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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1914)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Gestalten und Puppen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0118

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1 Iahrg. 27 Zweites Ianuarheft 1914 Heft 8 ^

Gestalten und Pnppen

^^üngst erlitt ich vor der Bühne Ernst Hardts «Gudrun«. Tiraden und
^^Fanfaren, Theatergeklapper und Theatergeschrei mit allen Arrange-
^^ments der Spekulation — im Kreis meiner Bekannten war nicht
einer, der aus dieser Trompete was andres als gedrechselten Wind ver-
nahm. Mir war, als säh ich den Verfasser hinter den Kleidern der Sagen-
Gudrun herhaschen, da und dort fing er ein Stück, riß es ab, zeigte es

aufgeregt triumphierend, kramte aus eigner Tasche bunte Lappen dazu,

schneiderte das zusammen und zog es über eine Puppe mit hochmoderner
Mechanik, die nun nach seinen Griffen mit dem unechten Ton des Phono-
graphen deklamierte und sich kinematographengemäß bewegte. Dabei aber
war er nicht nur überzeugt, er dichte, nein sogar: er belebe Gudrun

sür die Gegenwart. Sie selber jedoch, die lebendige, die irgendwo im

Hintergrund stand, sah fremd über diese Alberne hinweg, die dort auf
der Bühne von Frau Gerlinds Mägden mißhandelt werden sollte und
vom Verfasser mißhandelt wurde. Äber diese Kleine da, die sich eins, zwei,
drei in einen verschoß, der brav focht, die aller Enden lang die Bedeutung
ihres Ichs in einem Wert betonte, wie ihn der Gothaische Hofkalender
verzeichnet, dieses Fräulein, die deklamierte, daß sie aus Stolz diene,
aber mit großer Gebärde ihre Wäsche erst ins Meer warf, als sie sich
durch ihre Leute gedeckt glaubte, diese sogenannte Gudrun, die eigentlich
den andern liebte. Nein, die echte Gudrun konnte wirklich nicht auf den
Gedanken kommen, dieses klägliche Kind einer kläglichen Mache solle sie
sein. Und diese ununterbrochen herumhantierende, im Grunde ach, so
„schlotterichte" Königin da — das sollte die Gerlind sein, die sie ge-
quält hatte, die „böse Teufelin" des alten Liedes, die ins Tiefste ge-
troffene rasende Ehrgeizige? Diese sogenannte Gudrun da liebte ja im
Grunde sogar diese sogenannte Gerlind, nur daß sie zu dumm war, ihr das
Simple nicht bloß zu sagen, sondern klarzumachen: daß sie verlobt sei. Ia so,
sie hatte ja mittlerweile das Umlieben gelernt, die Treue! Wegen wessen?
Wegen des girrenden Schwachmatikus dort mit dem erst so prahlenden, dann
so jammernden Mund? Dieses Prachtknaben, der sie als die Stolzeste be-
sang, die allein seiner Seele Königin sein könne, ihr aber doch nicht sofort
Ordnung schaffte, als er erfuhr, daß seine Allerherrlichste Sklavendienste tat,
ja, der ihr gelegentlich mit Notzucht drohte! Keine einzige all der
Marionetten dort auf derBühne war ein Mensch. Die echte
Gudrun im Hintergrund schritt von der Vergangenheit in die Zukunft
weiter und merkte das gar nicht, daß sie hier einer „bannen" wollte.

Aber warum tut man eigentlich, als wollte man das? Warum stellen
uns die Ernst Hardt und Kompanie ihre Puppen als „Gudrun", „Hart-
mut" usw. vor? „Das ist geschäftlich richtig," sagt der Zyniker, „um das
eigne Messing mit dem alten Gold einzuschmuggeln." Und man könnte


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