haupt nicht mehr mitreden. Findet sich irgendwo in Dorf
oder Stadt eine gute Stimme — der oder die muß
zur Oper, sonst ginge sie ja der Mitwelt verloren. Zeigt
fich eine schriftstellerische Beanlagung gepaart mit Phantasie
und dramatischer Empfinduug, so kommen die Komponisten
gelaufen und wolleu einen Operntext geliefert haben. Wird
in der Geschichte irgend welchen Volkes oder in der
Dichtung irgend welches Poeten oder in der Sage irgend
welcher Zeit eine Szene voll dramatischen Lebens und
voller Gefühlswärme entdeckt, so heißt es: das müßte eine
effektvolle Oper geben. Wird eine neue Oper aufgesührt,
so erzählen die Zeitungen der alten und wohl auch der
neuen Welt von dem vier- bis siebzehnmaligen Hervor-
rufen des Komponisten. Geht eine Primadouna über die
Straße, so wird sie angestaunt, ehrfurchtsvoll begrüßt, und
einige der anderen gewohnlichen Sterblichen denken an die
5000 Mark Monatsgage, die sie ersingt. Man könnte
noch eindringlichere Beweise dafür anführen: die Oper
wird von einer großen Zahl von Menschen
für den Gipfelpnnkt d er heutigen Kunst ge-
halten.
War das von jeher so? Wird das so bleiben?
Verdient das die Oper? Hat die Oper erziehliche Be-
deutung? Jst sie in Wahrheit volkstümlich? Kann die
Oper erheben, belehren, läntern, bessern, vertiefen?
Holen wir einmal das kritische Sezirmesser hervor und
betrachten wir die Oper im nüchternen Lichtc des Tages,
sie, die verwöhnte Tochter glitzernden Rampenlichtes, sie,
die Buhlin des elektrischen Bühnenmondes.
Die Geschichte der Oper ist kurz, aber nicht er-
baulich. Die erste wirkliche Oper ist Peris Dasne; sie
wurde zuerst in Florenz, jedoch erst t627 in
Hamburg aufgeführt. Die moderne Oper beruht auf
Gluck; er verknüpfte das Drama mit der Musik; seine
bedeutendsten Erfolge errang er in Paris t77-z. Das
Volkstümliche gab der deutschen Oper Weber; sein Frei-
schütz wurde zum ersten Male t82t in Berlin gegeben.
Meyerbeer Lrachte Glanz, Pomp, Pracht, theatralisches
Rafsinement dazu; sein Robert wurde t8Zt in Paris
zuerst aufgeführt. Der Franzose Berlioz fügte die
glänzenden, bunten Farben des Orchesters hinzu. Dann
kam der Deutsche Wagner; er gab der Oper Größe in
Form und Jnhalt, Ernst der Gedanken, Tiefe der
Empfindung. Den allerneuesten Fortschritt Lezeichnen die
jungen Jtaliener Mascagni, Leoncavallo usw.; sie bringen
dramatische Kürze, Unmittelbarkeit im Ausdruck, ja sogar
eine gewisse Verknüpfung des Vorwurfs mit dem that-
sächlichen Leben der Gegenwart, bei Leoncavallo sogar auf
Grund thatsächlicher Ereignisse.
Schon diese kurze Skizze der Oper ist ungemein lehr-
reich. DieOper ist noch jung; zur Zeit als die
größten Shakespearedramen schon anfgeführt wurden, die
heute noch unübertroffen sind, wurde die Oper für
Deutschland erst geboren. Die Entwicklung derOper
ist merkwürdig rasch vor sich gegangen. Die
Oper hat der Menschheit nur kurze Zeit in
ein und derselbenForm gefallen, sie befindet
sich noch jetzt im Entwickeln, Berändern, Fortschreiten.
