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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
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Schmidt, Leopold: Musikalische Wunderkinder
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Schulz-Mehrin, Otto: Technik und Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0507

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jungen Heisetz hört, sollte glauben, daß ihm die Zusammenhänge zwischen
Kunst und Leben aufgegangen und kein Leid und keine Lust ihm fremd
seien. Noch andere Beobachtungen kommen hinzu. Der junge Pepito
Ariola transponierte, von kindlichen Spielen abberusen, sofort jedes eigene
oder fremde Musikstück, das er im Gedächtnis trug, in jede verlangte
Lonart und spielte, aus den „Meistersingern" kommend, ganze Partien
des eben gehörten Werkes aus dem Kopse. Das alles sind Fähigkeiten,
die nicht oder nicht am besten nur „unbewußt" ausgeübt werden.

Wir müssen also nach einem positiven Grund suchen, wenn wir uns
die Tatsache des musikalischen Wunderkindertums wenigstens einiger-
maßen erklären wollen. Dieser Grund kann einzig und allein im Wesen
der Tonkunst selbst gefunden werden. Bekanntlich sind auf keinem andern
geistigen Gebiete so frühe Entwicklungsmöglichkeiten gegeben. Was zu-
weilen etwa an zeichnerischer oder dichterischer Anlage bei Kindern
beobachtet wird, ist nichts als Nachahmungs- und Formtalent und hält
keinen Vergleich mit der musikalischen Frühreife aus. Es bleibt nur die
Annahme übrig, daß die Welt des Musikers eine Welt für sich ist, die
andern Gesetzen gehorcht als die wirkliche, und die ihre eigenen Bedingt-
heiten und Zusammenhänge aufweist. Hat doch das innere Ohr seine
eigene Logik, die mit der Logik des Denkens nicht identisch ist, und ist
doch die Musik die einzige unter den Künsten, die völlig von der Wirklich-
keit abstrahiert. In dieser Kunst, die nach Schopenhauer nicht die Dinge
selber, sondern ihre Idee darstellt, das heißt ihrem Inhalte nach nicht
Vorstellung, sondern Wille ist, mag es denn auch keine Grade der Er-
kenntnis geben, die von Altersstufen des Menschen abhängig sind. Der
ihr einmal erschlossenen Seele ist tieferes Schauen gegeben, in dem sich
die Welt nicht stückweis wie durch die Erfahrung offenbart. Das ist zwar
keine Erklärung im wissenschaftlichen Sinne, aber sie muß uns genügen,
weil es wohl nie möglich sein wird, in diese Geheimnisse hineinzuleuchten.
Wenn Wunder Wahrnehmungen sind, die wir weder zu leugnen noch
verstandesmäßig zu begreisen vermögen, so darf man daher getrost von
einem Wunder in der Musik sprechen. Leopold Schmidt

Technik und ÄstheLik

^W^er Mensch will Schönheit in seinem Dasein. Möglichst alles, was
Aihn umgibt, soll dem ihm innewohnenden Schönheitsempfinden
entsprechen. Schön will er sein Kleid, schön sein Haus und tzaus-
gerät, schön jeden Gegenstand, den er gebraucht.

Es ist nun, wie bekannt, eine Ansicht der neueren Asthetik, daß Gegen-
stände, die irgendeinem Gebrauchszweck dienen, unserm Schönheitsempfinden
um so besser gerecht werden, je besser sie ihrem Zwecke entsprechen, daß
also engste Verwandtschaft sei zwischen Schönheit und Zweckmäßigkeit. Frei-
lich, der Gedanke scheint oft mit den Tatsachen im Widerspruch zu stehen.
Daß Maschinen und Fabriken nicht schön sein können, ist im großen
Publikum immer noch fast ein Dogma. Nnd sicherlich gibt es besonders
unter den Fabrikbauten geradezu abstoßend häßliche Formen. Doch wer
beweist nun, daß diese häßlichen Maschinen und Fabriken zweckmäßig
seien?

In einem höhern Sinne sind sie es keinesfalls. Der letzte Zweck der
Technik ist ja nicht der, irgendwelchen Unternehmern oder Kapitalisten-

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