmung in schöner
Form — alles dem Dramatischen direkt entgegengesetzt.
Nun kann es natürlich innerhalb eines Dramas Stellen
geben, wo das Ausklingen eincr Stinimuug in Tönen vou
gewaltiger Wirkung ist, aber während dieses Teiles,
vielleicht einer Arie, ist das Kunstwerk kein Drama,
sondern ein Lied; das Drama setzt gewöhnlich mit dem
Beginne des Rezitativs wieder ein und führt die Handlung
weiter. Wäre man imstande, lediglich aus Situationeu,
zu deren vollständiger künstlerischer Darstellung die Musik
notwendigerw cise gehört, eine vollständige Oper zu
gestalten, so würde diese innere Berechtigung haben. Das
so entstandene Gebilde wäre aber dann wieder kein Drama,
die Musik würde darin auch nicht dramatisch wirken,
dramatisch wollen aber die Opern um jeden Preis
sein. Die modernsten Werke der jungen Jtaliener haben
die Oper gewissermaßen dramatisch verdichtet. Die
„dmvnllerin remtiLnrm" des Mascagni bewegt sich fast nur
auf den Spitzen der leidenschaftlichen Dramatik; eine
Stimmung kommt gar nicht oder nur felten zuni ruhigen,
abgetönten Ausklingen, alles daran ist Dampf, Elektrizität,
Vehemenz. Was thut nun die Musik dabei? Nun — sie
keucht, klagt, weint, fchluchzt, sinnt, wühlt, ist fröhlich oder
verzweifelt, jenachdem ihre Herrin, die Dramatik, es ver-
langt; die Musik ist zur Magd der Dramatik
geworden. Die auch von Wagner gedachte Ver-
schmelzung von Oper und Drama ist nicht eingetreten,
sie kann nie eintreten. Das Berusen auf die Ton-
dramen der Hellenen, in denen Musik und Dramatik an-
Ä-
geblich vereint wirkt, beruht auf einer Täuschung: die
Musik der Griecheu war ja noch gauz unentwickelt nnd
ist unserer modernen Musik uicht gleichzustelleu. Das
Streben nach Vereinigung der beiden Kunstformen - -
Mufik und Dramatik — ist ein Jrrtum; auch der Große
von Bayreuth hat fich geirrt, er beweist mit seinem Jrrtum
nur, daß es eiu großer Jrrtum ist. Daß die Musik
an sich — ohne Beziehuug auf eine Dichtung — nicht
dramatisch wirken kann, würde man deutlich spüren, wenn
man einmal eine ganze Opernmusik anhören könnte, ohne
daß der Vorhang anfgezogen würde, ohne daß man von
der zu Grunde liegenden dramatischen Handlung etwas
wüßte. Man würde dann vielleicht von bewegter oder
interessanter Musik reden könneu, aber nie von dramatischer.
Denn die starke seelische Spannung, die das Wesen des
Dramatischen ausmacht, wird erzeugt nur dadurch, daß
die eigencn Gedanken und Vorsteltungen des Menschen in
Spannung versetzt werden. Die reine Mnsik an fich aber
ist inhaltslos, sie ist nur eine schöne Bewegung tönender
Formen; den eigeutlichen Jnhalt giebt ihr der Hörer erst
selbst, uud wessen Seele nicht dazu geeignet ist, für den
bleibt immer die Musik uur ein amüsantes Tonspiel.
„Der allein besitzt die Musen, der sie trägt im warmen
Busen." Ein geschickter Schriftsteller würde auf ein und
dieselbe Opernmusik zwei verschicdene Tepte schreiben können,
ohne sonderliche Fehler zu begehen.-
Man vergegenwärtige fich einmal Schillers Aussasfuug
von der „Schaubühne als moralischer Anstalt". Er schreibt:
„Die Gerichtsbarkeit der Bühne sängt da an, wo das
Gebiet der weltlichen Gesetze endigt . . . Kühne Verbrecher
wiederholcn zum schauerlichen Unterricht der Nachwelt ein
schändliches Leben. So gewiß fichtbare Darstellung mäch-
tiger wirkt, als toter Buchstabe und kalte Erzählung, so
gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder, als Moral
uud Gesetze. Sie begleitet die Weisheit und Religion.
Aus ihrer reinen Quelle schöpft sie Lehren und Mufter
und kleidet die strenge Pslicht iu ein reizendes, lockendes
Gewand. Die Schaubühne ist der gemeinschaftlichc Kanal,
in welchen von dem denkenden, besseren Teile des Volkes
das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in
milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet.