Das Drama ist dagegen viel älter; man giebt noch
heutigen Tages Schauspiele von mehrtausendjährigem Alter
(Vasantasena, altindisches Drama). Die Oper ist
ein Kind des Jnternationalismus; Jtaliener,
Franzosen, Dentsche haben sie entwickelt; fast alle Nationen
haben Stoffe für ihre Textbücher hergeliehen.
Versuchen wir einmal darzustellen, welche geistige Arbeit
der Hörer einer modernen Oper zu leisten hat, wenn er
sie ganz auffassen, wenn er ganz von ihr crgriffen sein will.
Er muß:
z. den Tept der Oper -— rein nur als Lautgebilde
verstanden — auffassen oder schon wissen;
2. er mnß den Jnhalt der Wörter verstehen und
verknüpfen;
3. er mnß die einzelnen Gedanken herausfinden unv
zusammenfügen, so daß ihm das Verständnis des
Hauptinhaltes aufgeht;
-z. er muß die einzelnen Melodien heraushören;
5. er muß das Charakteristische in den
Melodien, wodurch die Dichtung in Tönen
dargestellt werden soll, heraussühlen;
6. er mnß die eigenartige Orchesterbegleitung
hören und als schön empfinden;
7. er muß der schönen Wirkung der einzelnen
Singstimmen und ihrer harmonischen Zu-
sammenwirkung sich bewußt werden und sich
daran ergötzen;
8. er muß die zweckentsprechende plastische Dar-
stellung der Sänger erkennen und für schön
halten;
9. er muß die Schönheit der Kostüme, Be-
leuchtung, Dekoration usw. sehen.
Von einer schlichten Klarheit kann man da jedenfalls
nicht mehr reden. Die Hauptschwierigkeit ist jedoch die
Auffassung der einzelnen Momente noch nicht; die Haupt-
sache ist, daß der Hörer dies alles, die vielen verschiedenen
Darstellungssormen des Schönen nach ihrer besonderen
Seite hin als künstlerisch schön erfasseu und sie dann z u
einem schönen Ganzenin seinem Jnnern verweben
soll. Dazu gehört eine seelische Verknüpfungskrast, wie
sie durchaus nicht allen Hörern eigen ist. Es ist nun
aber der erste Grundsatz jedweden ästhetischen Genusses,
daß er, von aller Arbeit und Mühe frei, nur
eiue erhebende Erholung sei. Das Wertvollste
an jedem Kunstgenusse ist, daß der Hörer angeregt werde
zu eigener Mitarbeit; daß er selbst weiter denke, tiefer
fühle und vielleicht kräftiger handle. Der Mensch hält
die Wirkung der Künste dann sür tief und ergreifend,
wenn sein eigenes Selbst beim Anhören — denkend und
fühlend — beteiligt war. Das ist in der heutigen Oper
sast unmöglich; sie bietet zu viel, als daß der Hörer
noch überschüssige Kraft hätte, selbst mitzuschaffen; er ist
froh, wenn er alles aufnimmt, was geboten wird; von
einer geistigen Mitarbeit kaun nur ganz selten die Rede
sein. Der Hörer der Oper wird stets nur Weuiges tief
erfassen, das Andere aber oberflächlich, äußerlich. Die
Opern sind meist nach dem Rezept des bühnenverständigen
Theaterdirektors aus Goethes Faust gemacht: „Wer vieles
bringt, wird manchem etwas briugen; und jeder geht zu-
frieden aus dem Haus"; ihm kommt es eben nur darauf
an, daß sich der „Strom nach seiner Bude drängt."
