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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1917)
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Avenarius, Ferdinand: Volk und Heer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0015

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Iahrg. 27 Erstes Ianuarheft 1914 tzeft 7

Volk und Heer

Tage von Zabern und mehr noch die Tage nachher haben sehr
^H^vielen Menschen im Vaterland wieder einmal und haben wohl
^^manchen konservativen Männern zum ersten Male bewußt gemacht,
daß das Verhältnis zwischen Volk und Heer in unserem Vaterlande nicht
ist, wie es sein sollte, und nicht ist, wie es bleiben darf. Eine Fest-
stellung, die keine Frage nach Wert oder Unwert der Armee und nach
irgendeiner ^Schuld" in sich schließt. Wir wollen auch im folgenden
durchaus von Vorwürfen absehen — tzilfe brauchen wir alle, links
und rechts, nicht parteiische Ausnutzung. Bei allen Parteien ist diesmal
empfunden worden, was bei kleinen Erlebnissen tagtäglich irgendwo humo-
ristisch oder auch nur komisch oder aber lächerlich hervortritt, denn es ist
jetzt mit Lärm- und Gewaltszenen in unserem Bewußtsein vornhin gedrängt:
die Künstlichkeit in einigen Erscheinungen unsrer Armee.

Sie kommt aus der geschichtlichen Entwicklung. Friedrichs des Großen
Heer war eine fast wundergleich arbeitende Waffe, wie die Welt noch
keine kannte, und nicht die einzige, aber eine der wichtigsten Grundlagen
seiner Vollkommenheit war die Gesinnung und die Tüchtigkeit des kern-
gesunden, anspruchslosen, treuen, opferwilligen preußischen Landadels,
der seinem Könige die Offiziere gab. Sie war nicht die einzige Grund-
lage: der preußische Landjunker war auch noch da, und doch kam Iena. Nun
bauten die Resormer ein neues Heer, das sie dachten als Volksheer. Das
Feuer jeder Erhebung, der von sZ wie von 66 und 70 schmiedete das
Alte und das Neue darin auch wirklich in eins. In Friedenszeiten?
Welcher Narr könnte bezweifeln, daß sich unser Heer trotz der gelegent-
lichen Verfehlungen im ganzen auch hier bisher vortrefflich bewährt hat,
aber seine innere Organisation hat in einem ihre Aufgabe noch nicht
gelöst. Die beiden Hauptelemente im Heer haben sich verändert: der Adel
ist heute in manchem anders, als er einstens war, vor allem aber ist
das Volk nicht mehr, was es war. Der Kaiser selbst hat das Wort be-
stätigt, daß wir im Zeitalter des Verkehrs leben. Des Verkehrs im
weitesten Sinne! Die Freizügigkeit der Körper und die Freizügigkeit der
Gedanken hat die Massen ihrer natürlichen Rechte und ihrer Macht
bewußt gemacht und damit ihr Selbstgefühl erhöht, so daß heute
der vierte Stand etwas anderes ist, als er noch vor fünfzig Iahren
war. Heut fühlt er sich auch außerhalb der Sozialdemokratie nicht
mehr wie zu Friedrichs, nicht mehr wie zu Friedrich Wilhelms und
auch nicht mehr wie zu Wilhelms des Ersten Zeit als Untertan, seine
Angehörigen fühlen sich als am Ganzen Mitberechtigte, als Mitbestimmer,
und unserer Verfassung nach sind sie das auch. Dann: wir haben die
allgemeine Dienstpflicht. Früher hätte der Berusssoldat eine Vor-Ehre
vielleicht beanspruchen können, weil er allein Blut und Leben fürs Vater-
 
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