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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
DOI Artikel:
Salomon, Alice: Freiwillige und besoldete soziale Arbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0510

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Freiwillige und besoldete soziale Arbeit

^^s ist gerade zwanzig Iahre her, daß in Dentschland eine Bewegung
einsetzte, um die Frauen und auch die jungen Mädchen der gebildeten
^»^Kreise in planmäßiger Weise zu sozialer Arbeit heranzuziehen. Was
an diesem Versuch neu war, das lag in der Tatsache, daß nicht irgendeine
Wohlfahrtsanstalt bestimmte Hilfeleistungen von ihren Mitgliedern be-
gehrte, oder für eine konkrete Aufgabe Kräfte gewann. Das war schon
seit langem in vaterländischen und kirchlichen Frauenvereinen, Nähschulen
und Kindergottesdiensten geschehen. Vielmehr wollte man die
brach liegenden weiblichen Kräfte um ihrer selbst willen
nutzen. Sie sollten ein Wert für die Gemeinschaft werden. Was
ihnen im Haus an Aufgaben verloren gegangen war, das sollten sie
im sozialen Leben wiedergewinnen. Aber indem man die schlummernden
Gaben weckte, die seelische Not vieler nach Lebensinhalt verlangender
Mädchen beseitigte, ging man zugleich an die große, reale Not der sozialen
Frage heran. Die wohlhabende Frau sollte ihr Haus verlassen, um die
für den Lebensunterhalt kämpfende Gefchlechtsgenossin der Familie wenig-
stens in befcheidenem Amfange zurückzugeben. Die „höhere Tochter",
die lebensfremd und in einseitig ästhetischem Interessenkreis erzogen war,
sollte ihre sozialen Pflichten erkennen, und an der Beseitigung sozialer
Gegensätze mitarbeiten lernen.

Die Organisation, die damals entstand, fand natürlich ihre zahl-
reichsten Anhänger unter denen, die in der Lat keinen sie ausfüllenden
Aufgabenkreis hatten: unter den Töchtern des Mittelstandes und der
wohlhabenden Stände. Diefe hatten durch die wirtschaftlichen Nmwälzungen
ihren Wirkungskreis verloren. Für sie bot das Haus und die Familie
nicht mehr die Pflichten, wie ehedem, und andererseits lag der Gedanke
einer Berufsarbeit der Mädchen diesen Gefellschaftsschichten damals meist
noch fern. Für sie bedeutete der Ruf zu einer Arbeit, bei der sie ge-
braucht wurden, bei der sie andern etwas sein konnten, die Eröffnung
neuer Gefichtskreise, beglückende Möglichkeiten von Lebenszweck und Lebens-
inhalt. In weiten Kreisen bürgerte sich der Gedanke ein, daß es eine
Ehrenpflicht jedes Mädchens sei, solche freiwillige soziale Arbeit zu leisten.

Diese soziale Arbeit scheint neuerdings bedroht. Die Rekrutierung
der Hilfstruppen vollzieht sich schwerer, langsamer. Gerade die begabtesten
unter den jungen Mädchen halten sich oft fern. Dafür sind mancherlei
Erklärungen zu finden. Die Berufsmöglichkeiten haben sich sehr vermehrt;
die Vorbereitung der Mädchen zur Berufsarbeit ist allgemein geworden.
Es gibt — wenigstens in der Großstadt — nicht mehr viele brach liegende
Mädchenkräfte. Die Art, die nichts tat als „warten, ob etwas käme, das
sie mitnähme", ist nach und nach beinahe verschwunden. Die weibliche
Iugend von heute arbeitet für ein Examen oder steht in irgendeiner
Erwerbsarbeit, genau so, wie die männliche Iugend das längft tat. Da
bleibt für die „freiwillige" foziale Arbeit nicht viel Zeit übrig.

Darf man sich nun mit diesen Tatsachen abfinden? Oder muß man
nicht gerade unter diesen Umständen in den Mädchen den Gedanken
lebendig machen, daß auch die berufstätige Frau der Gemeinschaft etwas
schuldig ist, und ihr Dienste leisten, für sie Bürgerpflichten erfüllen soll?
Nns scheint: es ist ganz sicherlich in den Frauen Verständnis dafür zu
wecken, daß ein Teil ihrer Zeit und Kraft pflichtmäßig der Gesellfchaft

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