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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 10 (2. Februarheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0376
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Ieder hat sernen Vorstellungs--
kreis von Preußen. Wer hat den
richtigen? Eine Wirklichkeit ist nie
mit einem Blick erschöpft. Nehrnt
alles in allem, so habt ihr „die"
Wirklichkeit. Aber wer mag dann
noch von „dem" preußischen Geist
reden und Preußen deswegen lieben
oder verachten, weil es so ist, wie
es ist?

Was geht uns Preußen an, wie
es ist? Das Preußen, das unser
deutsches Volk braucht, ist vor
allem das von s8s3. Ihm fallen
zu jeder Zeit, heut noch wie einst,
die andern deutschen Stämme und
Staaten aus freien SLücken zu, in
Krieg und Frieden. Chr. Wienecke

Zabern, Partei und Vater-
land

icht ein Maschinengewehr nur,
sondern auch ein Scheinwerfer
wurde auf dem Schloßplatz zu Zabern
aufgepflanzt, der wirft einen hellen
Strahl bis Memel und Myslowitz,
und was da plötzlich aufflattert oder
sich zu verkriechen sucht, gibt den
Naturforschern der öffentlichen Zu-
stände für lange Zeit Stoff zum
Nachdenken.

Was ist geschehn? Etwas, das wie
alle Lreignisse von verschiedenen
Richtungen aus betrachtet und ge-
wertet werden kann. Aber nun hat
der eine sein Herz ausschließlich an
die unbestreitbare Wahrheit gehängt,
daß Volk und Staat sich nur erhalten
können durch ein festes, unverwirr-
tes Heer. Der andre nur an die
nicht minder unbestreitbareWahrheit,
daß Volk und Staat nur bestehen
können, wenn die durch die Gesetze
abgesteckte Grenze der Freiheit jedes
einzelnen Bürgers unbedingt ge-
achtet wird. Der eine sieht allein,
daß die Ehre der Offiziere beschimpft
wurde, der andre allein, daß ruhige
Bürger schuldlos ins Loch gesteckt
und festgehalten wurden. Statt nüch-
tern beide Tatsachen zu erfassen und

nach Maßgabe beider Wahrheiten
eine gerechte Sühne und einen bil-
ligen Ausgleich für wünschenswert
zu halten, ruft der eine erregt: „Das
tzeer! Das Heer!" der andre: „Das
Volk! Das Volk!« Statt daß jeder
des andern Sorge und die vaterlän-
dischen Beweggründe dieser Sorge
zu verstehn und zu würdigen sucht,
erbost sich der eine über die staats-
gefährlichen„Demokraten«, der andre
über die staatsgefährlichen „Iunker"
und „Anhänger der Säbeldiktatur".

Dem Vaterland ist durch die-
ses gegenseitige Verketzern ganz ge-
wiß nicht gedient. Wer hat dann ein
Interesse daran? Die Parteien,
die Anhänger an sich ziehn wollen.
Man hört oft: allein durch die Par-
tei kannst du dem Vaterlande die-
nen. Diene ich ihm, wenn ich einen
der beiden Partei-Schlachtrufe an-
stimme?

Als das Ereignis geschehn war,
gab es zwei schlichte Fragen: Was
ist geschehn? Was ist gerecht?
Es gab eine Wirklichkeit und eine
Gerechtigkeit. Aber die Erregung
bannte unsern Blick auf ein Teil-
geschehen, das Geschrei verhinderte
die ruhige Aussprache und Verstän-
digung. Die Rechtsfrage wurde eine
Machtfrage. Ieder glaubte, das
Vaterland könne nur dadurch ge-
rettet werden, daß sein Schlacht-
gesang den der „Gegner" übertöne,
daß der „Gegner niedergerungen"
werde.

Das Bedeutsamste aber ist, wie
unser Volk sich bei diesen Vor-
gängen verhält. Nicht die Partei-
redner, nicht die Minister, nicht die
Zeitungen, sondern alle wir einzel-
nen mit unsern besonderen Aufgaben
und Interessen, wir Volk.

Hunderte von Schmähkarten, Er-
munterungs- und Glückwunschkarten
erhielten der Leutnant von Forstner
und der Oberst von Reuter. Dieser
erhielt außerdem in den Tagen nach
der Gerichtsverhandlung fünfzehn-
 
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