Heutigen Tages ist es so: Der Eine geht Montags nicht
iu die Oper, weil nichts zu sehen ist, der Andere geht
gerade heute, weil nichts zu sehen, sondern nur zu hören
ist; und so ist das Urteil verschieden. Je nachdem der
Einzelne dies oder das leicht aussaßt, wird ihm die Oper
gefallen oder nicht. Jn der Linken das Textbuch, in der
Rechten das Opernglas, so sieht man den Opernbesucher
sitzen; er muß hören, spannen, schauen bald ins Textbuch,
bald durchs Opernglas. Er versucht das alte Kunststück:
283 —
oder Stadt eine gute Stimme — der oder die muß
zur Oper, sonst ginge sie ja der Mitwelt verloren. Zeigt
fich eine schriftstellerische Beanlagung gepaart mit Phantasie
und dramatischer Empfinduug, so kommen die Komponisten
gelaufen und wolleu einen Operntext geliefert haben. Wird
in der Geschichte irgend welchen Volkes oder in der
Dichtung irgend welches Poeten oder in der Sage irgend
welcher Zeit eine Szene voll dramatischen Lebens und
voller Gefühlswärme entdeckt, so heißt es: das müßte eine
effektvolle Oper geben. Wird eine neue Oper aufgesührt,
so erzählen die Zeitungen der alten und wohl auch der
neuen Welt von dem vier- bis siebzehnmaligen Hervor-
rufen des Komponisten. Geht eine Primadouna über die
Straße, so wird sie angestaunt, ehrfurchtsvoll begrüßt, und
einige der anderen gewohnlichen Sterblichen denken an die
5000 Mark Monatsgage, die sie ersingt. Man könnte
noch eindringlichere Beweise dafür anführen: die Oper
wird von einer großen Zahl von Menschen
für den Gipfelpnnkt d er heutigen Kunst ge-
halten.
War das von jeher so? Wird das so bleiben?
Verdient das die Oper? Hat die Oper erziehliche Be-
deutung? Jst sie in Wahrheit volkstümlich? Kann die
Oper erheben, belehren, läntern, bessern, vertiefen?
Holen wir einmal das kritische Sezirmesser hervor und
betrachten wir die Oper im nüchternen Lichtc des Tages,
sie, die verwöhnte Tochter glitzernden Rampenlichtes, sie,
die Buhlin des elektrischen Bühnenmondes.
Die Geschichte der Oper ist kurz, aber nicht er-
baulich. Die erste wirkliche Oper ist Peris Dasne; sie
wurde zuerst in Florenz, jedoch erst t627 in
Hamburg aufgeführt. Die moderne Oper beruht auf
Gluck; er verknüpfte das Drama mit der Musik; seine
bedeutendsten Erfolge errang er in Paris t77-z. Das
Volkstümliche gab der deutschen Oper Weber; sein Frei-
schütz wurde zum ersten Male t82t in Berlin gegeben.
Meyerbeer Lrachte Glanz, Pomp, Pracht, theatralisches
Rafsinement dazu; sein Robert wurde t8Zt in Paris
zuerst aufgeführt. Der Franzose Berlioz fügte die
glänzenden, bunten Farben des Orchesters hinzu. Dann
kam der Deutsche Wagner; er gab der Oper Größe in
Form und Jnhalt, Ernst der Gedanken, Tiefe der
Empfindung. Den allerneuesten Fortschritt Lezeichnen die
jungen Jtaliener Mascagni, Leoncavallo usw.; sie bringen
dramatische Kürze, Unmittelbarkeit im Ausdruck, ja sogar
eine gewisse Verknüpfung des Vorwurfs mit dem that-
sächlichen Leben der Gegenwart, bei Leoncavallo sogar auf
Grund thatsächlicher Ereignisse.
Schon diese kurze Skizze der Oper ist ungemein lehr-
reich. DieOper ist noch jung; zur Zeit als die
größten Shakespearedramen schon anfgeführt wurden, die
heute noch unübertroffen sind, wurde die Oper für
Deutschland erst geboren. Die Entwicklung derOper
ist merkwürdig rasch vor sich gegangen. Die
Oper hat der Menschheit nur kurze Zeit in
ein und derselbenForm gefallen, sie befindet
sich noch jetzt im Entwickeln, Berändern, Fortschreiten.
Das Drama ist dagegen viel älter; man giebt noch
heutigen Tages Schauspiele von mehrtausendjährigem Alter
(Vasantasena, altindisches Drama). Die Oper ist
ein Kind des Jnternationalismus; Jtaliener,
Franzosen, Dentsche haben sie entwickelt; fast alle Nationen
haben Stoffe für ihre Textbücher hergeliehen.
