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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 8 (2. Januarheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0167

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Vom Heute fürs Morgen

Beim Rückblicke auf die
Iahrhundertfeiern

wir glauben, daß an deut-
^»^schem Wesen die Welt genesen
soll, so besagt das: wir halten die
germanische Menschheit der An-
lage nach für besser als den Durch-
schnitt der übrigen. Das gibt uns
keinen Freibrief für Hochmut, son«
dern es hat zur Konsequenz, daß
wir mehr von uns verlangen
als von andern. Wir glauben, daß
gerade deutscher Ernst und deutsche
Gründlichkeit, die Lauterkeit, Rein-
lichkeit und Ehrlichkeit der deutschen
Anlage in Verbindung mit unsrer
Produktivität uns zur ersten Stel-
lung in der Welt berufen; denn nur
der Menschlichste, der innerlich
Reichste kann in freiem Schafsen
ein Führer sein. Er allein wird
und muß es freilich ganz natur-
gemäß überall sein.

Insolchem Sinne bekennen wir
uns zur welterobernden Deutschheit.
Es gilt zunächst, unser Volkstum
durch Waffenmacht zu sichern und
zu stärken. Dann: fester zu knüpfen,
was unser Volk mit seinen Stam-
mesverwandten verbindet. Aber
jede Ausdehnung unsrer Macht, die
nicht aus innerer Äberlegenheit
erwächst, ist eitel und kann nur von
kurzer Dauer sein. Deshalb ist uns
mit Reden und — Schreien wenig
geholfen. Es steht heute durchaus
nicht gut um die deutsche Kultur in
der Welt. Glaubt man, daß der
Deutsche täglich verhaßter würde —
und wer das Ausland kennt, weiß:
er wird es — , wenn er der Welt
noch so viel an edeln Werten gäbe,
wie früher? Auf der Leipziger
Buchgewerbe-Ausstellung in diesem
Iahre soll eine besondere Abteilung
der deutschen Kultur im Auslande

gewidmet werden — wir fürchten,
man wird dabei entdecken, daß der
Ruf unsrer Kultur ganz vorzugs-
weise auf frühere Großtaten ge-
gründet ist. Auf diesen Gebieten
haben sich die bahnbrechenden Per-
sönlichkeiten von Weltruf nicht ent-
sprechend unsrer Volksmenge ver-
mehrt.

Deshalb müssen wir die Ziele
nationaler Kulturarbeit vor allem
im Innern suchen. Allernationalste
Arbeit ist die Bekämpfung des An-
wahrhaftigen, Anechten, „Gemach-
ten", Unlauteren, das wir als sol -
ches schon als undeutsch empfinden
müssen, als Wurzelschwächung
unsrer nationalen Kraft. Was tun
wir, um den schöpferischen Genius
unsres Volkes zu entfalten, wie pfle-
gen wir die Blüten des Geistes, die
das deutsche Volk zu seinem Führer-
berufe in der Welt befähigen?

Wenn wir mehr Klarheit über
den Gedanken der nationalen Arbeit
schaffen könnten, dann wäre eine
Aberbrückung der Gegensätze im
deutschen Leben leichter. Mit Recht
wird immer wieder als das schönste
Merkmal der preußischen Erhebung
von M3 gepriesen, daß damals
das ganze Volk, unter dem Drucke
der Not zu einer unlöslichen Ein-
heit zusammengeschmiedet, für eine
gemeinsame Angelegenheit lebte.
Aber muß immer erst solche Not
kommen, damit das möglich ist?
Sind unsre heutigen Nöte nicht
groß genug? Durch alle Lebens-
erscheinungen geht übermächtig der
eine wirtschaftliche Einfluß, der Ge-
stalten annimmt, die früher nicht
denkbar waren, und das Kultur-
leben mit kaltem Bewußtsein fälscht.
Wir hoffen, daß diesem Chaos der-
einst ein schöneres harmonischeres
Menschheitsbild entsteige. Aber jetzt

Il33
 
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