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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Austritt aus der Kirche?
DOI Artikel:
Barkow, Johannes: Die reinen Toren und ihr Beruf, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0026

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scheir Gegenständlichkeiten, die uns in zahllosen Akten als religiöse Vor-
stellungen und Begriffe auftauchen, zu einem „festen" System, das doch
nie und nimmer die Festigkeit der Systeme der Wirklichkeitserkenntnis
hat, deren Gegenstände in den geistigen Akten selbst beschlossen liegen.
Ein Erkenntnisakt enthält seinen Gegenstand, ein religiöser
Erkenntnisakt — wenn man ihn, um eine Parallele zum Vergleich zu
haben, so nennen will — umfaßt nur ein Symbol. Es ist eine innere
Rnmöglichkeit, mit der sich viele Köpfe in der Kirche abplagen, daraus
so etwas wie eine wissenschaftliche Lehre zu machen und zu tun, als ob
diese Lehre das Gemeinschaftsbildende sei. In Wirklichkeit ist's doch s o:
die Gemeinschaft besteht nur, weil man sie will. Darum soll man nicht
immer eine bestimmte „Lehre" als christlich bezeichnen, sondern den Men-
schen, der die christliche Gemeinschaft will. Und die will jeder, der ihr
dienen möchte, auch dadurch dienen möchte, daß er an ihrer Fortent-
wicklung arbeitet. Er gerade tut der Kirche vielleicht den nützlichsten Dienst:
er hilft, daß wieder frischer Saft in die alten Aste aufsteigt.

Wilhelm Stapel

Die reinen Toren und ihr Beruf

^-^^enn im folgenden von reinen Toren gehandelt wird, so soll damit
« Hnicht ein neuer Irrtum verbreitet werden, als könnten leibhaftige
Ideale auf unserm Planeten wandeln. Alles, was Mensch heißt,
muß hinter dem rechten Parsifal immer weit zurückbleiben; denn die Erde
pflegt ja nur recht unvollkommene reine Toren zu tragen. Aber auch
diese unterscheiden sich immerhin noch genug von den Kindern der Welt,
so daß es gestattet sein möge, sie hier nach ihrem leuchtenden Vorbilde
zu benennen.

Es handelt sich also um Menschen, die, von ihren Kameraden ver-
spottet, scheinbar sehr viel langsamer ins Verständnis des Lebens ein-
wachsen, scheinbar sehr viel einfältiger aus den arglosen Augen schauen
und in der Tat die allgemeinen Erfahrungen des jungen Menschen erst
in einer Zeit machen, in welcher jene andern sie schon längst an den
Sohlen abgelaufen haben. Ein Iüngling dieser Art erscheint manchem
merkwürdig, weil er etwa von sexuellen Problemen wenig angefochten
wird. Man schüttelt wohl den Kopf über seine Bemerkungen zu diesem
Thema, weil sie sich gar nicht recht mit dem schon sprießenden Bart in
Einklang bringen lassen. Man wundert sich über seine Ideale und über
die Scheu seiner Seele, von andern anders, nämlich schlechter, zu denken
als von sich selbst; denn obgleich ihm wohl bewußt ist, daß die Menschen
im Guten verschieden sind, wird es ihm doch schwer, an unedle Beweg-
gründe zu glauben. Und noch andres Sonderbare sagt man ihm nach:
daß er der Weiblichkeit die Palme paradiesischer Anschuld zuerkenne und
dem eignen Geschlecht nichts als die Rolle eines Unschuldwächters; daß
er erröte, wenn jemand von der Neinheit seiner Gesinnung anerkennend
spricht, und Farbe behalte, wenn in seiner Gegenwart Andeutungen eroti-
schen Charakters fallen; daß er, älter geworden, die Pflicht der Ver-
ehelichung zu erfüllen sich anschicke und als ein rechter Tor seine Zukunft
an seinen ersten wirklichen Sündenfall zu ketten imstande sei, angeblich,
um vor seinem Ideal bestehen zu können, das er doch selbst damit so viel
niedriger hänge.
 
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