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Kunstwart und Kulturwart — 27,2.1914

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Heft 12 2. Märzheft 1914)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14288#0539

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Zwei Birken stritten, wer der Zeder am nächsten käme. Birken seid
ihr! sagte die Zeder.

Ans ist wohl, sagte ein brüderlich gleicher Tannenwald zur Zeder, wir
sind so viel, und du stehst allein. — Ich habe auch Brüder, sagte die
Zeder, wenn gleich nicht auf diesem Berge.

Ein Wald ward ausgehauen, die Vögel vermißten ihre Wohnungen,
flatterten umher und klagten: Was mag der Fürst für Absichten haben!
den Wald! den schönen Wald! unsre Nester! Da sprach einer, der aus
der Residenz kam, ein Papagei: Absicht, Brüder? Er weiß nichts drum.

Ein Mädchen brach Rosen vom Strauch und kränzte ihr Haupt mit.
Das verdroß die Zeder, und sprach: Warum nimmt sie nicht von meinen
Zweigen? — Stolzer, sagte der Rosenstock, laß mir die meinen!

Ein Wandrer, der unter der Eiche Mittagsruh gehalten hatte, streckte
sich, stand auf, und wollte weiter. Der Baum rief ihm zu: Andankbarer!
tzab ich dir nicht meinen Schatten ausgebreitet, und nun nicht einen Blick!
— Du! mir! lächelte der Wandrer zurückschauend.

Das Gräslein, da der Wind drüber spielte, ergötzte sich und rief: Bin
ich doch auch da, bin ich doch auch gebildet, klein, aber schön, und bin! —
Gräslein in Gottes Ramen, sagte die Zeder.

Ein Waldstrom stürzte die Tannen drunter und drüber ins Tal herab,
und Sträucher und Sprößling und Gräser und Eichen. Ein Prophete
rief zuschauend vom Fels: Alles ist gleich vor dem Herrn.

Ha, sagte die Zeder, wer von meinen Zweigen brechen will, muß hoch
steigen! Ich, sagte die Rose, habe Dornen. Goethe

Die Stachelschweine

^ine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Winter-
>2<tage recht nahe zusammen, um, durch die gegenseitige Wärme, sich
vor dem Erfrieren zu schützen. Iedoch bald empfanden sie die gegen-
seitigen Stacheln; welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wann
nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammen brachte,
wiederholte sich jenes zweite Äbel; so daß sie zwischen beiden Leiden
hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander
herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. —

And diese Lntfernung nannten sie Höflichkeit und feine Sitte.

Schopenhauer

Vom Heute fürs Morgen

Jugend und Alter

H^or einem grauen tzaupt sollst du
»^aufstehen und das Alter ehren!"
Vielleicht ist keine moralische Forde-
rung schneller bei uns im Kurs ge-
sunken als diese — und zwar nicht
nur im Straßenbahnverkehr. Dafür
gilt jetzt die Ehrfurcht vor der Iu-
gend um so mehr. Die Sache ist aber
einigermaßen verdächtig; denn jedes
tiefere Nachdenken zwingt zu der

Einsicht, daß wahrhafte Liebe zur
Iugend und wirkliche Ehrfurcht vor
dem Alter aus ein und derselben
geistigen Wurzel kommen und nur
miteinander wachsen können, und
daß irgend etwas nicht stimmt,
wenn so korrespondierende Gefühle
sich einseitig entwickeln! Scheinbar
ist freilich der Respekt vor dem Alter
grundverschieden von der Achtung
jugendlichen Rechts: dort wird die
 
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