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Kunstwart und Kulturwart — 26,2.1913

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Heft 10 (2. Februarheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14285#0347
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für alle die Familieir geworden,
in deren Häuser ihre Arbeit sie
führt. Es ist für sie nicht nötig,
die Hand überall im Spiele zu
haben, denn meist bleibt die eigent-
liche Hilfe den örtlichen Instanzen
überlassen. Aber sie stellt sozu-
sagen das Bindeglied zwischen den
Familien und den helfenden grö-
ßeren Organisationen dar und ver-
mittelt. Fmmer häufiger wird die
Wohnungsinspektorin geholt und
erwartet, immer seltener nur als
Aufsichtsbeamtin und manchmal
unwillkommene Ratgeberin aufge-
nommen. Die früher laut gewor-
dene Befürchtung, Franen könn-
ten sich unter der Arbeiterbevöl-
kerung Unannehmlichkeiten aus-
setzen, ist nicht eingetroffen, nur ist
manchmal darüber geklagt worden,
„daß eine Frau zu scharfe
Augen habe". „Im übrigen",
schreibt die Wohnungsinspektorin
in ihrem Bericht, „vollbringt man
mit Freundlichkeit und Humor oft
Wunderdiuge." Die tzauptschwie-
rigkeit lag in den meisten FLllen
darin, für kinderreiche Familien
genügend geräumige Wohnungen
zu einem Preise zu finden, der
nicht einen unmäßigen Zeil des
Einkommens verschlingt. Denn ge-
wöhnlich müssen solche Familien
für dieselbe Wohnung etwas höhere
Miete zahlen, als weniger kinder-
reiche, weil Kinder zu viel ver-
derben. Sie sind deshalb oft auf
ein ruheloses Amherziehen ange-
wiesen. Or. Kröhne, die Wormser
Wohnungsinspektorin, erwartet
Abhilfe von der Einrichtung eines
obligatorischen Wohnungs-
nachweises, mit dessen Leitung
ber Wohnungsinspektor zu be-
trauen wäre. Die Abstellung von
Baumängeln hat dagegen keine
Schwierigkeiten gemacht, weil die
meisten Wirte einsehen, daß sie
spätere Kosten sparen, wenn sie

rechtzeitig einschreiten. Als be-
sonders mühevoll erwies es sich,
die Leute von der Notwendigkeit
des Lüftens Zu überzeugen und
die Unsitte zu bekämpfen, daß im
Schlafzimmer gekocht und ge-
waschen wird. Vei dem kostspieli-
gen Brennmaterial sucht man die
WLrme im Zimmer zu erhalten;
man drängt sich im Winter lieber
möglichst eng zusammen. Beson-
ders schlimm ist's, weun man in
den schon oft zu kleinen Zimmern
auch noch die Kosten für genügend
Bettstellen scheut. Die Wohnungs-
inspektorin hatte daher oft große
Mühe, eine Verteilung der Schlaf-
gelegenheiten durchzusetzen, die den
Anforderungen der Gesundheit und
Sittlichkeit annähernd entsprach.
Bei manchen Frauen läßt sich
weniger durch den Hinweis auf
Hhgienische Notwendigkeiten errei-
chen, als dadurch, daß man ihren
Ehrgeiz und Stolz auf einen guten
Hausfrauenruf weckt. Daß es mit
den Hausfrauentugenden manchmal
nicht allzu geuau genommen wird,
ist oft aus der fürchterlichen Enge
der Verhältnisse zu erklären. Wenn
die Frau sich mit einer Schar
schreiender Kinder am Rocke immer
auf demselben Fleck herumdreht,
weun jede, auch unsaubere Arbeit
in eiu und demselben Raume vor
sich gehen muß, so wird man sich
die Vorliebe dieser Leute für eine
„Staatsstubc" erklären. An Sonn-
und Festtagen wollen sie sich doch
auch einmal aus der Alltäglich-
keit retten, sie wollen die frisch-
gewaschene Wäsche sauber aus der
Hand legen können, Festtagskuchen
und andere Vorräte vor der Be-
gehrlichkeit der Kinder bewahren
und anderes mehr. Die Wohnungs-
inspektorin hat diese Leute stets
freundlich ermuntert, auch in die
„gute SLube" ein Bett zu stellen.
Sie hat zur Vlumen- und Obst-

2. Februarheft M3 ' 287 !
 
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