und für immer in die Hände von Reich, Staat und Gemeinde legt. Als
dann wird die Ichsucht der Einzelnen gar nicht mehr auf den Gedanken
kommen, mit dem Boden zu wuchern, alsdann wird man ganz von selbst
aufhören, Mietkasernen aufzuführen, und es wird die Ichsucht des Bau-
herrn selber sein, die es lohnend findet, gartenstädtisch zu bauen.
Es ist nun leider nicht zuviel gesagt, daß wir in all den oerschiedenen
Gebieten unserer Ausdruckskulturbewegung, in der geistigen wie in der wirt-
schaftlichen, in der einzeltümlichen wie in der politischen, eine zunehmende
Zahl solcher ganz neuer Sackgassen antreffen. Es geht uns merkwürdig
mit ihnen. Wir dürfen uns ihrer erfreuen als doch schon jetzt greifbarer
Erfolge, aber wir dürfen nie vergessen, daß es sich immer nur um Früh-
blüten handelt, die vielleicht ohne weiterzeugende Frucht bleiben. And oft
bedeuten sie gerade durch ihr rasches Emporblühen eine Gefahr für die
große Sache selbst, indem sie die hochverräterische Stimmung erwecken:
Wir Realisten, was brauchen wir euch Idealisten! Karl Polenske
Musikalischer Nückblick
^m^as Iahr geht zur Rüste. Ruhebedürstig haben die Musikanten sür
^THeine kurze Festzeit ihre Instrumente aus der Hand gelegt, doch
^(-^nur, um nach Neujahr die Gunst und Ausdauer des Publiküms
wieder um so eifriger auf die Probe zu stellen. Der ständige Gast der
Konzertsäle aber kann einen Augenblick nachdenken, seine Lindrücke sam-
meln und nach dem Ergebnis des abgelaufenen Iahres fragen.
Die Aberfülle musikalischer Genüsse, die in jedem Winter geboten wer-
den, haben uns längst ungerecht gemacht. Nicht nur gegen den ein-
zelnen Künstler und den Durchschnitt der Leistungen, sondern auch gegen
den großstädtischen Musikbetrieb an sich. Gewiß ist zu beklagen, daß
die Musik fast nur noch in der Offentlichkeit lebt. Wer es gut mit
ihr meint, muß wünschen, sie möge sich wieder mehr in das Haus
und zu edler Geselligkeit als in ihre natürliche tzeimat zurückfinden.
Dann wird auch die krankhafte Lrscheinung, daß die meisten Menschen Musik
nur in der Offentlichkeit, unter der Wirkung der Massensuggestion
und der gegenseitigen Anregung genießen können, wieder verschwinden,
und das Gefühl für die Freuden des intimen und persönlichen
Genusses bei vielen wenigstens erstarken. Aber solange die jetzigen Zu-
stände nun einmal herrschen, hat es keinen Sinn, immer und immer
nur wieder mit ihren Schattenseiten zu hadern. Die soll man weder
verkennen noch verschweigen; aber weil uns so vieles, was unecht oder
bedeutungslos ist, belästigt, braucht man die Vorteile noch nicht zu über-
sehn, die selbst die schlimmste Massenproduktion im Gefolge hat. Greifen
wir einen typischen Berliner Konzertabend heraus. An einer Stelle macht
Iaques Dalcroze für seine rhythmische Gymnastik Propaganda und er-
freut die Zuschauer durch die Abungen und Reigentänze seiner Zög-
linge; an einer andern begleitet Richard Strauß einem Sänger wie Franz
Steiner eine Anzahl seiner Lieder, und zu gleicher Zeit reißen der Russe
Baklanoff und der unvergleichliche spanische Eellist Pablo Casals das
elegante Publikum eines vornehmen Hotels um die Wette zu „frenetischem
Beifall" hin. In fünf bis sechs andern Sälen und in fünf Theatern
wird gleichfalls musiziert. Welche Stadt der Welt hat ähnliches zu bieten?