Versuchen wir einmal darzustellen, welche geistige Arbeit
der Hörer einer modernen Oper zu leisten hat, wenn er
sie ganz auffassen, wenn er ganz von ihr crgriffen sein will.
Er muß:
z. den Tept der Oper -— rein nur als Lautgebilde
verstanden — auffassen oder schon wissen;
2. er mnß den Jnhalt der Wörter verstehen und
verknüpfen;
3. er mnß die einzelnen Gedanken herausfinden unv
zusammenfügen, so daß ihm das Verständnis des
Hauptinhaltes aufgeht;
-z. er muß die einzelnen Melodien heraushören;
5. er muß das Charakteristische in den
Melodien, wodurch die Dichtung in Tönen
dargestellt werden soll, heraussühlen;
6. er mnß die eigenartige Orchesterbegleitung
hören und als schön empfinden;
7. er muß der schönen Wirkung der einzelnen
Singstimmen und ihrer harmonischen Zu-
sammenwirkung sich bewußt werden und sich
daran ergötzen;
8. er muß die zweckentsprechende plastische Dar-
stellung der Sänger erkennen und für schön
halten;
9. er muß die Schönheit der Kostüme, Be-
leuchtung, Dekoration usw. sehen.
Von einer schlichten Klarheit kann man da jedenfalls
nicht mehr reden. Die Hauptschwierigkeit ist jedoch die
Auffassung der einzelnen Momente noch nicht; die Haupt-
sache ist, daß der Hörer dies alles, die vielen verschiedenen
Darstellungssormen des Schönen nach ihrer besonderen
Seite hin als künstlerisch schön erfasseu und sie dann z u
einem schönen Ganzenin seinem Jnnern verweben
soll. Dazu gehört eine seelische Verknüpfungskrast, wie
sie durchaus nicht allen Hörern eigen ist. Es ist nun
aber der erste Grundsatz jedweden ästhetischen Genusses,
daß er, von aller Arbeit und Mühe frei, nur
eiue erhebende Erholung sei. Das Wertvollste
an jedem Kunstgenusse ist, daß der Hörer angeregt werde
zu eigener Mitarbeit; daß er selbst weiter denke, tiefer
fühle und vielleicht kräftiger handle. Der Mensch hält
die Wirkung der Künste dann sür tief und ergreifend,
wenn sein eigenes Selbst beim Anhören — denkend und
fühlend — beteiligt war. Das ist in der heutigen Oper
sast unmöglich; sie bietet zu viel, als daß der Hörer
noch überschüssige Kraft hätte, selbst mitzuschaffen; er ist
froh, wenn er alles aufnimmt, was geboten wird; von
einer geistigen Mitarbeit kaun nur ganz selten die Rede
sein. Der Hörer der Oper wird stets nur Weuiges tief
erfassen, das Andere aber oberflächlich, äußerlich. Die
Opern sind meist nach dem Rezept des bühnenverständigen
Theaterdirektors aus Goethes Faust gemacht: „Wer vieles
bringt, wird manchem etwas briugen; und jeder geht zu-
frieden aus dem Haus"; ihm kommt es eben nur darauf
an, daß sich der „Strom nach seiner Bude drängt."
Heutigen Tages ist es so: Der Eine geht Montags nicht
iu die Oper, weil nichts zu sehen ist, der Andere geht
gerade heute, weil nichts zu sehen, sondern nur zu hören
ist; und so ist das Urteil verschieden. Je nachdem der
Einzelne dies oder das leicht aussaßt, wird ihm die Oper
gefallen oder nicht. Jn der Linken das Textbuch, in der
Rechten das Opernglas, so sieht man den Opernbesucher
sitzen; er muß hören, spannen, schauen bald ins Textbuch,
bald durchs Opernglas. Er versucht das alte Kunststück:
283 —