Richtigere Begriffe, geläuterte Gruudsätze, reinere Gefühle
fließen von hier durch die Adern des Volkes; der Nebel
der Barbarei, des finsteren Aberglaubens verschwindet, die
Nacht weicht dem stegenden Lichte. Mit ebenso glücklichem
Erfolge würden sich von der Schaubühne Jrrtümer der
Erziehung bekämpfen lassen." So schrieb Schiller vor
tto Jahren; wenn er die Opernbühne heutigen Tages
sähe, würde er seinen Jdealismus in viel schärferer Weise
zur Geltung bringen. -—
Die Oper zerstreut, aber verinnerlicht selten, sie glänzt
wie Gold, aber sie ist nicht gediegen wie das Gold; sic
belehrt selten, denn dazu fehlt ihr die Sachlichkeit und
Wahrheit und sehr oft ihren Gestalten der typische Wert.
Sie unterhält nur, und das nur will auch unsere Zeit
schließlich von ihr. „Nun Gretel, wie hast du dich im
»Glöckchen des Eremiten« amüsirt?" sagt der Vater zu
seiner heimkehrenden Tochter; er müßte denken: Was kann
mein Kind aus dieser Oper lernen, was kann ihren Geist
vertiefen oder bereichern? Freilich hieße dann sehr oft die
Antwort: nichts. Die Schaubühne soll dem Menschen den
Spiegel vorhalten, in welchem er seine eigene Thorheit
erkennt. Die Opernbühne handelt umgekehrt; sie sucht
und spürt, ob ste etwas findet, was dem Menschengeiste
— 284 —
zu erschauen und zugleich die OffeuLarungeu der göttlicheu
Polyhymnia durchs Ohr aufzuuehmen, und doch kann
auch der moderuste Mensch immer noch nicht zugleich Gott
dieuen und dem Mammon. —-
Wie steht es nun mit dem „dramatischen Momente"
in der Oper?
Die neuesten Opernlieferanten thun sich ctwas zu gute
daraust daß ihre Musik dramatisch sei.
Was heißt denn dramatisch? Jst die Verbindung von
Musik und Drama uberhaupt möglich oder richtig?
Dramatisch sind starke Seelenbewegungen, welche sich
Lis zum Willen und Thun verhcirten; also die inneren Vor-
gänge, welche der Mensch vom Aufleuchten der Empfindung
bis zum leidenschaftlichen Begehren und Handeln durch-
macht; dramatisch ist das Ausströmen der Willens -
kraft aus dem Gemüte, nicht die Darstellung des
Gemütes selbst, auch nicht die Darstellnng der Leidenschaft
an sich. Dramatisch ist: zu sehen, wie aus
Gedankc und Gefühl dieHandlung wird und
welcheReflepe aus der gescheheneu Handlung
zurückfalleu auf das Denken und Fühlen.
Die dramatische Gestalt muß haben: ein großartig und
leidenschastlich bewegtes Jnnere, welches darnach ringt, sich
in That umzusetzen, Wesen und Thun anderer Menschen
umzugestalten. Das dramatische Kunstwerk muß vor allem
darstellen: Energie der Empfindung, Wucht der Willens-
kraft, stark bewegte Handlung und Fortschritt in den
Wirkuugen. Jst dazu Musik notwendig? Nein, denn
wir haben hochdramatische Kunstwerke ohnc Mustk. Eut-
sprechcu sich Weseu der Musik uud Wesen des Dramatischen?
Nein, durchaus nicht, fie widersprechen sich sogar. Wir
haben oben gesehen, was das Wesen des Dramatischen ist.
Das Wesen und die Eigentümlichkeit der Musik ist das
Verinnerlichen, das Fühlen, das Sinnen, das Romantische,
das Lyrische, das Ausklingen einer Stimmung in schöner
Form — alles dem Dramatischen direkt entgegengesetzt.