Der Musikfreund, der nicht wie etwa der Kritiker all das nach- und durch-
t8
dann wird die Ichsucht der Einzelnen gar nicht mehr auf den Gedanken
kommen, mit dem Boden zu wuchern, alsdann wird man ganz von selbst
aufhören, Mietkasernen aufzuführen, und es wird die Ichsucht des Bau-
herrn selber sein, die es lohnend findet, gartenstädtisch zu bauen.
Es ist nun leider nicht zuviel gesagt, daß wir in all den oerschiedenen
Gebieten unserer Ausdruckskulturbewegung, in der geistigen wie in der wirt-
schaftlichen, in der einzeltümlichen wie in der politischen, eine zunehmende
Zahl solcher ganz neuer Sackgassen antreffen. Es geht uns merkwürdig
mit ihnen. Wir dürfen uns ihrer erfreuen als doch schon jetzt greifbarer
Erfolge, aber wir dürfen nie vergessen, daß es sich immer nur um Früh-
blüten handelt, die vielleicht ohne weiterzeugende Frucht bleiben. And oft
bedeuten sie gerade durch ihr rasches Emporblühen eine Gefahr für die
große Sache selbst, indem sie die hochverräterische Stimmung erwecken:
Wir Realisten, was brauchen wir euch Idealisten! Karl Polenske
Musikalischer Nückblick
^m^as Iahr geht zur Rüste. Ruhebedürstig haben die Musikanten sür
^THeine kurze Festzeit ihre Instrumente aus der Hand gelegt, doch
^(-^nur, um nach Neujahr die Gunst und Ausdauer des Publiküms
wieder um so eifriger auf die Probe zu stellen. Der ständige Gast der
Konzertsäle aber kann einen Augenblick nachdenken, seine Lindrücke sam-
meln und nach dem Ergebnis des abgelaufenen Iahres fragen.
Die Aberfülle musikalischer Genüsse, die in jedem Winter geboten wer-
den, haben uns längst ungerecht gemacht. Nicht nur gegen den ein-
zelnen Künstler und den Durchschnitt der Leistungen, sondern auch gegen
den großstädtischen Musikbetrieb an sich. Gewiß ist zu beklagen, daß
die Musik fast nur noch in der Offentlichkeit lebt. Wer es gut mit
ihr meint, muß wünschen, sie möge sich wieder mehr in das Haus
und zu edler Geselligkeit als in ihre natürliche tzeimat zurückfinden.
Dann wird auch die krankhafte Lrscheinung, daß die meisten Menschen Musik
nur in der Offentlichkeit, unter der Wirkung der Massensuggestion
und der gegenseitigen Anregung genießen können, wieder verschwinden,
und das Gefühl für die Freuden des intimen und persönlichen
Genusses bei vielen wenigstens erstarken. Aber solange die jetzigen Zu-
stände nun einmal herrschen, hat es keinen Sinn, immer und immer
nur wieder mit ihren Schattenseiten zu hadern. Die soll man weder
verkennen noch verschweigen; aber weil uns so vieles, was unecht oder
bedeutungslos ist, belästigt, braucht man die Vorteile noch nicht zu über-
sehn, die selbst die schlimmste Massenproduktion im Gefolge hat. Greifen
wir einen typischen Berliner Konzertabend heraus. An einer Stelle macht
Iaques Dalcroze für seine rhythmische Gymnastik Propaganda und er-
freut die Zuschauer durch die Abungen und Reigentänze seiner Zög-
linge; an einer andern begleitet Richard Strauß einem Sänger wie Franz
Steiner eine Anzahl seiner Lieder, und zu gleicher Zeit reißen der Russe
Baklanoff und der unvergleichliche spanische Eellist Pablo Casals das
elegante Publikum eines vornehmen Hotels um die Wette zu „frenetischem
Beifall" hin. In fünf bis sechs andern Sälen und in fünf Theatern
wird gleichfalls musiziert. Welche Stadt der Welt hat ähnliches zu bieten?
Der Musikfreund, der nicht wie etwa der Kritiker all das nach- und durch-
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