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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 10 (2. Februarheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0375

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von dem wrrklichen Sachverhalt ma-
chen. Auch das Vertagungsunwesen
fällt hier weg. Auffälligerweise sind
aber die Ergebnisse der Verhand-
lungen nicht eben viele Entscheidun-
gen, sondern viele, sehr viele Ver-
gleiche. Meist einigen sich die Par-
teien schon im ersten Termin vor dem
juristischen — gleich dem Amtsrichter
„streng formalistisch" geschulten —
Vorsitzenden, ohne daß noch die bei-
den „sachverständigen Männer mit
den klugen Blicken" hinzugezogen
waren. Kommt es aber in Streit-
fällen doch zur Mitwirkung der Bei-
sitzer und zu Beweiserhebungen, so
endet auch hier die weitaus größte
Zahl der Prozesse mit einem Ver-
gleich, der vor diesen Sondergerich-
ten, wo nicht hohe Anwaltskosten
hindernd im Wege stehen, natürlich
viel leichter zustande kommt als vor
den ordentlichen Gerichten. Und
durch eine solche auf gegenseitigem
Nachgeben beruhende gütliche Eini-
gung wird oft der Billigkeit und den
richtig verstandenen Interessen der
Parteien mehr gedient, als durch
einen an das Gesetz gebundenen Ur-
teilsspruch. Das Gericht kann nicht
alle Fälle des vielgestaltigen Lebens
treffen und seine Anwendung wird
manchmal unvermeidliche Härten zur
Folge haben. Lummum jus, Lnmma,
iojnria.

Leider sind dem Amtsgericht die
Vorteile der Sondergerichte nicht
zugewendet worden, so wünschens-
wert es namentlich für die Klein-
justiz wäre. Hier wird der kleine
Mietstreit im wesentlichen nach den-
selben Formen erledigt wie der Mil-
lionenprozeß im Landgericht. Das
Gericht kann zwar das persönliche
Erscheinen der Parteien anordnen,
aber sie brauchen nicht zu kommen,
und wenn sie kommen, brauchen sie
nichts zu sagen, sondern können, wie
ihnen meist geraten wird, ihre An-
wälte für sich reden lassen. G

Preußen

as stellen wir uns unter Preu»
ßen v o r, und was i st Preußen?

Die einen stellen sich vor: Iunker
mit Reitstiefeln und Hundepeitschen,
die jährlich nur ein Buch kaufen,
den Kalender. Polnische Zucker-
rübenhacker. Elende Schulhäuser,
hungernde Lehrer. Leutnants mit
schnarrender Stimme, schnauzende
Unteroffiziere. Schneidige Staats»
anwälte. Pastoren, die an einen
leibhaftigen Teufel mit Schwanz und
Pserdefuß glauben. Ieder zweite
Einwohner ein Schutzmann. Sie-
gesallee. Himmeldonnerwetterpolitik.
Und wenn man Münchner ist: das
Land, wo eigentlich die vielen Sach-
sen herkommen.

Die andern: Pünktliche Eisenbah-
nen. Saubere Straßen. Flottes
Geschäft. Stramme Haltung. Auf-
geweckte Iungen und Mädel. Lustige
Militärmusik. Prompte, wennschon
etwas schnodderige Zungenfertigkeit.
Unternehmungslustige, zupackende
Hände. Kräftige Ellenbogen.

Die dritten: Mannentreue gegen
den gnädigsten Kurfürsten und Herrn.
Doktor Martin Luthers Bibel in
schwieliger Bauernhand. Roggenbrot
und dicke Milch im Schapp. Eiserner
Fleiß, der Sand und Moor in frucht-
bare Felder verwandelt. Treu in
den hergebrachten Ständen dahin-
lebende Menschen. Landwehrmänner,
die in Kampfeswut mit dem Kolben
zuschlagen, einer gegen zehn.

Die vierten: Das Vaterland Fried-
richs des Großen und Kants. Das
erwählte Vaterland Fichtes und
Arndts. Das Land, wo Minister
zu Hegels Füßen saßen. Die Kirche,
in der Schleiermacher predigte, die
Universität, an der Iakob Grimm,
Treitschke, Mommsen lehrten. Schlü-
ters und Schinkels Bauten und Denk-
mäler. Chodowieckis Stiche. Men-
zels Bilder. Scharnhorsts, Clause-
witzens und Moltkes Heer.

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