Nun kann es natürlich innerhalb eines Dramas Stellen
geben, wo das Ausklingen eincr Stinimuug in Tönen vou
gewaltiger Wirkung ist, aber während dieses Teiles,
vielleicht einer Arie, ist das Kunstwerk kein Drama,
sondern ein Lied; das Drama setzt gewöhnlich mit dem
Beginne des Rezitativs wieder ein und führt die Handlung
weiter. Wäre man imstande, lediglich aus Situationeu,
zu deren vollständiger künstlerischer Darstellung die Musik
notwendigerw cise gehört, eine vollständige Oper zu
gestalten, so würde diese innere Berechtigung haben. Das
so entstandene Gebilde wäre aber dann wieder kein Drama,
die Musik würde darin auch nicht dramatisch wirken,
dramatisch wollen aber die Opern um jeden Preis
sein. Die modernsten Werke der jungen Jtaliener haben
die Oper gewissermaßen dramatisch verdichtet. Die
„dmvnllerin remtiLnrm" des Mascagni bewegt sich fast nur
auf den Spitzen der leidenschaftlichen Dramatik; eine
Stimmung kommt gar nicht oder nur felten zuni ruhigen,
abgetönten Ausklingen, alles daran ist Dampf, Elektrizität,
Vehemenz. Was thut nun die Musik dabei? Nun — sie
keucht, klagt, weint, fchluchzt, sinnt, wühlt, ist fröhlich oder
verzweifelt, jenachdem ihre Herrin, die Dramatik, es ver-
langt; die Musik ist zur Magd der Dramatik
geworden. Die auch von Wagner gedachte Ver-
schmelzung von Oper und Drama ist nicht eingetreten,
sie kann nie eintreten. Das Berusen auf die Ton-
dramen der Hellenen, in denen Musik und Dramatik an-
Ä-
geblich vereint wirkt, beruht auf einer Täuschung: die
Musik der Griecheu war ja noch gauz unentwickelt nnd
ist unserer modernen Musik uicht gleichzustelleu. Das
Streben nach Vereinigung der beiden Kunstformen - -
Mufik und Dramatik — ist ein Jrrtum; auch der Große
von Bayreuth hat fich geirrt, er beweist mit seinem Jrrtum
nur, daß es eiu großer Jrrtum ist. Daß die Musik
an sich — ohne Beziehuug auf eine Dichtung — nicht
dramatisch wirken kann, würde man deutlich spüren, wenn
man einmal eine ganze Opernmusik anhören könnte, ohne
daß der Vorhang anfgezogen würde, ohne daß man von
der zu Grunde liegenden dramatischen Handlung etwas
wüßte. Man würde dann vielleicht von bewegter oder
interessanter Musik reden könneu, aber nie von dramatischer.
Denn die starke seelische Spannung, die das Wesen des
Dramatischen ausmacht, wird erzeugt nur dadurch, daß
die eigencn Gedanken und Vorsteltungen des Menschen in
Spannung versetzt werden. Die reine Mnsik an fich aber
ist inhaltslos, sie ist nur eine schöne Bewegung tönender
Formen; den eigeutlichen Jnhalt giebt ihr der Hörer erst
selbst, uud wessen Seele nicht dazu geeignet ist, für den
bleibt immer die Musik uur ein amüsantes Tonspiel.
„Der allein besitzt die Musen, der sie trägt im warmen
Busen." Ein geschickter Schriftsteller würde auf ein und
dieselbe Opernmusik zwei verschicdene Tepte schreiben können,
ohne sonderliche Fehler zu begehen.-
Man vergegenwärtige fich einmal Schillers Aussasfuug
von der „Schaubühne als moralischer Anstalt". Er schreibt:
„Die Gerichtsbarkeit der Bühne sängt da an, wo das
Gebiet der weltlichen Gesetze endigt . . . Kühne Verbrecher
wiederholcn zum schauerlichen Unterricht der Nachwelt ein
schändliches Leben. So gewiß fichtbare Darstellung mäch-
tiger wirkt, als toter Buchstabe und kalte Erzählung, so
gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder, als Moral
uud Gesetze. Sie begleitet die Weisheit und Religion.
Aus ihrer reinen Quelle schöpft sie Lehren und Mufter
und kleidet die strenge Pslicht iu ein reizendes, lockendes
Gewand. Die Schaubühne ist der gemeinschaftlichc Kanal,
in welchen von dem denkenden, besseren Teile des Volkes
das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in
milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet.
Richtigere Begriffe, geläuterte Gruudsätze, reinere Gefühle
fließen von hier durch die Adern des Volkes; der Nebel
der Barbarei, des finsteren Aberglaubens verschwindet, die
Nacht weicht dem stegenden Lichte. Mit ebenso glücklichem
Erfolge würden sich von der Schaubühne Jrrtümer der
Erziehung bekämpfen lassen." So schrieb Schiller vor
tto Jahren; wenn er die Opernbühne heutigen Tages
sähe, würde er seinen Jdealismus in viel schärferer Weise
zur Geltung bringen. -—
Die Oper zerstreut, aber verinnerlicht selten, sie glänzt
wie Gold, aber sie ist nicht gediegen wie das Gold; sic
belehrt selten, denn dazu fehlt ihr die Sachlichkeit und
Wahrheit und sehr oft ihren Gestalten der typische Wert.
Sie unterhält nur, und das nur will auch unsere Zeit
schließlich von ihr. „Nun Gretel, wie hast du dich im
»Glöckchen des Eremiten« amüsirt?" sagt der Vater zu
seiner heimkehrenden Tochter; er müßte denken: Was kann
mein Kind aus dieser Oper lernen, was kann ihren Geist
vertiefen oder bereichern? Freilich hieße dann sehr oft die
Antwort: nichts. Die Schaubühne soll dem Menschen den
Spiegel vorhalten, in welchem er seine eigene Thorheit
erkennt. Die Opernbühne handelt umgekehrt; sie sucht
und spürt, ob ste etwas findet, was dem Menschengeiste
— 284 —